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  • AutorenbildWalter Gasperi

Filmbuch: John Woo (Film-Konzepte 72)

Mit seinen actionreichen Gangsterfilmen bereitete John Woo dem Hongkong-Kino in den späten 1980er Jahren den Weg im Westen. Der 72. Band der Reihe Film-Konzepte beleuchtet in sechs gewohnt fundierten und tiefschürfenden Essays unterschiedliche Aspekte im Werk des 78-Jährigen, um den es seit der Jahrtausendwende still geworden ist.


Wie beinahe alle Bände der Reihe Film-Konzepte will auch dieser nicht eine Analyse aller Filme des porträtierten Regisseurs bieten, sondern legt den Fokus auf spezielle Aspekte und wiederkehrende Elemente im Werk Woos, aber auch auf die Rezeption dieses Werks im Westen.


So vermittelt Andreas Ungerböck in seinem Beitrag, sichtlich von persönlichem Erleben geprägt, die Begeisterung, die die Entdeckung von Woos Meisterwerken "A Better Tomorrow" (1987) und "The Killer" (1989) auf den Filmfestivals von Berlin bzw. Cannes auslöste. Anschaulich stellt der Autor dabei diese Filme nicht nur in den Kontext von Woos Frühwerk, sondern auch in den des asiatischen Kinos und dessen Eroberung der internationalen Filmfestivals seit dieser Zeit. Andererseits wird aber auch der deutlich kritischere Blick asiatischer Filmjournalist:innen auf Woo und deren Kritik an der von Eurozentrismus bestimmten falschen Sicht der westlichen Filmkritiker:innen herausgearbeitet.


Herausgeber Till Brockmann blickt dagegen sowohl auf die teilweise Fehleinschätzung Woos aufgrund fehlender Kenntnis von dessen Frühwerk als auch auf die Skepsis gegenüber Woos chinesischen Filmen der letzten Jahre aufgrund von deren nationalistischen Tönen. Aber auch auf die meisterhafte und völlig neuartige Inszenierung von Actionszenen mit Zeitlupe und rasanten Montagen sowie die Steigerung der Popularität dieses Werks in den letzten Jahren durch neue Distributionsformen wie Tablet, Smartphone und Streaming-Plattformen weist der Autor hin.


Clemens von Haselberg widmet sich in seinem Beitrag dem Begriff des "Gongwu" in den Filmen Woos. Ausgehend von einem geschichtlichen Blick auf die Rolle dieses Motivs des Heldentums in früheren Gangster- und Wuxia-Filmen, analysiert der Sinologe und Filmwissenschaftler, wie Woo dieses in "A Better Tomorrow" und "Bullet in the Head" (1990) verarbeitet. Anschaulich arbeitet er dabei die Rastlosigkeit der Protagonisten, Freundschaft und Loyalität, aber auch Verrat und Rache als zentrale Elemente heraus und weist auf deren Fehlen in den US-Produktionen und den neueren chinesischen Filmen Woos hin.


Lukas Foerster zeigt dagegen, ausgehend von der allgemeinen Konstruktion des Helden im Martial-Arts-Kino, wie Woo seine Helden nicht über die Narration, sondern die Fokussierung auf Accessoires und Ticks sowie eine extreme Stilisierung von Handlungen aufbaut.


Auf die Rezeption speziell durch die französische Cinephilie blickt dagegen Joachim Schätz. Er widmet sich dabei vor allem der figuralen Analyse von Nicole Brenez, die sich mit der Inszenierung der Bilder, deren Veränderlichkeit und Instabilität sowie der Betonung des Augenblicks durch die Kürze der Einstellungen und die Verwendung von Zeitlupe beschäftigt.


Thomas Bohrmann spürt schließlich religiösen Momenten in der Filmwelt Woos nach. In detailreicher und anschaulicher Analyse konkreter Filmszenen arbeitet der Theologe, Sozial- und Medienethiker den Kampf zwischen Gut und Böse in einer Welt, in der Gewalt herrscht, aber Kinder immer wieder als moralische Vorbilder vorkommen, als wiederkehrendes Motiv heraus. Schlüssig werden die Verwendung dieser Motive ebenso wie von Kirchen und Krankenhäusern als Schauplätze, die für eine physische und psychische Reinigung stehen, aus der Kindheit Woos in einem christlichen, aber von Gewalterfahrungen geprägten Umfeld erklärt. Knapp stellt Bohrmann dabei auch Querverbindungen zwischen der Biografie Johannes´ des Täufers, dessen Name Woo in der Grundschule wählte, weil sein amerikanischer Englischlehrer seinen chinesischen Namen nicht aussprechen konnte, und den Handlungslinien in den Filmen des Actionregisseurs her.


Abgerundet wird der schmale Band, von dessen fundierter Recherche schon die zahlreichen Quellenangaben bei den anspruchsvollen Beiträgen zeugen, wie gewohnt bei der Reihe Film-Konzepte durch eine kurze Biografie und eine Filmografie, bei der der internationale Filmtitel, Entstehungsland und -jahr sowie jeweils die Filmlänge aufgelistet werden.

 

Till Brockmann (Hg.), Film-Konzepte 72: John Woo, Edition text + kritik, München 2024. 97 S., € 28, ISBN 978-3-96707-904-3

 

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