Ein großer Traum ist es für viele, noch einmal mit einem lieben Verstorbenen zu sprechen, sich von einem abrupt aus dem Leben Gerissenen zu verabschieden: KI verspricht hier neue Möglichkeiten, doch wie sind diese zu beurteilen. – Ohne zu werten bieten Hans Block und Moritz Riesewieck in ihrem hochaktuellen Dokumentarfilm einen facettenreichen Einblick in die Perspektive von Usern ebenso wie Produzenten der Software und Kritiker:innen und werfen Fragen nach ethischen Grenzen des technologischen Fortschritts auf.
Vor sechs Jahren boten Horst Block und Moritz Riesewieck im Dokumentarfilm "The Cleaners – Im Schatten der Netzwelt" (2018) Einblick in die Arbeit von Content-Moderatoren auf den Philippinen, die digitale Zensur ausüben, indem sie Inhalte in sozialen Netzwerken wie Facebook, YouTube und Twitter bzw. X prüfen, auswerten und auch löschen oder sperren.
So aktuell dieser Film immer noch ist, so sehr am Puls der Zeit ist auch "Eternal You", für den das von dem Regie-Duo selbst geschriebene und 2022 erschienene Buch "Vom Ende der Endlichkeit: Unsterblichkeit im Zeitalter Künstlicher Intelligenz" den Ausgangspunkt bildete.
Mit der Möglichkeit mittels Avataren einen – zumindest scheinbaren – Kontakt zu Verstorbenen herzustellen, widmen sie sich einem speziellen Aspekt der Folgen von KI. Wie groß die Sehnsucht von Menschen nach Verstorbenen ist, von denen sie sich nicht angemessen verabschieden konnten, zeigen sie am Beispiel von Joshua und Angel, die per Internet mit ihren geliebten Partner:innen kommunizieren. Nicht immer tröstlich sind dabei die Antworten des Gegenübers, sondern können auch einen Schock auslösen.
Im Gegensatz zu diesem textbasierten Kontakt lässt Stephenie Oney ihren verstorbenen Vater der Familie schon mittels Voicebot aus seinem Leben erzählen. Nicht alle Familienmitglieder sind aber damit einverstanden. Die Schwester des Verstorbenen kritisiert so beispielsweise, dass man hier Gott spiele und sie den Verstorbenen in ihren eigenen Erinnerungen bewahren und nicht künstlich zurückholen wolle.
Sukzessive spannen Bock / Riesewieck den Bogen weiter, wenn sie am Ende Einblick in die koreanische TV-Show "Meeting You" bieten, bei der eine Mutter mittels VR-Brille Kontakt mit dem Avatar ihrer im Alter von sieben Jahren verstorbenen Tochter aufnimmt. Ein seltsamer Kontrast entsteht dabei freilich, wenn man einerseits mit den Augen der Mutter das Hologramm der Tochter sieht, diese aber aus Außenperspektive nicht präsent ist.
So wirft "Eternal You" auch die Frage auf, ob hier mit Scheinbildern nicht nur die Trauernden getäuscht und manipuliert werden. Eine Technologie-Kritikerin sieht so die neuen Möglichkeiten auch als eine Ersatzreligion, die wie die echten Religionen in einer säkularisierten Welt Unsterblichkeit verspricht, und kritisiert, dass Menschen hier nicht mehr in Gemeinschaft mit anderen ihre Trauer verarbeiten, sondern allein mit dem Avatar des Toten.
Aber auch in die Produktion dieser Avatare bieten Bock / Riesewieck Einblick und lassen ausführlich die Gründer der Programme Project December, dessen Sitz im Stil von Bill Gates und Steve Jobs eine Garage zu sein scheint, und "You, Only virtual" (YOV) oder Mark Sagar, der mit seiner Firma "Soul Machines" einen digitalen Klon seines eigenen Babys herstellte, zu Wort kommen.
Aufgeworfen wird dabei die Frage, wem denn die Daten gehören, die die Hinterbliebenen zur Generierung der Simulation zur Verfügung stellen, und was damit gemacht wird. Aber auch der wirtschaftlichen Ausbeutung der Trauer von Menschen in einer kapitalistischen Welt wird nachgespürt, bietet sich hier doch ein lukratives Geschäftsfeld an.
Kommentarlos dokumentieren die beiden Regisseure die Entwicklungen, werten nicht, aber lassen auch Kritiker zu Wort kommen und werfen Fragen nach ethischen Grenzen auf. Nicht nur die User verwenden hier mehrfach den Begriff "creepy – unheimlich, gruselig", sondern auch bei den Zuschauer:innen wird sich bei diesen Kontakten mit Toten immer wieder ein Unwohlsein einstellen.
Antworten liefert der facettenreiche und dichte Dokumentarfilm keine, sind doch auch die zukünftigen Entwicklungen noch völlig offen, doch er löst mit seinen vielfältigen Einblicken ein Gefühl der Verunsicherung aus, das durch die visuelle Gestaltung mit immer wieder eingeschobenen, vorwiegend nächtlichen Totalen der Skylines von Großstädten und Drohnenaufnahmen von überfüllten Stadtlandschaften sowie durch die Filmmusik von Gregor Keienburg und Raffael Seyfried eindrücklich gesteigert wird.
Eternal You
Deutschland / USA 2024
Regie: Hans Block, Moritz Riesewieck
Dokumentarfilm
Länge: 87 min.
Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen.
Trailer zu "Eternal You - Vom Ende der Endlichkeit"
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