Nur 13 Filme hat der 1928 geborene Stanley Kubrick bis zu seinem Tod am 7. März 1999 geschaffen – beinahe jeder von ihnen freilich ein bahnbrechender Klassiker, keine Bestseller, aber Longseller und Filme, die immer singulär innerhalb des jeweiligen Genres stehen. – Das Berner Kino Rex und das Stadtkino Basel widmen dem Ausnahmeregisseur im Januar eine Retrospektive.
"Er braucht nicht mehr als eine Hose und acht Kassettenrecorder zum Glücklichsein" verriet Kubricks Frau Christiane einmal dem Magazin Rolling Stone. Über sein Privatleben drang praktisch nichts an die Öffentlichkeit, Interviews gab er kaum, ab Anfang der 1960er Jahre lebte er völlig zurückgezogen auf seinem englischen Landsitz ganz für seine Familie – und natürlich für seine Filme. Diese bereitete er nicht nur unter größter Geheimhaltung, sondern auch mit größter Perfektion vor, kontrollierte nicht nur jedes Detail ihrer Herstellung, sondern auch die Synchronisation und ließ sich über Beobachter über die Vorführqualität in den Kinos der verschiedenen Länder informieren.
Geboren am 26. Juli 1928 in New York verkaufte er schon als 14-Jähriger ein Foto an die Zeitschrift Look. Mit 17 wurde er fix angestellt und mit 21 war er ein bekannter Fotograf. Nach zwei Kurzfilmen ("Day of the Fight", 1949; "Flying Padre", 1951) drehte er zwischen 1953 und 1956 drei lange Spielfilme, die mit dem Familienvermögen finanziert wurden.
Schon hier finden sich nicht nur die zentralen Themen, die Kubricks gesamtes Werk prägen, sondern auch - zumindest in einzelnen Szenen – die inszenatorische Meisterschaft: Dem Kriegsfilm "Fear and Desire" (1953) folgten mit "Paths of Glory" (1957) und "Full Metal Jacket" (1986) weitere Kriegsfilme und um Krieg geht es auch in jedem anderen seiner Filme, sowie es auch immer wieder Einzelkämpfe gibt, wie sie sich in dem Boxerfilm "Killer´s Kiss" (1954) finden, dessen Boxszenen in ihrer physischen Präsenz und Direktheit Martin Scorseses "Raging Bull" (1980) beeinflussten. Gibt es freilich hier noch ein angedeutetes Happy-End, so wird sich das ab "The Killing" (1956) in keinem Kubrick-Film mehr finden.
So perfekt auch der Plan für den Überfall auf eine Pferderennbahn in diesem Gangsterfilm ist, der in vielem eine Variation von John Hustons "Asphalt Jungle" (1950) ist – scheitern wird er schließlich an menschlicher Gier und persönlichen Feindseligkeiten. Und immer wieder werden Pläne in den folgenden Filmen an Zufällen, aber auch an menschlichem Versagen scheitern.
Die Welt muss in der Atomkriegssatire "Dr Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb" (1963) zugrunde gehen, weil die Armee nicht mit dem Ausrasten eines Generals gerechnet hat, die Maschinerie aber so durchgeplant ist, dass ein Atombombenangriff, wenn er nur einmal in Gang gesetzt ist, nicht mehr gestoppt werden kann. - Und auf der sowjetischen Seite leitet das menschliche Versagen des US-Generals ganz unweigerlich wieder einen durch nichts zu stoppenden Gegenschlag aus.
Nicht nur hier wendet sich die perfekte Technik gegen den Menschen, sondern auch in "2001 - A Space Odyssey" (1966-68), wenn der Bordcomputer – das einzige "Wesen" im Werk Kubricks, das emotionale Regungen zeigt – abgeschaltet werden muss, weil er aufgrund der fehlerhaften Programmierung durch einen fehlerhaften Menschen Fehler macht und zur Bedrohung wird. - Nicht die Technik, sondern immer der Mensch, der dahinter steht, ist in den Filmen Kubricks der größte Feind des Menschen.
Eiskalt ist die Welt dieses messerscharfen und abgrundtief pessimistischen Satirikers. Kein warmes Licht und keine warmen Farben gibt es in Kubricks filmischem Universum und Angst ist ein zentraler Gesichtsausdruck seiner Figuren. In Untersichten werden sie zwar ins Gigantische und Dominante überhöht, lassen ihren Aggressionen freien Lauf und schlagen mit Knochen in "2001" oder mit Stöcken in "A Clockwork Orange" (1971) auf ihre Opfer ein, doch einer höheren Macht ausgesetzt, sei es einem ominösen höheren Wesen in "2001", sei es dem staatlichen Straf- und Besserungsvollzug in "A Clockwork Orange", wandelt sich dieser Blick in beiden Filmen in einen angstverzerrten. - Dieser Blick ist zentral im Werk Kubricks und in beinahe allen Filmen gibt es weit geöffnete, frontal in die Kamera blickende Augen.
