Auf Anhieb zum Kultfilm wurde 1994 Quentin Tarantinos „Pulp Fiction“, weniger beachtet wurden seine folgenden Filme doch spätestens seit „Inglourious Basterds“ werden Produktion und Uraufführung jedes neuen Films des 57-jährigen Amerikaners von den Medien mit größter Aufmerksamkeit verfolgt. Der 57. Band der bei et+k erscheinenden Reihe Film-Konzepte bietet profunde Analysen der Filme des Starregisseurs.
Werden in den anderen Bänden der Reihe Film-Konzepte meist einzelne Schwerpunkte und Besonderheiten im Werk eines Regisseurs beleuchtet, so fokussiert dieser Band, für dessen Beiträge großteils Lehrende der Universität Klagenfurt verantwortlich zeichnen, ganz auf den einzelnen Filmen.
Auf einen einleitenden Essay, in dem Herausgeber Jörg Helbig den Stellenwert des 1963 geborenen Amerikaners herausarbeitet, den er als Puristen sieht, der am klassischen Kino festhält und echter Autorenfilmer ist, sich aber auch intensiv auf Vorbilder bezieht und das Publikum nie aus dem Auge verliert, folgen Einzelanalysen.
Während hier freilich Tarantinos kaum bekanntes und nur bruchstückhaft erhaltenes Debüt „My Best Friend´s Birthday“ von Helbig einer ausführlichen filmwissenschaftlichen Untersuchung unterzogen und aufgrund seiner Dialoglastig- und Zitierfreudigkeit als „echter Tarantino, wenn auch im embryonalen Zustand“ (S. 17) vorgestellt wird, bleibt „Reservoir Dogs“, mit dem dem 29-Jährigen der Durchbruch gelang, unberücksichtigt. Der banale Grund dafür ist, dass der Platz für einen weiteren Beitrag fehlte, offen bleibt freilich, wieso das nicht bei der Planung des Buches berücksichtigt und die Längen der einzelnen Beiträge entsprechend abgestimmt wurden.
Rainer Winter fokussiert in seinem Essay zu „Pulp Fiction“ (1994) auf Tarantinos Spiel mit popkulturellen Elementen und mit den Mustern des Genrekinos, mit dem der Zuschauer nicht nur zum lustvollen Erleben eingeladen wird, sondern auch die klassische Hollywood-Ästhetik dekonstruiert wird.
Ausgehend von der zwiespältigen Rezeption von „Jackie Brown“ (1997) stellt Andreas Rauscher diesen Film als Übergangswerk zwischen dem aufgeregten Wortwitz der frühen Filme und den wohltemperierten Meta-Blockbustern der 2000er Jahre vor. Rauscher macht vor allem bewusst, dass Tarantino hier im Unterschied zu „Pulp Fiction“ komplexe Charaktere schafft, zu deren Charakterisierung auch die Musik beiträgt, setzt sich aber auch mit dessen Blick auf die afroamerikanische Welt auseinander, der sich grundsätzlich von dem Spike Lees unterscheidet.
Felix Schniz untersucht die komplexe Erzählstruktur von „Kill Bill 1 & 2“ (2003/04) und arbeitet ausführlich am fünfminütigen Kampf im ‚House of Blue Leaves“ heraus, mit welcher Fülle an popkulturellen Zitaten auch über die Inhaltsebene, die Tonspur und die Kostüme gearbeitet wird. An der Episode „The Man from Hollywood“ des Episodenfilms „Four Rooms” (1995) zeigt Arno Rußegger dagegen, wie Tarantino darin mit einer Folge der TV-Serie „Alfred Hitchcock presents“ spielt und statt ein Remake vorzulegen die Vorlage gezielt gegen den Strich inszeniert.
Sabrina Gärtner arbeitet am Beispiel von „Death Proof“ (2007) heraus, dass es sich bei Tarantinos berühmter Inszenierung von Frauenfüßen nicht um Fußfetischismus handelt, sondern dieser Blick auch der Charakterisierung der Figuren dient. Matthias Klestil dagegen analysiert die Rolle von Sprache im multilingualen „Inglourious Basterds“ (2009). Für den Autor wird dabei mittels der Vielsprachigkeit und der Verwendung von Untertiteln Kritik am monolingualen amerikanischen Publikum geübt, während gleichzeitig durch die Verbindung der NS-Gräuel mit Traumata der US-Geschichte wie dem Völkermord an den Indigenen durch das Motiv des Skalpierens Kulturkritik an der eigenen Geschichte geübt wird.
Präzise arbeitet Angela Fabris nicht nur die Parallelen zwischen „Django Unchained“ (2012) und Sergio Corbuccis Italo-Western „Django“ heraus, sondern auch die Unterminierung des Western-Genres und die antirassistische Stoßrichtung des Films. Die Kritik an der Brutalität von „The Hateful Eight“ (2015) dient Lioba Schlösser als Ausgangspunkt, um die Inszenierung dieser Gewalt und die Bildgestaltung genauer zu untersuchen. Die Autorin zeigt dabei auf, dass es Tarantinos Strategie ist, den Zuschauer in ein Wechselbad von Schock und Gelächter zu führen und seinen eigenen Standpunkt zum Gezeigten hinterfragen zu lassen.
Als metacinematisches Feuerwerk beschreibt abschließend Jörg Helbig Tarantinos jüngsten Film „Once Upon a Time…in Hollywood“ (2019), der für den Autor angesichts der Fülle an Eigen- und Fremdzitaten, der vielen persönlichen Verweise und des raffinierten Spiels mit Fiktion und (alternativen) Fakten ein würdiger Abschluss dieses Werks wäre. – So weit ist es freilich noch nicht, denn immer wieder erklärte der zweifache Oscar-Preisträger (Drehbücher für „Pulp Fiction“ und „Django Unchained“), dass erst nach dem zehnten Film Schluss sein soll. Bei „Once Upon a Time …in Hollywood“ handelt es sich nach Tarantinos eigener Zählung aber erst um den neunten.
Abgerundet wird der Band, der jede weitere Sichtung eines Tarantino-Films wesentlich bereichert, durch eine kurze Bio- und Filmographie.
Jörg Helbig (Hg.), Film-Konzepte 57: Quentin Tarantino. Edition text + kritik, München 2020. 113 S., € 20, ISBN 978-3-96707-069-9
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