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AutorenbildWalter Gasperi

Filmbuch: Roy Andersson (Film-Konzepte 60)


Nur sechs Spielfilme drehte Roy Anderssons im Zeitraum von 45 Jahren, dennoch gehört er mit seiner "Trilogie über das menschliche Wesen" und seinem letzten Film "Über die Unendlichkeit" zu den großen Regisseuren des Weltkinos. Der 60. Band der bei etk erscheinenden Reihe Film-Konzepte widmet sich in sechs tiefschürfenden Essays und einem Interview dem Werk des 1943 geborenen Schweden.


Unverkennbar sind die vier Spielfilme, die Roy Andersson in langen zeitlichen Abständen zwischen 2000 und 2020 in seinem Studio 24 in Stockholm drehte: Auf Großaufnahmen verzichtet er, erzählt in minutiös geplanten minutenlangen Tableaus, die teilweise beim Dreh bis zu 50 Mal wiederholt werden. Auch verzichtet er auf stringenten Handlungsaufbau, reiht vielmehr Vignetten aneinander, bei denen manche Figuren mehrmals, manche nur einmal vorkommen.


Das Bild eines durch die Lüfte schwebenden Paares, das auch das Poster von Anderssons letztem Film "Über die Unendlichkeit" (2019) bestimmte, bildet das Titelbild des 60. Bandes der Reihe Film-Konzepte. Um diesen Film geht es aber erst gegen Ende des Buches im Essay von Ursula Lindqvist. Detailreich arbeitet die Autorin darin Einflüsse von "1001 Nacht" über Alain Resnais´ "Hiroshima, mon amour" bis zu den Gemälden Marc Chagalls heraus und zeigt auf, dass mit der starken Präsenz des Kriegs der Verlust des Glaubens als zentrales Thema einhergeht.


Unberücksichtigt bleiben in diesem Band Anderssons beiden ersten, in den 1970er Jahren entstandenen Spielfilme "Eine schwedische Liebesgeschichte" (1970) und "Giliap" (1975). Auf den als Aufklärungsfilm für Aids entstandenen, aber nie fertig gestellten Kurzfilm "Something Happened" geht Herausgeberin Fabienne Liptay in ihrem einleitenden Beitrag ein. Liptay untersucht dabei Anderssons Blick auf Menschen und Tiere, aus dem sich immer wieder eine Kritik an einer durch den kapitalistischen Wettbewerb korrumpierten Gesellschaft entwickelt.


Im Zentrum des knapp 90-seitigen Buches steht aber Anderssons zwischen 2000 und 2014 entstandende "Trilogie über das menschliche Wesen" ("Du levande"-Trilogie). Thomas Koebner blickt auf die eigene Raumwelt, die der Schwede in "Songs from the Second Floor" (2000), "You, the Living – Das jüngste Gewitter" (2007) und "Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach" (2014) geschaffen hat und stellt drei sozial konnotierte Raumtypen, die immer wieder vorkommen, vor (kleine Zimmer, Bars und Kneipen, Säle und Korridore). Dem distanzierenden Tableau-Stil, der eine Arbeit mit Vordergrund und Hintergrund ermöglicht, widmet sich Koebner ebenso wie der sich durch die Filme ziehenden Auseinandersetzung mit Herrschaft und Knechtschaft.


Philipp Schulte fokussiert dagegen auf der Gleichwertigkeit des Dinglichen in der "Du Levande"-Trilogie und arbeitet anhand der Analyse einzelner Szenen plastisch heraus, wie Gegenstände nicht nur ihre Besitzer charakterisieren, sondern auch ein spezifisches Eigenleben haben und "thing-power" entwickeln. Im nüchternen und emotionslosen Blick entdeckt Schulte dabei auch Parallelen zur Neuen Sachlichkeit der 1920er Jahre.


Klaus Müller-Wille wiederum untersucht die Parallelen zwischen der Traumwelt in August Strindbergs "Traumspiel" und Anderssons Filmen. Der Autor macht formale und thematische Analogien wie das Auflösen von Dialogprinzipien und das Unterlaufen eingeübter Verfahren der filmischen Repräsentation ausfindig. Ausführlich analysiert Müller-Wille die vier kurzen Träume in "You, the Living", in denen er Parallelen, aber auch Unterschiede zu den Träumen in Bergmans "Wilde Erdbeeren" und "Persona" entdeckt.


Laura Walde nimmt dagegen die Kürze und Knappheit von Anderssons Filmen genauer unter die Lupe. Am Beispiel des Kurzfilms "World of Glory" arbeitet die Autorin heraus, wie seine Filme aus den minutiös geplanten Tableaus, die auch diesen Kurzfilm und seine rund 300 Werbefilme kennzeichnen, Prägnanz und Gewicht entwickeln. Mies van der Rohes Ruf nach "Less is More" sieht Walde dabei auch als Konzept Anderssons, bei dem Kürze nicht Ausgangspunkt sondern Ziel ist.


Abschließend bietet Andersson selbst in einem Interview mit Jon Asp Einblick in sein Interesse am Schreiben von Essays, aber auch die Bedeutung seiner Herkunft aus dem Arbeitermilieu für seine Filme, sein Alkoholproblem und äußert sich auch zu seinem erklärten Rückzug vom Film nach "Über die Unendlichkeit".


Abgerundet wird der Reigen anspruchsvoller Essays wie gewohnt bei dieser Reihe durch eine kurze Biographie und ein Werkverzeichnis, in dem neben den Spiel- und Kurzfilmen, auch seine Studentenfilme, Bücher und Ausstellungen aufgeführt werden.


Fabienne Liptay (Hg.), Roy Andersson, Edition text + kritik, München 2021. 86 S., € 20, ISBN 978-3-96707-433-8


Trailer zu "Über die Unendlichkeit"


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