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AutorenbildWalter Gasperi

Filmbuch: Perspektiven auf Robert Eggers´ Filme

Von "The VVitch" über "The Lighthouse" zu "The Northman" und "Nosferatu": Der im Büchner Verlag erschienene Sammelband wirft in 14 Essays und einem Interview ganz unterschiedliche Blicke auf das schmale, aber aufregende Werk des Amerikaners Robert Eggers.


Die Filme des 41-jährigen Robert Eggers´ erfahren auch im deutschsprachigen Raum eine überraschend starke Rezeption. Nachdem Adrian Gmelch schon in seinem Buch "Art Horror. Die Filme von Ari Aster und Robert Eggers" vielschichtige Einblicke in die Entwicklung und das Werk Eggers´ geboten hat, folgt nun mit dem von Gmelch, Daniel Hercenberger und Jan Niklas Hochfeldt herausgegebenen Sammelband "Perspektiven auf Robert Eggers´ Filme" nur drei Jahre später eine zweite umfangreiche Publikation. Anlass dafür ist der Start von Eggers´ Remake von "Nosferatu" am 2. Januar 2025.


Auf eine Einleitung, in der die Herausgeber Eggers´ Filme im Spannungsfeld von Mythen, Märchen und Folklore verorten und seinen Umgang mit klassischen Stoffen beschreiben, folgt ein Interview Adrian Gmelchs mit Eggers´ Stammkameramann Jarin Blaschke, der Einblick in die Zusammenarbeit mit dem Regisseur bietet.


Daran schließen sich drei Essays an, die Gemeinsamkeiten in den bisherigen drei Langfilmen des Amerikaners herausarbeiten. So blickt J. W. Kähler auf Parallelen zu Filmen anderer Regisseure wie Stanley Kubrick, arbeitet die Rolle der Zusammenarbeit mit einem konstanten Team und die Versessenheit für historische Details heraus, die diese Filme ebenso wie die intellektuelle Unterfütterung vom reinen Horror unterscheiden.


Der akribisch genauen Evokation vergangener Zeiten durch Dialoge, Beleuchtung, Kulisse und Kostüme widmet sich auch Jenny Hagemann, aber die Autorin arbeitet auch heraus, wie Eggers diese historischen Settings immer wieder nützt, um zeitlos die Erschütterung von Männlichkeit zu thematisieren. Spannend untersucht dagegen Mitherausgeber Adrian Gmelch die Tiersymbolik und -motivik, die sich durch die Filme zieht.


Auffallend ist an diesem Sammelband, dass die meisten Essays auf Eggers´ Langfilmdebüt "The VVitch" (2015) fokussieren, während die beiden folgenden Filmen "The Lighthouse" (2019) und "The Northman" (2022) nur in wenigen Beiträgen behandelt werden. Matthias Reisman setzt sich so aufregend mit dem kulturhistorischen Phänomen der Hexe auseinander und arbeitet die vielfältigen historischen Fakten heraus, die hinter "The VVitch" stecken und den Film zu einem Psychogramm der frühen Neuzeit machen.


Mitherausgeber Daniel Hercenberger erklärt dagegen zunächst das Wort "Hexe" etymologisch als ein sich auf Hecken aufhaltendes Wesen, das eine Grenzgängerin zwischen dem Wald und dem geordneten Kosmos der Zivilisation ist, und arbeitet dann Parallelen hinsichtlich der Erscheinungsform der Hexe in "The VVitch" und dem Kassenschlager "The Blair Witch Project" (1999) heraus.


Stefan Sonntagbauer wiederum untersucht die Identitätsfindung der jungen Thomasin, der Hauptfigur von "The VVitch", die als Outsider-Monster in der Nachfolge von Frankensteins Kreatur durch elterliche Fehlleistungen und Ausschluss aus der Familie schließlich zur Hexe wird. Dabei gehe "The VVitch" über den Feminismus hinaus, da er nicht nur auf das Subjekt fokussiere, sondern auch die Formung durch die sozialen Systeme im Blick habe.


Luise Merkert untersucht dagegen ausgehend von der Darstellung der Familie in den Medien als harmonischem Ort der Geborgenheit und Liebe, ob in "The VVitch" die Familie durch äußere Einflüsse zerstört wird oder die Dysfunktionalität schon im Innern der strenggläubigen Familie schlummert.


