Mit dem Actionfilm „Drive“ gelang dem Dänen Nicolas Winding Refn der internationale Durchbruch, doch mit seinen folgenden Filmen „Only God Forgives“ und „The Neon Demon“ verstörte er Publikum und Kritik durch extreme Gewaltdarstellung und radikale Ästhetisierung. Der 54. Band der Reihe Film-Konzepte beleuchtet einzelne Aspekte von NWRs Werk.
Wie gewohnt bei der Reihe Film-Konzepte bietet auch dieser Band zum 1970 geborenen Dänen keine chronologische Vorstellung und Analyse seiner bislang zehn Kinofilme, sondern in neun Essays werden einzelne Aspekte dieses Werks beleuchtet. Die Gewaltdarstellung, die präsentierten Männlichkeitsbilder und die Ästhetisierung sind dabei wiederkehrende Punkte.
So blickt Herausgeber Jörg von Brincken in seinem Vorwort auf den filmischen Fetischismus NWRs, auf die Überhöhung durch Licht- und Farbdramaturgie, das Spiel mit starken visuellen Kontrasten und das Oszillieren zwischen tieferem inhaltlichen Sinn und purer visueller und akustischer Sinnlichkeit. Als ein Grund für die exzessive Farbgestaltung wird dabei auch die Farbenblindheit des Regisseurs angeführt, die ihn nach eigener Aussage zwinge mit möglichst starken Kontrasten zu arbeiten.
Während sich Jakob Larisch mit der Gewaltdarstellung speziell in „Drive“ und „The Neon Demon“ beschäftigt und an einzelnen Szenen den Unterschied zwischen operationaler und temporaler Gewaltdarstellung herausarbeitet, untersucht Sofia Glasl die Rolle von Farben und Geschwindigkeit in NWRs Filmen. Die Autorin arbeitet dabei nicht nur die unterschiedliche Symbolik der Farben in „Pusher 2“, „Bronson“, „Drive“ und „The Neon Demon“ heraus, die mit Ausgestoßenheit oder Zugehörigkeit und Anerkennung konnotiert sind, sondern zeigt auch auf, wie die Zunahme der Farbgestaltung in Winding Refns Werk mit einer gleichzeitigen Verlangsamung des Erzähltempos bis hin zum Stillstand in „The Neon Demon“, der von Tableaus bestimmt ist, korrespondiert.
Ivo Ritzer setzt sich mit der Mise-en-Scene von „Drive“ auseinander, den er ausführlich mit Walter Hills „Driver“ vergleicht. Statt nach Kohärenz und Plausibilität strebt NWR laut Ritzer dabei auf Momente der Spektakularität, die durch Licht, Farbe, permanente Perspektivenwechsel und Sounddesign erzeugt wird. Während Lucas Curstädt anhand von „The Neon Demon“ über das Verhältnis von Leinwand und Filminhalt reflektiert, blickt Susanne Kappesser auf die margnialisierten Männlichkeiten in „Pusher“, „Puscher 2“, „Bronson“ und „Only God Forgives“. Die Autorin legt in ausführlicher Analyse dar, dass die Protagonisten dieser Filme nicht nur als Kriminelle, sondern auch durch fehlende Akzeptanz durch Vater oder Mutter ausgegrenzt sind und versuchen sich durch Gewalt Wertschätzung zu verschaffen.
Lioba Schlösser wiederum untersucht die Körperkonzepte in NWRs Filmen und die Durchbrechung der Normen in der Darstellung der Zerstörung der Körper von der „Pusher“-Trilogie bis zum Kannibalismus in „The Neon Demon“. Auf Marcel Schellongs Beitrag zu „Kontingenz und Kontingenzbewältigung“ folgt abschießend ein Essay von Marcus Stiglegger zum Verhältnis von Mythos und Moderne in den Filmen des Dänen.
Oberflächlichkeit kann man diesem Band sicher nicht vorwerfen, Tiefenbohrungen im Werk Winding Refns werden hier vielmehr durchgeführt. Keine leichte Lektüre wird geboten, sehr theoretisch und anspruchsvoll sind die einzelnen Beiträge, bieten in ihrer Wissenschaftlichkeit aber sicher eine wichtige Grundlage zur weiteren Beschäftigung mit dem Werk des höchst umstrittenen dänischen Regisseurs.
Jörg von Brincken (Hg.), Film-Konzepte 54: Nicolas Winding Refn. Edition text + kritik, München 2019. 112 S., € 20, ISBN 978-3-86916-805-0
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