Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha verbinden in ihrer bittersüßen Tragikomödie, die bei der Berlinale mit dem Preis der Filmkritiker:innen und der Ökumenischen Jury ausgezeichnet wurde, die Geschichte einer 70-jährigen iranischen Witwe, die sich nach einer Beziehung zu einem Mann sehnt, mit expliziten regimekritischen Spitzen: Ein wunderbar sanfter und rund erzählter Film, der von der in jeder Szene präsenten Hauptdarstellerin Lily Farhadpour getragen wird.
Schon in ihrem zweiten Spielfilm "Ballade von der weißen Kuh" (2021) übte das Ehepaar Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha Kritik an der Diskriminierung der Frau in der iranischen Gesellschaft. Ganz langsam, aber immer wieder sehr deutlich schleichen sich nun auch in "Ein kleines Stück vom Kuchen" diese Spitzen gegen die Restriktionen im Land der Mullahs ein.
Folgen hatte dies für die Filmemacher:innen, denn während der Postproduktion wurden ihnen die Pässe abgenommen und eine Ausreise nach Paris verboten und auch zur Premiere des Films bei der Berlinale im Februar durften sie nicht anreisen.
Ganz harmlos beginnt dabei ihr neuer Film mit der unaufgeregten Schilderung des monotonen Alltags der 70-jährigen Witwe Mahin (Lily Farhadpour). Ihr Mann ist schon vor 30 Jahren gestorben, allein wohnt sie in ihrer geräumigen Wohnung in Teheran, ihre beiden Kinder sind schon vor Jahren nach Europa emigriert.
In statischen Einstellungen, die mit ihrem erstarrten Leben korrespondieren, zeigt das Regieduo die Seniorin beim Schlaf bis weit in den Tag hinein, beim Bewässern des Gartens, bei kurzen Video-Telefonaten mit der Tochter, vor dem Fernseher, in dem Soap-Operas laufen, oder beim Einkauf auf dem Markt, von dem sie ein Taxi nach Hause bringt.
Ein Musterbeispiel dafür, wie wenig für einen gelungenen Film im Grunde nötig ist, sind nicht nur diese Szenen, sondern die gesamten 97 Minuten. Auch in der Folge wird sich die Kamera von Mohammad Haddadi kaum bewegen. Ganz auf das Alltägliche konzentrieren sich Moghaddam / Sanaeeha. Sie erzählen zurückhaltend, benötigen keine spektakulären Kulissen und verzichten bis kurz vor Ende auch auf Filmmusik.
Mit genauem Blick erzählt der Film dabei auch universell von Alterseinsamkeit und, wie ältere Menschen auch durch mangelnde Beherrschung moderner Techniken wie Internet und QR-Codes an den Rand gedrängt werden. Verschärft zeigt sich die Situation freilich im Iran, in dem der Handlungsspielraum alleinstehender und verwitweter Frauen durch die Erwartungen der Gesellschaft und staatliche Gesetze zudem eingeschränkt ist.
Abwechslung ins Leben von Mahin bringt einer der inzwischen selten gewordenen Nachmittage mit Freundinnen. Beim Essen wird dabei nicht nur über Krankheiten, sondern auch über Beziehungen zu Männern gesprochen. Angeregt wird dadurch Mahin auch Ausschau zu halten und für sanften Witz sorgen ein Annäherungsversuch beim Bäcker ebenso wie ihre Nachforschungen im Park oder ihr Besuch eines Restaurants für Rentner.
Gleichzeitig schleicht sich mit diesen Szenen in die private Geschichte aber auch Regimekritik ein, wenn Mahin der Zeit vor der Revolution nachtrauert, in der sie mondäne Kleidung statt eines Hijab trug und Al Bano und Romina Power in einem Hotel auftraten. Zur Botschaft an die junge Generation insgesamt, wird diese Kritik, wenn Mahin im Park gegen die Sittenpolizei einschreitet, als diese eine junge Frau wegen ihres schlecht sitzenden Hijabs abführen will.
So entschlossen tritt Mahin dabei auf, dass die Polizisten schließlich nachgeben. Nicht nur dem Teenager, sondern wohl dem Kinopublikum insgesamt gibt sie aber den Rat, sich nicht unterwürfig zu zeigen, da dadurch die Unterdrücker in ihrem Tun noch bestärkt würden.
Aber Mahin wird bei ihrer Suche nach einem alleinstehenden Mann auch fündig im Taxifahrer Faramarz (Esmaiel Mehrabi). Von diesem lässt sie sich nicht nur nach Hause bringen, sondern lädt ihn auch in ihre Wohnung ein. Wieder gibt es hier regimekritische Spitzen, wenn der Besuch vor den Nachbarn geheim gehalten werden muss, sie aber eine neugierige Nachbarin wegen Musik und gehörter Männerstimme aushorchen will.
Wie rund und rasch sich Mahin und Faramarz verstehen und näherkommen ist eher märchenhaft als realistisch, doch es beglückt, Lily Farhadpour und Esmail Mehrabi bei dieser Annäherung zweier über Jahrzehnte einsamer Seelen zuzusehen. Wunderbar harmonieren sie schon bei der Taxifahrt und immer lockerer werden sie bei den Gesprächen in Mahins Wohnung, blühen beim Trinken von Wein - auch das eine regimekritische Spitze - sichtlich auf.
Warmherzig und dicht ist "Ein kleines Stück vom Kuchen" in der Konzentration auf diese beiden Seniorinnen und diesen einen Abend sowie die kammerspielartige Einengung auf die Wohnung. Während sie einen Kuchen backt, repariert er die defekte Gartenbeleuchtung und schließlich wird auch getanzt. Freier bewegt sich hier auch die Kamera, tanzt förmlich mit dem Paar mit, bis dieses sanfte Drama eine dramatische Wende nimmt, in der sich wiederum deutliche Kritik am Regime manifestiert.
Ein Wunder ist dieser Film in seiner Einfachheit, in seiner Menschenliebe und Sanftheit, die dafür sorgen, dass man Mahin und Faramarz auf Anhieb ins Herz schließt. Letztlich beschreiben lassen sich dabei aber die Qualitäten dieses Kleinods nicht – man muss es schon selbst gesehen und erlebt haben.
Ein kleines Stück vom Kuchen – My Favourite Cake Iran / Frankreich / Schweden / Deutschland 2024 Regie: Behtash Sanaeeha, Maryam Moghadam mit: Lili Farhadpour, Esmaeel Mehrabi, Mohammad Heidari, Melika Pazouki Länge: 97 min.
Läuft jetzt in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen.
FKC Dornbirn im Cinema Dornbirn: Do 24.10. 19.30 Uhr Kinothek Lustenau: Mo 30.10., 18 Uhr + Mi 4.11., 20 Uhr LeinwandLounge in der Remise Bludenz: Mi 20.11., 19 Uhr
Trailer zu "Ein kleines Stück vom Kuchen - My Favourite Cake"
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