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AutorenbildWalter Gasperi

Drive My Car


Schicht für Schicht dringt Ryusuke Hamaguchi in seiner famosen Verfilmung von zwei Kurzgeschichten von Haruki Murakami in 179 dichten Minuten tiefer in die Psyche seiner Charaktere ein und erzählt bewegend von Trauer, Schuldgefühlen, verfehlter Kommunikation und Neubeginn. – Ein zurückhaltender Film, aber gerade in seiner Unaufdringlichkeit ein wahres Meisterwerk des Kinos.


Schon vor vier Jahren gelang dem Koreaner Lee Chang-dong mit dem leisen Thriller "Burning" eine meisterhafte und atemberaubend spannende Verfilmung einer Kurzgeschichte Haruki Murakamis. Weit über sein Ende hinaus vieldeutig und rätselhaft bleibt "Burning" und mit der rätselhaften Erzählung über eine Schülerin, die heimlich tagsüber in das leere Haus eines geliebten Mitschülers schleicht, sich in dessen Bett legt und versteckt etwas Persönliches zurücklässt, beginnt auch "Drive My Car".


In ihrer ins Halbdunkel getauchten modernen Tokioter Hochhauswohnung erzählt Oto (Reika Kirishima) diese Geschichte ihrem Mann Yusuke (Hidetoshi Nishijima) nach dem Sex. Von Berufs wegen erfindet Oto solche Geschichten, ist sie doch Drehbuchautorin beim Fernsehen, Yusuke ist dagegen Theaterregisseur.


Gleichzeitig steht diese Geschichte in Ryusuke Hamaguchis bestechend fein gesponnenem Meisterwerk selbstverständlich in Bezug zur Filmhandlung. Denn wie diese Schülerin nicht wagt, ihre wahren Gefühle ihrem Mitschüler zu gestehen, so verpasst auch Otos Ehemann Yusuke die Chance einer Aussprache und wird später deswegen von Schuldgefühlen geplagt. Die Unfähigkeit zur Kommunikation führt tatsächlich oder eingebildet zu dramatischen oder tragischen Ereignissen, erst wenn die Menschen aufeinander zugehen und sich öffnen, scheint eine innere Befreiung möglich.


Schwer lastet auf Yusuke und Oto auch immer noch der Verlust der Tochter vor 20 Jahren, doch innig scheinen sie sich zu lieben. So schweigt Yusuke auch, als er, ohne selbst entdeckt zu werden, Oto beim Sex mit einem jungen Schauspieler ertappt, doch wenig später stirbt Oto an einer Hirnblutung.


Mit einem Schnitt überspringt Ryusuke Hamaguchi zwei Jahre und lässt den Film nach rund 40 Minuten mit den Credits neu einsetzen. Mit seinem leuchtend roten Saab 900 Turbo, der ein Hauptdarsteller in diesem ansonsten in gedeckte Farben getauchten Films ist, fährt Yusuke nach Hiroshima, um dort an einem Theaterfestival Tschechows "Onkel Wanja" zu inszenieren. Nicht nur unterschiedlichen Nationalitäten werden die Schauspieler*innen dabei angehören, sondern auch unterschiedliche Sprachen werden sie sprechen und sich nicht verstehen. Auch eine stumme junge Frau, die den Text in koreanischer Gebärdensprache spricht, wird mitspielen. Ganz auf ihren Text müssen sich die Schauspieler*innen so einlassen, ihre Gefühle sprechen lassen und ohne Worte miteinander kommunizieren.


Zur großen Verärgerung Yusukes wird ihm vom Festival aber nicht erlaubt mit seinem eigenen Wagen von seiner auf eigenen Wunsch eine Stunde entfernten Unterkunft zum Theater zu fahren. Aus Versicherungsgründen müsse er einen Fahrer nehmen. Widerwillig akzeptiert Yusuke, denn sein roter Saab ist quasi sein Heiligtum. Schon wenn seine Frau fuhr, kritisierte er ihren Fahrstil. Jetzt soll ihn also die junge Misaki (Toko Miura), die mit ihren 23 Jahren so alt ist, wie es Yusukes verstorbene Tochter jetzt wäre, fahren.


