Unspektakuläre Porträts von Menschen in der Midlife-Crisis waren die Spezialität von Claude Sautet. Seinen Namen verbindet man vor allem mit Romy Schneider, mit der er in den 1970er Jahren fünf Filme drehte. In Gesprächen mit dem Romanautor, Filmkritiker und Produzenten Michel Boujut bietet er Einblick in die Entstehung seiner Filme.
Thierry Frémaux, der Direktor des Institut Lumière und des Filmfestivals von Cannes, zeigt in seinem Vorwort zur 2014 erschienenen französischen Ausgabe eindrücklich auf, wie sich die Einschätzung Claude Sautets im Lauf der Jahrzehnte wandelte.
Galt er in den 1990er Jahren noch als bürgerlicher Erfolgsregisseur von geringer Bedeutung, so ist er nicht nur für Fremaux heute ein großer Drehbuchautor und Filmemacher. Diese Bedeutung vermitteln auf dem Buchumschlag auch Zitate von Dominik Graf, der ihn als "Gigant des europäischen Kinos" bezeichnet, und Caroline Link, die von "Claude Sautet: mein hero und all time favourite" spricht.
Diese hohe Wertschätzung vermitteln aber auch Beiträge von Daniel Auteuil, der in zwei Filmen Sautets ("Einige Tage mit mir" und "Ein Herz im Winter") die Hauptrolle spielte und der über die Zusammenarbeit mit Sautet berichtet, sowie seiner Kollegen Jean-Pierre Melville und Francois Truffaut oder von Mitarbeitern wie den Drehbuchautoren Claude Neron, Jean-Loup Dabadie und Philippe Jardin, dem Schauspieler Michel Piccoli und seinem Stamm-Komponisten Philippe Sarde.
Im Zentrum des Buchs stehen aber die Gespräche die Michel Boujut mit Sautet führte, mit dem ihn eine 20-jährige Freundschaft verband. In einem einleitenden Abschnitt erzählt der 1924 geborene Franzose von seinem familiären Hintergrund, seiner Kindheit und Jugend, der Zeit des Zweiten Weltkriegs und seinen Weg von der Kunstakademie zum Film. Ausführlich geht Sautet dabei auch auf seine Regieassistenzen und seine Rolle als "Neubesohler" – also Überarbeiter - von Drehbüchern, die er auch später noch ausführte, ein.
Darauf folgen 13 Gespräche, in denen chronologisch die einzelnen Filme Sautets vom Gangsterfilm "Ein Panther wird gehetzt" (1960) über seinen vielleicht größten Erfolg "Die Dinge des Lebens" (1970) bis zu "Nelly & Monsieur Arnaud" (1995) behandelt werden. Im Zentrum stehen dabei immer wieder die Genese der Drehbücher, die Besetzung der Rollen und die Arbeit mit den Schauspieler*innen.
Aber natürlich spricht Sautet auch über die Themen und Motive der einzelnen Filme, Parallelen und Unterschiede bis hin zu Cafés und Brasserien als wiederkehrenden zentralen Schauplätzen oder über die Bedeutung der zahlreichen Regenszenen. Einblick wird nicht nur in die Rolle der wiederkehrenden Zusammenarbeiten geboten, sondern offen spricht Sautet auch über die Spiegelung eigener Ängste in seinem Werk und blickt auch durchaus selbstkritisch auf einzelne Szenen und Filme.
Die präzisen Ausführungen des Regisseurs, die von Boujut in eine wunderbar flüssig zu lesende Form gebracht wurden, wecken dabei große Lust die vorgestellten Filme (wieder) zu sehen. Neben den Gesprächen fehlen aber auch Texte von Sautet selbst nicht. Bewundernd äußert er sich hier nicht nur über den Autor Claude Néron und vor allem über Romy Schneider, sondern reflektiert auch über das Verhältnis von Thema und Konstruktion oder schwärmt von Marcel Carnés "Der Tag bricht an".
In knappen Antworten bietet der 2000 verstorbene Regisseur in seiner Rückmeldung auf die 1987 von der Zeitung Liberation durchgeführte Umfrage "Warum filmen Sie?" Einblick in seine Motivation und eine Liste von Lieblingsfilmen vermittelt seine filmischen Vorlieben.
Abgerundet wird das beglückende Filmbuch durch ein Verzeichnis der erwähnten Filme sowie durch ein Namensregister.
Sautet, Claude / Boujut, Michel, Claude Sautet – Regisseur der Zwischentöne. Gespräche mit Michel Boujut, Alexander Verlag, Berlin 2022. 329 S., € 30, ISBN 978-3-89581-564-5
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