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Traumhafte Filme: Film und Traum

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • vor 8 Stunden
  • 4 Min. Lesezeit
Mulholland Drive (David Lynch, 2001)
Mulholland Drive (David Lynch, 2001)

Seit der Frühzeit des Kinos wurden immer wieder Querverbindungen zwischen Traum und Film hergestellt, aber das Kino kann nicht nur in Traumwelten entführen, sondern auch Träume visualisieren. Das Österreichische Filmmuseum in Wien widmet anlässlich der Ausstellung "Träume …träumen" in der Schallaburg bei Melk der "Traummaschine Kino" bis 6. Juli eine umfangreiche Filmreihe.


Die Verwandtschaft von Kino und Traum ist offensichtlich. Wie man bei ersterem mit dem Eintritt in den dunklen Kinosaal und dem Filmbeginn in eine Welt jenseits der Realität abtaucht, so entfernt man sich bei letzterem im Schlaf von der realen Welt. Beide entwickeln dabei auch oft Suggestivkraft und lassen die Kinobesucher:innen oder Träumenden das Erlebte als echt erfahren.


Auffallend ist auch die zeitliche Parallelität der Entstehung des Films und der Entwicklung der Traumdeutung durch Sigmund Freud an der Wende zum 20. Jahrhundert. Früh widmete sich der Film aber auch schon der Darstellung von Träumen. So erweist sich in Edwin S. Porters "Life of an American Fireman" (1903) ein Einsatz eines Feuerwehrmanns als Traum, während Geores Méliès beispielsweise in "Le voyage dans la lune" (1902) eine traumartige Atmosphäre schuf.


Gleichzeitig zeigen sich aber auch große Unterschiede zwischen diesen Filmen und realen Träumen. Denn im Gegensatz zur meist linearen und klar nachvollziehbaren Filmhandlung sind Träume von symbolhaften Bildern und Brüchen in der Narration durchzogen. In diesem Sinne kommen zweifellos surrealistische Filme wie Luis Bunuels "Un chien andalou" (1929) und "L´âge d´or" (1930) oder Maya Derens "Meshes of the Afternoon" (1943) dem Traumcharakter am nächsten, aber auch ein Spielfilm wie Charles Laughtons düsteres Märchen "The Night of the Hunter" (1955) entwickelt in seinen ungewöhnlichen Schwarzweißbildern eine teilweise traumartige Atmosphäre.


Wird das Kino schon an sich mit dem Traum assoziiert, so verweist die Bezeichnung "Traumfabrik", mit der der russische Autor Ilja Ehrenburg die amerikanische Filmindustrie in seinem 1931 erschienenen Sachbuch "Die Traumfabrik: Die Chronik des Films" beschrieb, auf das Kino nicht nur als einen Ort, in dem man in eine Traumwelt eintauchen kann, sondern in dem sich auch die Träume des Publikums für ein paar Stunden erfüllen. Schon zehn Jahre zuvor sprach auch Hugo von Hofmannsthal vom Film als Traumersatz, der die Fantasie der Zuschauer:innen mit Bildern füllt und sie der alltäglichen Öde des Daseins entfliehen lasse.


Neben dem Film als Traumgespinst an sich, gibt es aber auch zahlreiche Filme, die mit Träumen spielen. Meist sind diese Szenen – wie Rückblenden – durch verschwimmende Bilder, Doppelbelichtungen oder Zoom / Kamerafahrt auf das Gesicht des Träumenden von der restlichen Handlung klar abgetrennt, können im modernen Kino aber auch abrupt hereinbrechen und sich erst im Nachhinein als Traum erweisen.


So stehen in "The Wizard of Oz" (1939) den schwarzweißen Szenen im ländlichen Kansas die knallbunten Erlebnisse von Dorothy in der Welt des Zauberers von Oz gegenüber, während in Michael Powells / Emeric Pressburgers "A Matter of Life and Death" ("Irrtum im Jenseits", 1946) die irdischen Szenen in Technicolorfarben erstrahlen, die Träume eines abgeschossenen und schwerverletzten Piloten von seiner Ankunft im Himmel dagegen in Schwarzweiß gehalten sind.


