Auf stattliche 17 Bände bringt es inzwischen die im Psychosozial-Verlag erscheinende Reihe "Im Dialog: Psychoanalyse und Filmtheorie". Teilweise aus filmwissenschaftlicher, teilweise aus psychoanalytischer Sicht werden darin jeweils die Filme eines Regisseurs analysiert. Der aktuelle Band widmet sich Jean-Luc Godard.
Mitherausgeber Andreas Hamburger geht im einleitenden Beitrag der Frage nach, ob die Filme Jean-Luc Godards ein Fall für die Psychoanalyse seien, zeichnet die verschiedenen Schaffensperioden des französisch-schweizerischen Regisseurs nach und gibt einen kurzen Einblick in die folgenden Beiträge. Wilfried Reichart blickt ausgehend vom Widerspruch, der Godards Werk kennzeichnet und ihn für den Autor zum wichtigsten Filmautor des modernen Kinos macht, ebenfalls auf die verschiedenen Schaffensperioden sowie die Reflexion über das Medium als Konstante in Godards Filmen.
Zwei Beiträge widmen sich Godards Debüt "A bout de souffle". Während Andreas Hamburger der Frage nach der ungebrochenen Faszination dieses Klassikers nachspürt und anhand der detaillierten Analyse zentraler Szenen die Intertextualität und die vielfältigen Verweise herausarbeitet, widmet sich Gerhard Schneider ausgehend vom Spannungsfeld zwischen der Verzauberung bei der ersten Sichtung in den frühen 1960er Jahren und der Entzauberung bei der Sichtung 2019/20 Momenten des Glück des Erblicktwerdens und der anschließenden Desillusionierung.
Katharina Leube-Sonnleitner untersucht Geschlechterbilder, Kommunikationsstörungen und die göttliche Komponente in "Le Mépris", während Andreas Rost anhand von "Bande a part", "Une femme mariée"und "Masculin, feminin" der Entwicklung Godards zum politischen Filmemacher nachspürt, aber auch Selbstreflexivität und enttäuschte Liebesbeziehungen als wiederkehrende Themen entdeckt.
An "Alphaville" zeigt Andreas Jacke, dass Godard der Augenblick wichtiger ist als die klare Plotline eines Genrefilms, deckt aber auch dessen teilweise sexistisches Frauenbild auf. Karin Nitzschmann arbeitet dagegen am Beispiel von "Week End" die Widersprüche und Provokationen heraus, durch die der Zuschauer gezwungen wird zu reflektieren.
Auf Godards Rückkehr ins Kino in den 1980er Jahre und seine Filme von "Sauve qui peut (la vie)" bis "Detective" blickt dagegen der Filmjournalist Gerhard Midding. Die neuen Möglichkeiten, die dieser Erneuerer des Kinos im Video fand, werden dabei ebenso dargestellt, wie die Zunahme der vielfältigen Anspielungen auf europäische Kunst, Literatur und Musik, während die Bezüge zum klassischen Hollywood abnahmen.
Der Musikwissenschaftler Dietrich Stern wiederum untersucht Godards antiillusionistischen Umgang mit der Musik, die als selbstständiges Element und Dokument der Filmerzählung verwendet wird. Abschließend fokussieren Timo Stork und Joachim F. Dankwardt auf Godards bislang letzten Filmen und spüren einerseits dem Umgang mit 3D in "Adieu au langage" und andererseits der Offenheit von "Le livre d´image" nach, der – wie viele Filme Godards – kein geschlossenes Bild gibt und auf keinen Begriff festgenagelt werden soll.
Von hoher Qualität sind alle Beiträge, während aber die Aufsätze der Filmjournalisten Reichart und Midding auch Lesevergnügen bereiten, stellt der psychoanalytische Blick auf die Filme – wie Godards Filme selbst – deutlich höhere Anforderungen an den Leser. Gerade dieser ungewohnte und neue Blick führt aber freilich auch zu neuen Einsichten und kann eine erneute Sichtung der Filme oder eine weitere Beschäftigung mit Godards Filmen im Allgemeinen wesentlich bereichern.
Andreas Hamburger, Gerhard Schneider, Peter Bär, Timo Storck, Karin Nitzschmann (Hg.), Jean-Luc Godard. Denkende Bilder. Im Dialog: Psychoanalyse und Filmtheorie, Band 17. Psychosozial-Verlag, Gießen 2020. 148 S., ISBN 978-3-8379-3011-5, € 24,90
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