Jonathan Ederer spürt dagegen der Grimmschen Märchenmotivik in Eggers´ Kurzfilm "Hansel und Gretel" (2007) und "The VVitch" nach. Detailliert arbeitet der Autor Parallelen und Veränderungen heraus und zeigt auf, dass Eggers im Kern ganz im Märchen mit seinen Urängsten bleibt und auf Modernisierungen verzichtet.


Weniger zwingend ist dagegen Marcel Kobers Vergleich von "The VVitch" mit japanischen Horror-Animé. Zwar wird in dem Beitrag ein Einblick in die Vielfalt der Animé geboten und aufgezeigt, dass Horror immer ein Mittel ist, um sich mit Grenzen der Menschlichkeit, existenziellen Fragen und menschlichen Ängsten auseinanderzusetzen, doch eine echte Verknüpfung von Eggers´ Langfilmdebüt und den Animés bleibt aus.


Rouven Linnarz untersucht ausgehend von den Prophezeiungn in "Ödipus" und "Macbeth", wie sich die Vorhersagen in "The VVitch" und "The Northman" im Sinne einer Self-Fulfilling-Prophecy erfüllen, weil Urteile der Umwelt übernommen und Schuldzuschreibungen angenommen werden.


Spannend spürt auch Jakob Kelsch nach, ob die Verweise zahlreicher Rezensenten von "The Lighthouse" auf das Werk H.P. Lovecrafts wirklich berechtigt sind. Auf eine Darstellung des Kosmischen Horrors von Lovecraft folgt dabei der Blick auf Parallelen zu Eggers´ Psychohorror. Diese finden sich für den Autor aber nur auf der ikonografischen Oberfläche, während die Unterschiede durch Eggers´ differenzierte Charakterisierung der Protagonisten, die bei Lovecraft nicht zu finden ist, und das Fehlen jeglicher kosmischen Komponente wesentlich markanter sind.


Michael Kathe untersucht ausgehend vom Umstand, dass "The Lighthouse" um 1890 spielt und etwa gleichzeitig das Kino und die Psychoanalyse entstanden, wie diese Entwicklungen in den Film Einfluss fanden oder verarbeitet werden. Kathe spannt dabei den Bogen vom Titel "The Lighthouse", der Assoziationen an ein Lichtspielhaus weckt über den Traumcharakter von Filmen bis zur Präsenz des Unheimlichen und des geheimnisvollen Lichts in Eggers´ Film.


Zwei Beiträge fokussieren schließlich auf Eggers´ Wikingerfilm "The Northman". So widmet sich Mitherausgeber Jan Niklas Hochfeldt der Frage nach dem Heldentum des Protagonisten Amleth. Dieser ist in der Tradition der nordischen Mythologie zwar ein Berserker im Sinne eines Tierkriegers, der sich ein Bärenfell überzieht, vollbringt Außergewöhnliches und verfügt über eine magische Waffe, macht aber keine Heldenreise im Sinne Joseph Campbells durch, sondern folgt vielmehr stoisch und unhinterfragt seinem Schicksal.


Marcus Stiglegger bietet abschließend Einblick in die Einflüsse nordischer Mythologie in den Büchern J.R.R. Tolkiens und Robert E. Howards "Conan" sowie die nordische Renaissance mit Nicolas Winding Refns "Valhalla Rising" (2009) und der Serie "Vikings" (2013 – 2020). Der Filmwissenschaftler beschreibt dabei "The Northman" als mythisches unzeitgemäßes Kino, in dem Eggers historisch genau die Zeit beschwört, sich ganz in den Blickpunkt seiner Held:innen begibt und das Gezeigte nie grundsätzlich in Frage stellt.


Die durch vielfältige Literatur bestens belegten Essays bieten so beeindruckend vielfältige und unterschiedliche Blicke auf die Filme von Robert Eggers und ermöglichen zweifelsohne ein tieferes Filmerlebnis. Dass bei diesem Buch auf Bebilderung verzichtet wurde, kann man angesichts der Fundiertheit und Reflektiertheit der einzelnen Beiträge sicherlich leicht verschmerzen.

 

 

Adrian Gmelch, Daniel Hercenberger, Jan Niklas Hochfeldt (Hg.), Perspektiven auf Robert Eggers´ Filme, Büchner-Verlag, Marburg 2024, 262 S., € 29, ISBN 978-3-96317-389-9 (Print) (ePDF: € 25, ISBN 978-3-96317-951-8)

 

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