Giuseppe Tornatore zeichnet mit einem Interview mit dem legendären Filmmusikkomponisten, zahlreichen Filmausschnitten und Statements von Wegbegleitern und Bewundern das Leben und Schaffen des am 6. Juli 2020 verstorbenen Italieners nach: Ein ebenso mitreißender wie informativer Dokumentarfilm.
Unvergessen sind zahlreiche Soundtracks von Ennio Morricone: Hat man das von Kojoten inspirierte Geheul in "Zwei glorreiche Halunken", das Mundharmonika-Spiel in "Spiel mir das Lied vom Tod", die Panflöten-Melodie in "Es war einmal in Amerika" oder das Stück "Gabriel´s Oboe" in "The Mission" einmal gehört, bleiben diese Klänge haften. Doch diese klassischen Filmmusiken sind nur die Spitze eines Eisbergs von über 500 Soundtracks.
Umfassend zeichnet Giuseppe Tornatores, der selbst mit Ennio Morricone bei allen seinen Filmen von seinem Meisterwerk "Cinema Paradiso" (1989) bis zu "La correspondenza" (2016) zusammenarbeitete, Leben und filmmusikalisches Schaffen des am 10. November 1928 in Rom geborenen Italieners nach. Von seinen über 100 klassischen Werken wird aber nur die Kantate, die er zum Gedenken an die Terroranschläge vom 11. September 2001 schrieb, näher behandelt.
Rückgrat des Films sind lange Interviews Tornatores mit dem großen Komponisten. Nach Morgengymnastik sieht man Morricone in seinem mit Büchern und Schallplatten überfüllten Arbeitszimmer sitzen. Großaufnahmen dominieren. Mitreißend und hellwach erzählt der schon fast 90-Jährige von seiner Kindheit und seinem Wunsch Arzt zu werden, den er aufgeben musste, da sein Vater ihn zwang wie er selbst Trompete zu studieren.
Von den Erfahrungen am Konservatorium, an dem er auch Komposition studierte, über die Arbeit als Trompeter bei Abendveranstaltungen bis zu den Arrangements von Popsongs in den 1950er Jahren spannt sich der Bogen, ehe ab 1961 die Filmmusik ins Zentrum rückt.
Schon in diesen Anfängen wird die lebhafte Schilderung des Maestros immer wieder von schwarzweißen Archivaufnahmen ebenso wie von kurzen Statements von Bewunderern unterbrochen. Abwechslungs- und temporeich wird "Ennio Morricone – Il Maestro" dadurch. Keinen Leerlauf gibt es hier, atemlos ist die Erzählweise, überfordert die Zuschauer:innen aber nie.
Dass die Bewunderer in Bezug auf Kindheit und Jugend von Morricone gewiss nicht aus eigenen Erfahrungen schöpfen, sondern wohl aufgrund von Erzählungen oder Literatur berichten, steht freilich auf einem anderen Blatt. Nicht ganz klar ist auch, ob die Archivaufnahmen vom Konservatorium und der Jugendzeit wirklich immer direkt mit Morricone zusammenhängen. Vielmehr scheinen sie ebenso wie die Statements der Bewunderer vor allem der Abwechslung und der Belebung der Erzählweise zu dienen. Gering wiegen aber diese Einwände gegen eine vielleicht nicht ganz saubere dokumentarische Arbeitsweise, denn mitreißenden Schwung entwickelt der Film durch dieses Pendeln zwischen Morricones eigener Erzählung, Statements und Bildmaterial.
Spürbar wird auch, wie sehr Morricone darunter litt, dass er als Arrangeur von Popsongs und Komponist von Filmmusik lange in der Musikwelt nicht wirklich ernst genommen wurde. Eindrücklich vermittelt wird aber, wenn er selbst oder auch Wegbegleiter Melodien vorsummen und Filmausschnitte diese unterstreichen, wie überlegt, vielfältig und innovativ seine Kompositionen sind.
Zahllos sind die Filmbeispiele. Seine Anfänge im Italo-Western bis zu den legendären Soundtracks für Sergio Leones "Für eine Handvoll Dollar" (1965), "Zwei glorreiche Halunken" (1966) und "Spiel mir das Lied vom Tod" (1968) fehlen ebenso wenig wie die Arbeiten für die Giallis vor allem Dario Argentos, Elio Petris Politthriller "Ermittlungen über einen jeden Verdacht erhabenen Bürger" (1970) oder Henri Verneuils "Der Clan der Sizilianer" (1969), den der Meister selbst als seine schwierigste Arbeit bezeichnet.
Die Interviews mit Morricone und der chronologische Aufbau sorgen dafür, dass dieser große Dokumentarfilm immer übersichtlich bleibt. Enorme Recherchearbeit erforderte zweifellos das umfangreiche Archivmaterial, das Tornatore souverän einbaute. Neben den zahllosen Filmausschnitten gibt es hier unscharfe TV-Ausschnitte aus den 1950er Jahren ebenso wie ältere Interviews mit inzwischen verstorbenen Regisseuren wie Sergio Leone, Bernardo Bertolucci, Elio Petri oder Gillo Pontecorvo.
Über Terrence Malicks "In der Glut des Südens" (1978) , für den Morricone erstmals für den Oscar nominiert wurde, den verwehrten Oscar für den Soundtrack zu Roland Joffes "The Mission" (1986) bis zum Ehrenoscar 2006 und dem Oscar für den Soundtrack von Quentin Tarantinos "The Hateful Eight" (2016) spannt Tornatore den Bogen.
Immer wieder sieht man dazwischen Morricone auch ein Orchester dirigieren. Wenig erfährt man aber abgesehen vom wiederholten Hinweis auf die lebenslange Liebe zu seiner Frau Maria über das Privatleben des großen Komponisten. Tornatore fokussiert ganz aufs schier unermessliche Werk, das er dann auch immer wieder nicht nur von zahlreichen Regisseuren, sondern auch von anderen Filmmusikkomponisten wie John Williams und Hans Zimmer und von Musikern wie Bruce Springsteen oder Quincy Jones bewundernd kommentieren lässt.
Etwas zu exzessiv wirkt diese inhaltlich teilweise nur wenig ergiebige Lobhudelei zumal gegen Ende, wenn Morricone zusätzlich nochmals in einer großen emphatischen Montagesequenz gewürdigt wird und dessen Einfluss auf heutige Popgruppen wie "Metallica" veranschaulicht wird. Doch verdient hat dieser ganz Große der Filmmusik, der inzwischen auch davon unabhängig als großer Komponist des 20. Jahrhundert geschätzt wird, eine solch mitreißende Hommage, die nicht nur Lust auf die immer nur kurz angerissene Musik, sondern vielfach auch auf die Filme macht, auf jeden Fall.
Ennio Morricone – Il Maestro Italien / Belgien / Niederlande / Japan 2021 Regie: Giuseppe Tornatore mit: Ennio Morricone, Bernardo Bertolucci, Dario Argento, Quentin Tarantino, Hans Zimmer, Terrence Malick, Oliver Stone, John Williams, Joan Baez, Wong Kar-Wai Länge: 156 min.
Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen FKC Dornbirn im Cinema Dornbirn: Mi 8.2., 18 Uhr + Do 9.2., 19.30 Uhr
Trailer zu "Ennio Morricone - Il maestro"
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