Auf unterschiedliche Weise propagieren so beide Filme das Leben im Hier und Jetzt und erteilen der Traumwelt eine Absage. Aber auch Fritz Langs "The Woman in the Window" ("Gefährliche Begegnung, 1944) enthält eine klare Aufforderung den bürgerlichen Alltag nicht zu verlassen, wenn im Traum das Verlangen nach einer schönen Frau den Protagonisten ins Unglück stürzt.


Umgekehrt kann die Schilderung einer glücklichen Traumwelt auch eine bittere Abrechnung mit den Schrecken des Krieges darstellen. So machen nämlich in Dalton Trumbos "Johnny Got His Gun" ("Johnny zieht in den Krieg", 1971) erst die Träume des verstümmelt und bewegungsunfähig in einem Lazarett in Frankreich liegende Soldaten deutlich, welche Möglichkeiten und welches Leben ihm durch den Krieg geraubt wurde.


Meisterhaft mit dem Verhältnis von Kino und Traum spielt wiederum Buster Keaton im nur 45-minütigen "Sherlock Junior" (1924), wenn er darin einen Filmvorführer im Traum zum Meisterdetektiv werden lässt, der einen Verbrecher entlarvt. Der Linearität dieses Traums stehen die von Salvador Dali gestalteten kurzen Sequenzen in Hitchcocks "Spellbound" ("Ich kämpfe um dich", 1945) gegenüber, in denen nicht geträumt wird, sondern der Protagonist seine Träume im Wachzustand erzählt. Funktion dieser Szenen ist es ein Rätsel zur Biographie des Protagonisten aufzubauen, das im Laufe des Films durch Deutung der surrealen Bilder gelöst werden muss.


Regisseure wie Ingmar Bergman und Federico Fellini wiederum nutzten in "Smultronstället" ("Wilde Erdbeeren", 1957) beziehungsweise in "Otto e mezzo" ("Achteinhalb", 1963) Träume, um Einblick in die Psyche der Protagonisten zu bieten und ihre Ängste, Demütigungen und Fehler bewusst zu machen. Dabei wird die Realität gezielt aufgelöst, wenn Menschen fliegen können, Tote aus Gräbern aufsteigen oder Uhren keine Zeiger haben.


Luis Bunuel nutzte dagegen immer wieder Traumerzählungen, um lustvoll mit dem Bürgertum abzurechnen und Triebstrukturen hinter der Fassade sichtbar zu machen. So pendelt "Belle de jour" (1966) , in dem Catherine Deneuve als gelangweilte Hausfrau tagsüber in einem Bordell arbeitet, zwischen Tagtraum und Realität und in "Le charme Discret de la bourgeoisie" ("Der diskrete Charme der Bourgeoisie", 1972) werden bei einer Abendgesellschaft herrlich surreal-absurde Träume erzählt.


Verschwimmen schon bei Bunuel die Grenzen zwischen Realität und Traum, so wurde diese Entwicklung in den letzten Jahrzehnten immer weiter getrieben. Der Meister darin war zweifellos David Lynch, bei dem in Filmen wie "Eraserhead" (1977), "Lost Highway" (1997), "Mulholland Drive" (2001) und "Inland Empire" (2006) unentscheidbar ist, wo die Realität endet, und der Alptraum beginnt.


Viel zu entdecken bietet so diese Filmreihe des Österreichischen Filmmuseums, die in Kooperation mit der Ausstellung "Träume …träumen" in der Schallaburg bei Melk entstanden ist. Nicht nur klassische Spielfilme werden gezeigt, sondern der Bogen spannt sich vom kurzen Stummfilm "Alice in Wonderland" (1903) bis zur Verfilmung von Tim Burton (2010) und von Carl Theodor Dreyers "Vampyr" (1932) über Hayao Miyazakis "Sen to Chihiro no kamikakushi" ("Chihiros Reise ins Zauberland", 2001) und James Camerons "Terminator 2: Judment Day" (1991) bis zu Norbert Pfaffenbichlers experimentellen "2551.02 – The Orgy of the Damned" (2023) und "2551.03 – The End" (2025).



Weitere Informationen zur Filmreihe und Spieldaten finden Sie hier.

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