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AutorenbildWalter Gasperi

Filmbuch: Michael Mann - Kino zwischen Zorn und Einsamkeit

Von der Fernsehserie "Miami Vice" über "Der letzte Mohikaner" bis "Heat" und "Collateral": Michael Mann gilt als brillanter Stilist und Meister des Actionkinos. Doch was hebt seine Filme über großartiges Genrekino hinaus? – An der Schnittstelle von Filmwissenschaft und Psychologie setzen sich zehn Autoren in dem im Springer Verlag erschienenen Sammelband mit Inhalt und Ästhetik der Filme Michael Manns auseinander und arbeiten deren Wirkung heraus.


Das erste deutschsprachige Buch über das Gesamtwerk Michael Manns ist keine Monographie, sondern ein Sammelband, in dem aus unterschiedlichen Perspektiven Facetten dieser stilistisch brillanten Filme beleuchtet werden. Gleichzeitig wird dabei aber auch ein Eindruck der unterschiedlichen Zugänge vom schicksalsanalytischen über den psychästhetischen und psychoanalytischen bis zur seduktiven Filmtheorie vermittelt.


Gemeinsam ist den Beiträgen, dass sie auf detaillierten Beschreibungen des Inhalts aufbauen und die Argumentation dadurch anschaulich und nachvollziehbar wird. So zeichnet der Schicksalsanalytiker Alois Altenweger am Beispiel des Serienkiller-Thrillers "Manhunter" ("Blutmond", 1986) Michael Mann als einen Profiler des Bösen, der seinen genetisch angeborenen Triebzwang zur Vernichtung durch das Schreiben seiner Drehbücher und deren Verfilmung kompensiert und kanalisiert.


Markus Stiglegger zeigt dagegen in seiner seduktionstheoretischen Analyse des von den Produzenten von 210 auf 96 Minuten gekürzten und verstümmelten Mystery-Horrorfilms "The Keep" ("Die unheimliche Macht", 1983) auf, wie der Filmästhet Mann das Publikum audiovisuell vereinnahmt und mit der Motivik von Licht und Finsternis zu einem mythischen Denken verführt, in dem sich die Dichotomie von Gut und Böse auflöst.


Andreas Hamburger wiederum untersucht den Thriller "Collateral" (2004) aus psychoanalytischer Perspektive. Detailliert arbeitet der Autor dabei heraus, wie Mann durch die Intensität der Bildsprache die Oberflächenhandlung unterminiert und fast abstrakte Bildkunst bietet und wie das Thema der Einsamkeit und Verlassenheit in der Großstadt frühkindliche Erfahrungen spiegelt. Gleichzeitig sieht Hamburger im Traum des einfachen Taxifahrers von einem eigenen Limousinenservice eine Spiegelung des Traums der Zuschauer:innen aus ihrem Alltag auszubrechen.


Der Diplompsychologe Dirk Blothner analysiert dagegen aus dem Blick der psychologischen Morphologie zentrale Szenen aus mehreren Filmen Manns, um Wirkungszusammenhänge zu tiefgreifenden, unbewussten Konflikten unserer Zeit aufzudecken. So entdeckt Blothner in "Public Enemies" (2009) Umbruchszenarien, die wir auch im Alltag erfahren, und in "Collateral" die Frage, wie sich die Farbigkeit des Lebens in einer durchkontrollierten und von Formalismus bestimmten Wirklichkeit behaupten kann. Zentral ist für den Autor dabei, wie Mann diese Themen, zu denen auch Respekt vor der Natur und die Beziehung zwischen Kulturen in "The Last of the Mohicans" (1992), die Wut in "Heat" (1995) oder die Liebesgeschichte in "Miami Vice" (2006) gehören, mit sinnlich-materialer Gestaltung vermittelt.


Herausgeber Holger Schumacher untersucht wiederkehrende Motive der Dramaturgie und Bildgestaltung aus psychohistorischer Sicht. In präziser Analyse deckt er Manns Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen nach Weiblichkeit und Männlichkeit, nach Freiheit und Bindung und nach dem Bösen auf, die entscheidend zur Faszination und Popularität dieser Filme beitragen..