Verloren ist der Mensch in dieser Welt, nicht nur Colonel Dax, der in "Paths of Glory" (1957) eine Marionette der Generäle ist, oder Spartacus, der sich im gleichnamigen Film (1960) gegen die übermächtige römische Weltmacht erhebt, sondern auch "Barry Lyndon" (1975) im Europa des 18. Jahrhunderts oder die Marines im Vietnamfilm "Full Metal Jacket" (1987), die zunächst von ihrem Vorgesetzten gnadenlos geschliffen und dann in den Straßenschluchten des zerbombten Hue von einem Heckenschützen sukzessive dezimiert werden.
Lange Kamerarückwärtsfahrten isolieren dabei nicht nur immer wieder die Figuren im Raum, sondern verweisen auch auf Kubricks großes Vorbild Max Ophüls, mit dem ihn auch eine Affinität zur untergehenden Habsburgermonarchie verband. Sichtbar wird diese nicht nur in der Adaption von Schnitzlers „Traumnovelle“ als "Eyes Wide Shut" (1999) und dem frühen Plan einer Verfilmung von Stefan Zweigs „Brennendes Geheimnis“, sondern mehr noch in der musikalischen Unterlegung der ersten Weltraumszenen von "2001" mit dem "Donauwalzer", zu dem sich die Raumstation wie das Wiener Riesenrad dreht.
Gleichzeitig stellen sich innere Querverbindungen zwischen den einzelnen Filmen ein, wenn auf den atomaren Holocaust, mit dem "Dr. Strangelove" endet, am Beginn seines nächsten Films "2001" die Entstehung der Welt folgt. An den Blick des Sternenkinds – das einzige Bild des Glücks im Werk Kubricks - am Ende dieses bahnbrechenden Meisterwerks schließt wiederum das Auge von Alex Delarge in der ersten Einstellung von "Clockwork Orange (1971) an und die Sexszene vor einer Gesellschaft des 18. Jahrhunderts am Ende dieser ebenso brillanten wie bitterbösen Gesellschaftssatire weist schon wieder auf den Historienfilm "Barry Lyndon" (1975) voraus.
So ergibt sich ein Kontinuum in Kubricks rein äußerlich disparatem Werk. Gleichzeitig korrespondiert der kalte Blick der Figuren, am markantesten das rote Auge des Bordcomputers Hal in "2001" – einäugig wie der Zyklop in Homers "Odyssee" und dadurch ebenso darauf verweisend wie der Name Bowman auf den Bogenschützen Odysseus – mit Kubricks eisigem Blick auf die Welt.
Emotionaler Zugang ist zu diesen Filmen kaum möglich. Die Inszenierung hält den Zuschauer auf Distanz. Ausnahme stellen hier wohl "A Clockwork Orange" und "The Shining" (1980) dar, in denen die Zuschauer:innen in die Perspektive des Protagonisten hineingezogen werden und durch Kamerafahrten und subjektive Perspektiven ein mitreißender suggestiver Erzählfluss erzeugt wird.
Das Publikum nimmt so selbst an den lustvollen Gewaltakten von Alex DeLarge in "A Clockwork Orange" und am Wahnsinn des von Jack Nicholson gespielten Jack Torrance in "The Shining" teil. Gesteigert wird diese suggestive Kraft noch durch Musikmontagen, die bewusst in Kontrast zu den Bildern stehen: "I´m singin´ in the Rain" begleitet eine Vergewaltigungsszene, Beethovens Neunte Sinfonie andere Gewaltakte, Vera Lynn singt zum atomaren Holocaust in "Dr. Strangelove" "We´ll meet again, some sunny day, don´t know where, don´t know when" und, während am Ende von "Full Metal Jacket" der fröhliche "Mickey-Mouse-Song" gesungen wird, resümiert der Protagonist: "I´m in a world full of shit – yes. But I´m alive and I´m not afraid."
Kein Glück und keine Gefühle gibt es im Werk dieses Monomanen und so folgt auf dieses immerhin ambivalente Statement am Ende von "Full Metal Jacket" beim Abspann mit "Paint It Black" von den Rolling Stones doch noch ein entschieden pessimistischer Kommentar und auch "Eyes Wide Shut" (1999) endet zwar mit der Versöhnung des Ehepaares, doch tiefere Gefühle scheint es kaum zu geben, sondern nur noch den Wunsch nach Sex.
Sein tiefes Misstrauen gegenüber der Dauerhaftigkeit menschlicher Beziehungen und seine Ansicht, dass der Sexualtrieb die stärkste Triebfeder menschlichen Handelns ist und nur moralische Normen dessen Durchbrechen verhindern, wird wohl mit dem letzten Wort in diesem filmischen Vermächtnis deutlich. Auf Tom Cruises Frage an Nicole Kidman, was sie sich wünsche, antwortet sie: "Ficken"
Weitere Informationen und Spieldaten finden Sie auf der Homepage des Stadtkino Basel und des Kino Rex Bern.
Dokumentation "Stanley Kubrick: Meister des visuellen Erzählens" (9 Minuten)
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