Marie-Castille Mention-Schaar zeichnet den Weg der jungen algerischstämmigen Zahia Ziouani ans Dirigent:innenpult nach: Feelgood-Movie mit viel klassischer Musik, sympathischen Hauptdarstellerinnen, aber farb- und einfallslos inszeniert.
Eine Männerdomäne ist der Beruf des Dirigenten. Weltweit macht laut Nachspann-Insert von Marie-Castille Mention-Schaars Spielfilm der Frauenanteil nur 6% aus, in Frankreich sogar nur 4%. Todd Fields legte mit "Tár" zuletzt einen aufregenden Film über die dunklen Seiten einer fiktiven Stardirigentin vor, Mention-Schaar fokussiert dagegen auf den realen Zwillingsschwestern Zahia und Fettouma Ziouani.
Der Druck nach historischer Exaktheit wird mit dem Insert "inspiriert von wahren Begebenheiten" sogleich genommen. Fiktiv dürfte so wohl auch der Beginn mit einer im Jahr 1985 spielenden Initiationsszene sein, bei der bei der siebenjährigen Zahia durch ein Konzert im Fernsehen ihre Begeisterung fürs Dirigieren geweckt wird.
Zehn Jahre später stehen die Bratschistin (Oulaya Amamra) und ihre nur zwei Minuten jüngere, Cello spielende Zwillingsschwester Fettouma (Lina El Arabi) kurz vor dem Abitur. Obwohl sie als Kinder von algerischen Eltern in kleinbürgerlichen Verhältnissen im Pariser Vorort Pantin aufgewachsen sind, werden sie ans renommierte Pariser Collège Racine aufgenommen. Hier bekommen sie aber bald die Ressentiments der aus dem gehobenen Bildungsbürgertum stammenden Mitschüler:innen, aber auch der Schulleitung zu spüren.
Zum sozialen Gefälle kommt dazu, dass vor allem die Männer keine Frau als Dirigentin akzeptieren wollen und Proben sabotieren. Doch im rumänischen Dirigenten Sergiu Celibidache (Niels Arestrup) findet Zahia einen Mentor.
Ravels "Bolero" entfacht am Beginn Zahias Traum von der Dirigentinnen-Karriere und am Ende wird sie diesen Ohrwurm in einem großen Konzert selbst dirigieren. Dazwischen steht nicht nur der mühsame Weg zu diesem Triumph, sondern auch die Öffnung der klassischen Musik, die immer nur im Elfenbeinturm der Eliten gepflegt wurde, für die breite Masse. Denn Musik kann für Zahia zwar nicht die Welt, aber die Menschen verändern.
So verpackt Mention-Schaar in ihr Biopic vom Aufstieg durch unermüdliches Üben und Hartnäckigkeit auch die soziale Botschaft von der Notwendigkeit der Aufweichung oder Auflösung sozialer Grenzen und natürlich ein Plädoyer für die Gleichberechtigung der Frau auch in musikalischen Spitzenpositionen.
Durchaus Potential für einen mitreißenden Film bietet dieser Stoff, doch die Inszenierung der 60-jährigen Französin ist leider arg konventionell und einfallslos. Mention-Schaar beschränkt sich darauf Szenen der liebevollen Familie der musikalischen Zwillinge und der unermüdlichen Proben mit Mobbing in der Schule sowie Förderung durch Maestro Celibidache aneinanderzureihen. Nie wird hier aber ein Moment verdichtet oder ein Aspekt wirklich packend herausgearbeitet.
Schal wie abgestandenes Mineralwasser wirkt "Divertimento" in seiner gleichförmigen Erzählweise. Sympathisch sind zwar Oulaya Amamra und Lina El Arabi, aber ambivalentes und vielschichtiges Profil können sie Zahia und Fettouma nicht verleihen. Mehr in Erinnerung bleibt hier schon Niels Arestrup als zunächst mürrischer und harter, dann aber rasch das Talent Zahias erkennender und dieses fördernder Star-Dirigent.
Wie diese Figur aber letztlich das Klischee Griesgram mit gutem Herz unter rauer Schale bedient, so ist dieser Musikfilm insgesamt viel zu harmoniesüchtig und weichgespült. Bruchstellen gibt es hier keine. Fies mögen zwar MitschülerInnen und Schulleitung sein, doch alle Probleme lösen sich immer wieder rasch in Wohlgefallen auf. Kein Problem und kein Konflikt wird wirklich zugespitzt und differenziert ausgehandelt.
So ist es letztlich die Musik von Ravel über Haydn bis zu Saint-Saëns und Prokofjew, die "Divertimento" am Laufen hält und über die dramaturgischen Schwächen zumindest teilweise hinwegtäuscht. Viel Raum lässt die Regisseurin diesen Klängen in den Proben und auch der Alltag ist für Zahia mit dem Rattern einer Schnellbahn, Straßengeräuschen oder dem Flattern von Tauben von Musik förmlich durchdrungen. – Insgesamt bleibt diese Geschichte einer weiblichen Selbstbehauptung aber doch farblos, bleibt mehr Behauptung als wirklich Kraft und Sog zu entwickeln.
Divertimento – Ein Orchester für alle Frankreich 2023 Regie: Marie-Castille Mention-Schaar mit: Oulaya Amamra, Lina El Arabi, Niels Arestrup, Zinedine Soualem, Nadia Kaci, Laurent Cirade, Martin Chapoutot, Louis-Damien Kapfer, Salomé Desnoues Länge: 110 min.
Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen
Trailer zu "Divertimento - Ein Orchester für alle"
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