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AutorenbildWalter Gasperi

Epicentro


(c) Stadtkino Wien

Hubert Sauper zeichnet in seinem Essayfilm ein vielschichtiges Bild der Inselrepublik Kuba zwischen Paradies und Dystopie, feiert die Stärke der Einwohner Kubas und rechnet mit dem amerikanischen Imperialismus ab: Ein eindrücklicher mäandernder Strom von Eindrücken, in dem immer wieder Gegensätze auseinanderprallen.


Manchmal lohnt ein zweiter Blick auf einen Film und ein Urteil muss revidiert werden. Wie schon moniert, fehlt "Epicentro" zwar - bewusst - erzählerische Stringenz, doch als Epizentrum von Hubert Saupers Essayfilm muss man eben Kuba und seine Widersprüchlichkeit selbst ansehen.


Der gebürtiger Kitzbühler Sauper, der nicht nur im Oscar nominierten "Darwin´s Nightmare", sondern auch in "We Come as Friends" die katastrophalen Auswirkungen des Kolonialismus und der Globalisierung anprangerte, rückt nun die Karibikinsel ins Zentrum, die wieder ihrerseits ziemlich genau in der Mitte - Im Epizentrum - von Amerika liegt. Wenn in den ersten Stellung mächtig der Atlantik gegen den Malecón brandet und das Wasser über diese Hafenmauer flutet, dann erscheint das auch als Metapher für Kuba als Bollwerk gegen das Weltmachtstreben der USA.


Im fulminanten Auftakt schließt Sauper den Beginn des amerikanischen Imperialismus im Spanisch-Amerikanischen Krieg 1898 mit den Anfängen des Kinos kurz. Einerseits beschwört er mit Ausschnitten aus frühen Stummfilmen wie Georges Méliès "Le voyage dans la lune" die Macht des Kinos als Phantasie-Maschine, andererseits deckt er auch dessen Macht als Propaganda-Maschine auf. Einen Film von der Sprengung der USS Maine in diesem Krieg entlarvt er ebenso als nachinszeniert, wie einen angeblichen Dokumentarfilm über eine Exekution von Amerikanern.


Misstrauen in die Bilder weckt Sauper so und spielt auch später damit, wenn sich eine Szene, in der eine Mutter und ihre kleine Tochter scheinbar heftig streiten und sich gegenseitig schlagen, als Schauspielprobe entpuppt. Schauspielerin möchte nämlich eines der Mädchen werden, denen Sauper immer wieder durch ihren Alltag folgt.


Nah dran ist seine Kamera an diesen Kindern, beutet sie aber nie aus, sondern schlägt sich ganz auf ihre Seite, verbrüdert sich quasi mit ihnen und vermittelt eindrücklich ihre Lebensfreude und ihre Kraft, denen wiederum die bedrückenden sozialen Verhältnisse gegenüberstehen. Denn in desolatem Zustand sind die Wohnungen, die Häuserfassaden, bei denen Hotels mit Namen wie "Roosevelt" noch an die US-Präsenz erinnern, zerbröckeln.


Konsequent arbeitet Sauper mit dem Widerspruch zwischen dem Paradies, als das Kolumbus die Insel sah und Thomas Morus´ klassischer Staatsutopie "Utopia", die praktisch zeitgleich mit der Entdeckung Amerikas entstand, und der Dystopie der historischen Sklaverei, des Kolonialismus und der Globalisierung.


Den Mädchen und ihrer Mutter, deren Vitalität auch durch die stets bewegte Kamera beschworen wird, stehen wiederum die heutigen Touristen gegenüber, die sich gegenüber der einheimischen Bevölkerung arrogant verhalten. Wie eine neue Okkupation des Landes wirkt es, wenn ein Kreuzfahrtschiff so dominant in den Hafen steuert, dass alle Bauten von Havanna – und damit quasi Kuba - dahinter verschwinden.


Wie die bröckelnden Fassaden von bestens gepflegten großen, leuchtend rosa oder türkisen US-Schlitten aus den 1950er Jahren gegenüberstehen, so den Lebensbedingungen der Kubaner ein amerikanisches Luxus-Hotel, in dessen Shops eine Füllfeder für 2500 Dollar verkauft wird, dem wiederum die vier Dollar Monatslohn der Mutter gegenüberstehen.


Dennoch gelingt es hier Sauper, der vor allem im visuellen Off auch selbst präsent ist und mit den Mädchen in Dialog tritt, der sozialen Segregation ein Schnippchen zu schlagen und zwei kubanische Kinder am Hotelpersonal vorbei zum Infinity-Pool auf dem Dach des Hotels zu schmuggeln.


Eine konsistente Erzählung stellt sich damit zwar nicht ein, aber die Fülle der assoziativen Abfolge von Eindrücken, zu der auch eine stillgelegte Zuckerrohrfabrik gehört, die einst Coca Cola belieferte, oder die allgegenwärtigen Bilder von Che Guevara und die Nachricht vom Tod Fidel Castros, die an die Träume der Revolution erinnern, fügt sich zu einem beeindruckend vielschichtigen Bild dieser Inselrepublik, die eben ein Paradies sein könnte, in der die Utopie aber aufgrund der militärischen Einmischung und wirtschaftlichen Repression der USA nie verwirklicht werden konnte.


Rund schließt Sauper am Ende auch den Bogen zum Anfang, wenn er wieder an den Malecón zurückkehrt, und die Kinder mit Chaplins Enkelin Oona zunächst die Globusszene aus "The Great Dictator", bei der man statt Hitler an die USA - und speziell an Donald Trump - denken muss, und dann "The Goldrush" ansehen.


Läuft derzeit in der Kinothek Lustenau und am 21. + 22. Juli im FKC Dornbirn / Cinema Dornbirn.


Trailer zu "Epicentro"




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