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  • AutorenbildWalter Gasperi

Hijo de Sicario

Wird der Sohn eines getöteten mexikanischen Auftragskillers den gleichen Weg wie sein Vater einschlagen oder gibt es eine Möglichkeit, aus dem Kreislauf der Gewalt auszubrechen: Fernanda Valadez und Astrid Rondero erzählen in ihrem bildstarken zweiten Spielfilm ebenso ruhig wie einfühlsam eine Coming-of-Age- und Entwicklungsgeschichte.


Die Frage nach dem Verhältnis von Determinismus und freiem Willen wirft die Literaturprofessorin Susan (Sandra Lorenzano) auf, als der junge Sujo (Juan Jesús Varela) zum ersten Mal in ihre Vorlesung hineinschaut. Später wird auch er selbst die Professorin fragen, ob sie glaube, dass Menschen ein neues Leben beginnen können.


Diese Frage, inwieweit das Leben eines Menschen durch das Milieu, in das er hineingeboren wurde, vorherbestimmt ist oder ob jeder einen eigenen Weg wählen und über sein Schicksal selbst entscheiden kann, ist das zentrale Thema des zweiten Spielfilms der beiden Mexikanerinnen Fernanda Valadez und Astrid Rondero.


Nachdem sie in ihrem Spielfilmdebüt "Sin señas particulares – Was geschah mit Bus 670?" an die in der Todeszone im mexikanisch-US-amerikanischen Grenzgebiet verschwundenen und ermordeten Menschen erinnerten, fokussieren sie nun auf dem Sohn eines Sicarios, eines Auftragskillers.


In vier Kapiteln spannt das Regieduo in dem im zentralmexikanischen Bundesstaat Michoacán spielenden Film dabei den Bogen vom Vierjährigen bis zum jungen Erwachsenen. Überschrieben sind die Abschnitte jeweils mit den Personen, aus deren Perspektive auf Sujo geblickt wird.


So lässt der Vater im kurzen ersten Abschnitt das Kind in der glühend heißen Wüstenregion im Wagen zurück, während er einen Auftrag erfüllt. Explizite Gewaltdarstellung sparen Valadez / Rondero dabei aus. Nur in der Ferne hört man einen Schuss knallen, während der schreiende Sujo von einem Ziegenhirten aus dem Wagen befreit wird. Wenig später wird aber der Vater selbst als Verräter ermordet und eine Tante (Yadira Perez Esteban) nimmt Sujo zu sich, um ihn in ihrer abgelegenen Hütte vor dem lokalen Kartell und dessen Killern zu schützen.


Mit einem Schnitt werden mehrere Jahre übersprungen und aus der Perspektive dieser Tante wird nun vom Heranwachsen Sujos mit seinen Cousins Jai (Alexis Jassiel Varela) und Jeremy (Jairo Hernández Ramírez) erzählt. Als Teenager droht er wie seine Cousins ins kriminelle Milieu hineingezogen zu werden, doch wieder ist es seine Tante, die ihn diesem Werdegang zu entziehen versucht, indem sie ihn nach Mexico City schickt.


So geht es zwar um Verbrechen und Auftragskiller, doch eine dezidiert weibliche Perspektive erhält "Hijo de Sicario" schon dadurch, dass diese Männerwelt nur im Hintergrund präsent ist, der Fokus dagegen ganz auf den Jugendlichen und den Frauen liegt. Ruhig und leise erzählen Valadez und Rondera, erzeugen aber gleichzeitig durch die starken Bilder der Kamerafrau Ximena Amann vor allem in den ersten Abschnitten dicht eine Atmosphäre der Bedrohung und Unsicherheit.


Die abgeschiedene Hütte der Tante mag hier ein Zufluchtsort sein, doch die Lichter der nächtlichen Stadt künden ebenso von einer nahen anderen Welt wie die verfallenen Häuser, in denen die Teenager bald Aufträge von den regionalen Mafiabossen entgegennehmen.


In Opposition zu dieser lichtdurchfluteten und wüstenhaften Landschaft stehen die Betonbauten in Mexico City sowie die Markthalle, in der Sujo bei den Gemüsehändlern jobbt, und die Universität, die mit ihrem Bildungsangebot auf eine andere mögliche Zukunft verweist.


Weiblich ist diese einfühlsame Coming-of-Age- und Entwicklungsgeschichte aber auch in der Zeichnung der Figuren. Denn während die Cousins Sujo zur kriminellen Laufbahn drängen, versucht ihn zunächst die Tante mit zahlreichen Büchern und dann die engagierte Uni-Professorin Susan, in seinen Bestrebungen zu unterstützen.


So vermittelt das rund erzählte Drama einerseits Einblick in das allgegenwärtige Klima der Gewalt in dem mittelamerikanischen Land, in dem täglich (!) 94 Menschen eines unnatürlichen Todes sterben, verbreitet aber gleichzeitig Hoffnung, indem gezeigt wird, dass trotz ungünstiger Ausgangssituation der Kreislauf der Gewalt und Kriminalität durchbrochen und ein eigener und positiver Lebensweg beschritten werden kann.



Hijo de Sicario

Mexiko / USA / Frankreich 2024

Regie: Astrid Rondero und Fernanda Valadez

mit: Juan Jesús Varela, Yadira Perez Esteban, Sandra Lorenzano, Alexis Jassiel Varela, Jairo Hernández Ramírez, Kevin Uriel Aguilar Luna, Karla Garrido

Länge: 127 min.



Läuft jetzt in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino Schaan.


Trailer zu "Hijo de Sicario"



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