Der Katalog zum XVI. CineFest in Hamburg bietet einen Streifzug durch die Geschichte der politischen Filmsatire von der Weimarer Republik bis zur Gegenwart. Neben Essays zu Hintergrund und historischem Kontext, werden auch die rund 30 beim Festival gezeigten Filme mit kurzer Inhaltsangabe und zeitgenössischen Rezensionen vorgestellt.
250 Titel umfasste die Arbeitsliste zum XVI. CineFest, rund 30 Titel wurden schließlich für das Programm ausgewählt. Nicht nur Klassiker, sondern auch vergessene und verdrängte Filme sollten präsentiert werden, um unter dem Untertitel „Film zwischen Polit-Komödie und Gesellschafts-Satire“ einen möglichst umfassenden Einblick in das Dreieck Komik – Politik / Gesellschaft – Kritik zu bieten.
Einleitend werden Kurt Tucholskys berühmtem Essay „Was darf Satire?“ Textpassagen aus der Weimarer Republik und von 1937 gegenübergestellt, in denen unterschiedliche Positionen zur Satire vertreten werden.
Der Bogen der anschließend vorgestellten – und beim Festival gezeigten - Filme spannt sich vom Stummfilm „Die Stadt ohne Juden“ (1924) über NS-Produktionen wie „Amphitryon“ (1935) und „Land der Liebe“ (1937), den deutsch-österreichischen Nachkriegsfilm und Filme des kommunistischen Osteuropa bis zu Robert Altmans „The Player“ (1992) und David Wnendts „Er ist wieder da“ 2014).
Auf kurze Inhaltsangeben folgen dabei immer zeitgenössische Kritiken, die Einblick in die Rezeption der Filme bei ihrer Premiere bieten. Neben Klassikern wie Lubitschs „To Be Or Not To Be“ (1942), Wolfgang Staudtes „Der Untertan“ (1951) und Stanley Kubricks „Dr. Strangelove: Or How I Learned to Stopp Worrying and Love the Bomb“ (1963) wird viel Platz auch weniger bekannten Filmen eingeräumt.
Als vergessene Perle wird Theo Lingens „Hin und Her“(1947) präsentiert, in dem nach Ödön von Horvaths 1933 erschienener Posse mit der Bürokratie abgerechnet wird, aber auch der kaum bekannte Heinz Rühmann-Film „Der Herr vom andern Stern“ (1948) wird vorgestellt. Olaf Brill bietet einen kurzen Überblick über satirische und kabarettistische Filme im deutsch-österreichischen Nachkriegskino, ausführlich wird der Skandal beleuchtet, den Fritz Kortners Fernsehfilm „Die Sendung der Lysistrata“ (1960) auslöste und dessen Ausstrahlung der Bayrische Rundfunk boykottierte.
Ralf Schenk beleuchtet die Schwierigkeiten beim Drehen satirischer Filme in der DDR, mit den kurzen „Stacheltier“-Produktionen, die zwischen 1953 und 1965 als Kino-Vorprogramm entstanden, gab es zunächst aber noch ein Schlupfloch, bis beim 11. Plenum des ZK der SED im Dezember 1965 nahezu die ganze Jahresproduktion der DEFA verboten wurde. Alena Šlingerová wiederum widmet sich der Rolle der Satire im tschechoslowakischen Film, die mit mehreren Filmbeispielen dokumentiert wird.
Prägnant zeigt Olaf Brill an Ernst Lubitschs “To Be Or Not To Be” (1942), Billy Wilders „One, Two, Three” (1961) und Stanley Kubricks “Dr. Strangelove: Or How I Learned to Stopp Worrying and Love the Bomb” (1963), wie sich mit zunehmender zeitlicher Distanz zu den Ereignissen wie NS-Regime, Geteiltes Berlin, Kuba-Krise, die zur Entstehungszeit dieser Filme brennend aktuell waren, deren Einschätzung änderte und aus zunächst vielgeschmähten Filmen Klassiker und Kultfilme wurden.
Ausführliche filmographische Angaben zu den vorgestellten Filmen sowie ein Anhang mit Biographien der Regisseure runden den in der Münchner Edition text + kritik erschienenen Katalog ab, der nicht nur die Spannweite des Genres in der Filmgeschichte dokumentiert, sondern sicher auch bei der Kuratierung einer Filmreihe zum Thema „Satire“ sehr hilfreich ist.
Dr. Seltsam oder: Aus den Wolken kommt das Glück. Film zwischen Polit-Komödie und Gesellschafts-Satire. Edition text + kritik, München 2019. 168 S., € 25, ISBN 978-3-96707-093-4
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