 

Zwei Beiträge widmen sich "The Last of the Mohicans". Theo Piegler untersucht den Film aus psychoanalytischer Sicht, beleuchtet den historischen Hintergrund und die filmgeschichtliche Position im Hollywood-Western. Der Autor sieht diese James Fenimore Cooper-Verfilmung aber nicht nur als einen Mix aus Abenteuer- und Liebesfilm, sondern arbeitet an ihm auch zentrale Motive für den US-amerikanischen Gründungsmythos heraus. Zudem wirft der Autor die Frage auf, inwieweit die Thematisierung der Identitätsfrage, die sich nicht nur in diesem Film findet, sondern sich durch Manns Werk zieht, von persönlichen Lebenserfahrungen des Regisseurs beeinflusst ist

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Der Filmwissenschaftler Andreas Jacke arbeitet dagegen ausgehend von den deutschen Western der 1960er Jahre, die als Verarbeitung des Holocaust gedeutet werden, das Bild des "edlen Wilden", die christologische Struktur mit der Opferbereitschaft des Helden und christlich antisemitische Vorurteile, die in die feindlichen Huronen projiziert werden, heraus. Für den Autor steht so der gelungenen, aber auch mit Klischees arbeitenden Vitalisierung der Figuren die Weiterverbreitung von höchst fragwürdigen, rassistischen Stereotypen gegenüber.


Der Medienwissenschaftler Henry M. Taylor zeigt dagegen in seinem Beitrag beeindruckend auf, wie Michael Mann in "The Insider" durch Bruch mit dem klassischen continuity-editing, das das Publikum völlig in die Filme hineinziehen sollte, Verunsicherung und Bedrohung auf die Zuschauer:innen überträgt. Der Bogen der filmischen Mittel, die Mann dabei einsetzt, spannt sich von einer verwackelten Handkamera über Jump Cuts und Achsensprünge bis zur Dominanz von Detail- und Großaufnahmen, die keinen Überblick gewähren.


Aber auch der Inhalt mit einer doppelten David gegen Goliath-Geschichte (Mitarbeiter eines Tabakkonzerns als Whistleblower gegen den Konzern; TV-Journalist gegen die Beschränkungen durch seinen Medienkonzern) und den konträren Protagonisten wird detailliert analysiert.


Der Medienhistoriker und Medientheoretiker Andreas Rauscher wiederum ordnet die Fernsehserie "Miami Vice" (1985 – 1989) in den kulturellen Zeitgeist der 1980er Jahre ein. Auf die Verbindung des sonnigen Floridas mit Noir-Optik und die menschlichen und gesellschaftlichen Abgründe unter der schillernden Oberfläche mit luxuriösen Settings geht der Autor dabei ebenso ein, wie auf die von Videoclips bestimmte Ästhetik und die zentrale Bedeutung des sehr erfolgreich vermarkteten Soundtracks sowie auf die Anzüge der Ermittler, die die Mode der 1980er Jahre mitbestimmten. Aber auch die kritischen Kommentare zur damaligen Reagan-Regierung werden aufgedeckt.


Ganz auf das berühmte Treffen der von Robert De Niro und Al Pacino gespielten Antagonisten in einem Diner in "Heat" beschränkt sich Niklas Gebele. Ausgehend von der Feststellung, dass fiktionale Geschichten als Türöffner für die psychotherapeutische Arbeit zentral sind, zeigt der Diplompsychologe und psychologische Psychotherapeut auf, wie man anhand dieser Filmszene, in der der universelle und archaische Konflikt von Bindung und Individuation, von Distanz und Nähe zutage tritt, ein psychotherapeutisches Gespräch beginnen und dann zu den persönlichen, den/die Patient:in direkt betreffenden Themen führen kann.


So bietet dieser Sammelband, auch wenn die Beiträge nicht immer leichte Lektüre bieten, auf jeden Fall spannende und vielfältige Blicke auf das Œuvre des 81-jährigen Amerikaners. Etwas spärlich ist zwar die Bebilderung, doch die verwendeten Filmstills unterstützen immer die Darstellung. Bedauern kann man freilich, dass einige Filme wie "Ali" (2001) oder sein jüngstes Werk "Ferrari" (2023) unbeachtet bleiben, doch immerhin kann man nun auch diese Filme aus den Erkenntnissen, die man aus "Michael Mann. Kino zwischen Einsamkeit und Zorn" gewonnen hat, nochmals sichten.

 

 

Holger Schumacher (Hg.), Michael Mann. Kino zwischen Zorn und Einsamkeit, Springer VS, Wiesbaden 2024, 171 S., € 41,11, ISBN 978-3-658-41672-0 (e-Book: ISBN 978-3-658-41673-7, € 29,99)

 

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