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AutorenbildWalter Gasperi

Große Freiheit


Nur lieben will Hans, doch weil er auf Männer steht, kommt er dafür im Nachkriegsdeutschland dreimal ins Gefängnis. - In verschachtelten Episoden erzählt Sebastian Meise in seinem vielfach preisgekrönten Spielfilm, konzentriert aufs Gefängnis, mit den zwei herausragenden Hauptdarstellern Franz Rogowski und Georg Friedrich von der großen Sehnsucht dieses Homosexuellen, von seiner sich ändernden Beziehung zu einem Mithäftling und von staatlicher Repression.


Ein Super-8-Film von homosexuellem Sex auf einer öffentlichen Toilette steht am Beginn. Bald entpuppen sich diese Bilder als Aufnahmen einer polizeilichen Überwachungskamera, die vor Gericht als Beweismittel verwendet werden. Doch nicht in einer Diktatur, sondern im Deutschland der 1960er Jahre bediente sich der Staat dieser Methoden, um Männer der durch § 175 verbotenen homosexuellen Beziehungen zu überführen und ins Gefängnis zu bringen.


24 Monate Haft bekommt Hans Hoffmann (Franz Rogowski) dafür 1968 und trifft im Gefängnis wieder auf den Mörder Viktor (Georg Friedrich), den er schon von früheren Haftaufenthalten kennt. Inzwischen ist eine Freundschaft, vielleicht sogar etwas wie Liebe, zwischen den beiden Männern entstanden, doch dass das nicht immer so war, offenbaren Rückblenden ins Jahr 1945, als sich Hans und Viktor erstmals im Gefängnis begegneten, und zu ihrem Wiedersehen – wiederum in Haft – 1957.


Immer wenn Hans in die stockfinstere Isolierzelle geworfen wird, weil er seine Homosexualität offen zeigte, gegen die sadistischen Wärter oder die Brutalität der Mitgefangenen aufbegehrte, taucht der Film in die Vergangenheit ab. Dass diese drei Zeitebenen nur durch Frisur und Aussehen von Hans und Viktor sowie unterschiedliche Tätigkeiten der beiden Häftlinge voneinander abgehoben sind, hat durchaus System, verweist es doch darauf, dass sich für das Individuum in diesen 23 Jahren nichts änderte, die gesellschaftlichen Bedingungen und die Repression gleich blieben.


Wenn Hans freilich in dem 1945 spielenden Teil von US-Soldaten aus einem KZ befreit wird, nur um in ein Gefängnis des Nachkriegsdeutschlands verlegt zu werden, spannt Meise den historischen Bogen noch weiter, macht das Kontinuum der verfolgten Homosexuellen von der NS-Zeit ins Nachkriegsdeutschland bewusst. 1872 trat dieser berüchtigte § 175, der als Grundlage der strafrechtlichen Verfolgung von Homosexuellen diente, in Kraft, wurde von den Nationalsozialisten verschärft, nach 1945 beibehalten, 1969 gelockert, aber erst 1994 aufgehoben. 100.000 Männer wurden auf dieser Grundlage im Nachkriegsdeutschland vor Gericht gestellt. In Österreich gab es analog dazu ab 1852 § 129 und § 130. Erst 1971 wurde das Totalverbot homosexueller Beziehungen aufgehoben, erst 2004 wurde Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung gesetzlich verboten.


Die gesellschaftlichen Hintergründe spart Meise aber konsequent aus. Abgesehen von der Gerichtsszene am Beginn und dem Ende konzentriert er sich völlig aufs Gefängnis. Mit gedämpften, schmutzigen Blau- und Grautönen und der nah geführten Kamera von Crystel Fournier und dem kahlen und tristen Gefängnisambiente macht er die beklemmende Enge in der Haft spürbar, erzeugt aber gleichzeitig Nähe zu den Figuren und Intimität.


Ausgegrenzt ist der Homosexuelle auch in dieser Umgebung, wird er mit dem Schild § 175 an seiner Zelle doch sofort geoutet. Angewidert reagiert so Viktor, der wegen Mordes am Liebhaber seiner Frau eine langjährige Haftstrafe verbüßt, bei der ersten Begegnung auf Hans, will nicht mit ihm die Zelle teilen, doch langsam entwickelt er Empathie für den gefühlvollen und feinsinnigen Hans, der so überhaupt nicht in diese harte Männerwelt passt.


Denn auch im Gefängnis brennt Hans´ Sehnsucht, auch hier verliebt er sich in zwei Zeitebenen in zwei Mithäftlinge und wird nach einer tragischen Erfahrung mit einer ihn selbst belastenden Falschaussage eine Freilassung erreichen. Stützen wird ihn in seinen bittersten Momenten nun aber Viktor, während Hans ihm bei seinem kalten Entzug zur Seite stehen wird.


Das Kraftzentrum von "Große Freiheit" ist die Beziehung dieser beiden Männer. Ganz auf sie und die beiden Geliebten von Hans konzentriert sich der Film, Wärter und Mithäftlinge bleiben weitgehend konturlos, Frauen fehlen themabedingt völlig.


Neben der aufs wesentliche konzentrierten und stringenten, minimalistischen Inszenierung, die auch durch den ebenso reduzierten wie pointierten Musikeinsatz besticht, ist es das Spiel von Franz Rogowski und Georg Friedrich, das dieses Gefängnisdrama zum großen Film macht. Zurückhaltend spielen die beiden, doch in Blicken und Gesten macht Rogowski bewegend die Sehnsüchte von Hans spürbar, während Friedrich ebenso eindrücklich Viktors Ablehnung gegenüber dem Homosexuellen wie seine langsame Öffnung und Entwicklung von Empathie vermittelt.


Zentrale Bedeutung gewinnt dabei die Weitergabe von Zigaretten und Feuer: Mit diesen Lichtpunkten im Dunkel der Isolierzelle und diesen Akten der Solidarität und des Mitgefühls setzt Meise auch ein Zeichen der Hoffnung in diesem Drama, das einerseits von der unstillbaren Sehnsucht nach Nähe und Liebe erzählt, andererseits aber auch an einen bedrückenden Aspekt deutscher Nachkriegsgeschichte erinnert und allen verfolgten Homosexuellen ein Denkmal setzt.


Läuft derzeit in den österreichischen, Schweizer und deutschen Kinos, z.B. in der Kinothek Lustenau und im Kinok St. Gallen

TaSKino Feldkirch im Kino Rio: 14. bis 20.12.


Trailer zu "Große Freiheit"




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