Kein Dialog entwickelt sich zwischen dem ungleichen Duo zunächst, jeder bleibt in seiner Welt. Yusuke hört während den Fahrten immer eine Aufnahme von "Onkel Wanja", die seine Frau auf eine Kassette gesprochen hat, seine Fahrerin hört zwangsläufig mit. Ausgespart ist hier nur die Rolle der Titelfigur, die Yusuke zunächst selbst spielen wollte. Doch nun besetzt er ausgerechnet den viel jüngeren Liebhaber seiner verstorbenen Frau mit dieser Rolle.


Viel Zeit lässt sich Hamaguchi für die Theaterproben, bei denen Yusuke die Schauspieler*innen lange nicht spielen, sondern nur den Text in ihrer jeweils eigenen Sprache rezitieren lässt. Verinnerlichen sollen sie sich das Stück. Und parallel dazu gibt es die täglichen Fahrten des Regisseurs vom Probenort zu seiner Unterkunft auf einer Insel.


Nichts Spektakuläres passiert im Grunde, doch mit dem perfekt kontrollierten Erzählrhythmus und großartigen Schauspieler*innen hält Hamaguchi die Spannung mühelos über fast drei Stunden aufrecht, steigert sie sogar sukzessive. Zur berückenden, aber nie aufdringlichen Schönheit, die dieser Film auch in seinem genau getimten Wechsel von Nahaufnahmen im Auto oder bei den Proben und Totalen der Stadt entwickelt, kommt, dass der 42-jährige Japaner immer tiefer in die zunächst verschlossenen Charaktere eindringt, Schicht für Schicht ihre Traumata und Kümmernisse aufdeckt.


Brillant korrespondiert dabei die Filmhandlung mit Tschechows "Onkel Wanja". Wenn es in einer mehrfach wiederholten Szene des Stückes heißt "Und im Jenseits werden wir sagen, dass wir gelitten haben, dass wir geweint haben und dass unser Leben schwer war", trifft dies nämlich auch auf Yusuke, seine Fahrerin und die Ehe des Dolmetschers des Theaters zu. Ganz langsam, aber einprägsam und bewegend öffnet Hamaguchi den Blick auf die Sorgen und Belastungen seiner Protagonist*innen.


So kommt schließlich auch zwischen Yusuke und Misaki etwas in Bewegung. Nicht mehr das "Onkel Wanja"-Band wird abgespielt, sondern ein Dialog entwickelt sich, in dem auch die zunächst wortlose Fahrerin Einblick in ihre schwere Kindheit bietet. Und mit der Fahrerin beginnt sich auch Yusuke zu öffnen und über sich zu erzählen.


Wenn die Fahrt dann in einer Auszeit von der Stadt hinaus ins verschneite ländliche Japan führt, dann korrespondiert diese lange Fahrt auch mit einer inneren Entwicklung der Figuren. Wie es bei Tschechov um Verdrängung und Lebenslüge geht, die Vergangenheit als schlimm und die Gegenwart als noch schlimmer erscheint, bis sich die Figuren der Realität stellen, so finden auch Yusuke und Misaki mit der Auseinandersetzung mit ihrem eigenen Schicksal zu neuem Leben und Aussöhnung mit sich selbst.


Nicht nur Tschechows "Wir müssen leben" steht so am Ende dieses makellosen und unglaublich dicht, in jeder Szene sehr fein gearbeiteten, aber nie mit seiner Schönheit prahlenden, sondern zutiefst japanische Contenance ausstrahlenden Meisterwerks, sondern mit der Fahrt in eine offene Landschaft auch die tröstliche Hoffnung, dass ein Neubeginn immer möglich ist.


Drive My Car Japan 2021 Regie: Ryusuke Hamaguchi mit: Hidetoshi Nishijima, Tōko Miura, Reika Kirishima, Yoo-rim Park, Dae-Young Jin, Sonia Yuan, Satoko Abe Länge: 179 min.


Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen


Trailer zu "Drive My Car"




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