Vom 8. bis 11. August wurden bei der Alpinale 62 Kurzfilme präsentiert. Am Samstag den 12. August wurden die Sieger in den sieben Kategorien bekanntgegeben und Open-Air auf dem Remiseplatz nochmals vorgeführt.
Gerade noch einmal gut ging es bei der Preisverleihung der heurigen Alpinale mit dem Wetter. Dunkle Wolken zogen zwar über die Alpenstadt und es tröpfelte kurz während der Filmvorführungen, dennoch konnte die Veranstaltung auf dem gut besuchten Remiseplatz bis zum Ende über die Bühne gehen und musste nicht in den Saal verlegt werden. Festivalleiterin Manuela Mylonas dankte nicht nur ihrem Team, sondern moderierte auch die beiden Jurys an, die die PreistägerInnen und Lobenden Erwähnungen in den Kategorien VR-Shorts, v-shorts, Kinderfilm und Horror sowie für den besten Animations- und Kurzspielfilm bekanntgaben.
Stark präsentierte sich die Filmakademie Wien, die die Siegerfilme in der Kategorie v-shorts und bester Kurzspielfilm stellte. Gemeinsam sind Kálmán Nagys "Das andere Ende der Straße" (Bester Kurzspielfilm) und Jonas Steinackers "Nelly´s Story" nicht nur die professionelle Machart mit hervorragenden schauspielerischen Leistungen, überzeugender Kameraarbeit und exaktem Schnitt, sondern auch die Verankerung der Geschichten im Alltag und die konzentrierte Erzählweise.
Ausgangspunkt ist in "Nelly´s Story" der Geburtstag der neunjährigen Nelly, bei dem aber nur die Mutter im modernen Einfamilienhaus anwesend ist. Als die Mutter auf Nellys Fragen nach dem Verbleib des Vaters nur ausweichende Antworten gibt, reagiert Nelly zunehmend gereizt und sperrt schließlich die Mutter aus dem Haus aus. Draußen eskaliert die Situation sukzessive, als Nelly Videos ins Internet stellt.
Nicht nur durch die Konzentration auf das Haus und wenige Stunden als erzählte Zeit, sondern auch dadurch, dass konsequent aus der Perspektive der Mutter erzählt wird, sodass auch für Zuschauer:innen unklar ist, was im Haus vorgeht, steigert Jonas Steinacker sukzessive die Spannung und lässt den Film nach 19 kompakten Minuten mit einer Videobotschaft der Mutter enden.
Während "Nelly´s Story" so auch von der Rolle von Internet-Videos handelt, erinnert Kálmán Nagys "Am anderen Ende der Straße" von der Grundsituation her an Yasmina Rezas "Der Gott des Gemetzels". Wie sich dort zwei Eltern zum Abendessen treffen, um über einen Streit ihrer Kinder in der Schule zu sprechen, ist hier ein Vater mit seinem Sohn unterwegs, um dessen Mitschüler wegen seines Mobbings zur Rede zu stellen. Als der Mitschüler seine Schuld abstreitet, reagiert dessen Vater mit Ohrfeigen und zwingt seinen Sohn sich zu entschuldigen. Wenig später nimmt die Handlung aber eine Wende, als der gemobbte Junge seine Aussage korrigiert, und sich nun der Vater beim anderen Jungen entschuldigen möchte.
Auch hier ist die erzählte Zeit sehr eng gehalten und die Konzentration liegt fast ganz auf den beiden Vätern und ihren Söhnen. Getragen von den großartigen Schauspieler:innen und der dichten Inszenierung wird dabei ein Klima der latenten Gewalt und Aggression spürbar, das man über die konkrete Geschichte hinaus auch als Bild der gesellschaftlichen Stimmung lesen kann.
Zu beeindrucken verstand aber auch Joseph Pierces "The Scale", der das Goldene Einhorn für den besten Animationsfilm gewann. In großartiger Bildsprache erzählt der Brite in Rotoskopanimation, bei der Live-Action-Performances nachträglich animiert werden, von den Auswirkungen einer Drogensucht. Eindrücklich versetzt Pierce in die Perspektive eines süchtigen Chemikers, für den nicht nur Größenverhältnisse, sondern auch Realität und Imagination zunehmend verschwimmen und scheinbare Glücksmomente abrupt ins Alptraumhafte kippen.
Kleiner gehalten ist Lara Smiths "The Hound", der eine Lobende Erwähnung in der Kategorie v-shorts erhielt. Nur drei Minuten ist dieser Animationsfilm lang, vermittelt aber gleichwohl mit starker Bildsprache eindrücklich, wie ein Junge von den "Ungeheuern" Isolation und Depression im wahrsten Sinne des Wortes verschluckt wird, bis sich doch eine überraschende Wendung ergibt.
Eine Fingerübung für einen langen Genrefilm ist dagegen Lucas Paulinas´ und Ángel Torres´ "The Tenant", dem das Blutige Einhorn für den besten Horrorfilm zuerkannt wurde. In zehn Minuten erzählt das Regieduo von einer Frau, die in ihrer Wohnung von einem seltsamen Beinleiden befallen wird, das durch einen Zauberspruch beseitigt werden soll. Paulinas/Torres beweisen nicht nur bei der Handlungsführung und Details, dass sie die klassischen Motive und Strategien von Horrorfilmen kennen, sondern erzeugen auch mit starkem Sounddesign Spannung und verlängern den Schrecken mit einer markanten Schlusspointe übers Filmende hinaus.
Ein Goldenes Einhorn wurde auch in der Kategorie Kinderfilm vergeben. Dieses verlieh die dreiköpfige Jury dem Animationsfilm "Kayak". Wie hier vom französischen Regiekollektiv in sechs Minuten mit Witz, Einfallsreichtum, liebevoller Gestaltung und überraschenden Wendungen von einem Kajakausflug eines Vaters mit seinem Baby erzählt wird, sorgt für hinreißende Unterhaltung nicht nur für Kinder.
Spannenden Einblick in das immersive Erlebnis, das Virtual Reality ermöglicht, boten die VR-shorts, die während der Festivaltage in der Remise mittels spezieller Brille genossen werden konnten. In dieser Kategorie wurde "Unframed: Paul Klee, Hand Puppets", in dem die Entstehung der Theaterpuppen des Malers Paul Klee und seine Flucht vor den Nazis nachgezeichnet wird, mit einem Goldenen Einhorn ausgezeichnet.
Die Preisverleihung bot so in allen Sparten starke Kurzfilme, die eindrücklich nicht nur die vielfältigen erzählerischen Möglichkeiten, sondern auch die inhaltliche Tiefe dieser Filmgattung, die oft als Sprungbrett zum Langfilm dient, bietet.
(erschien zuerst unter www.kulturzeitschrift.at)
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