Daniel Sager begleitete zwei Jahre lang die beiden investigativen Journalisten Bastian Obermayer und Frederik Obermaier von der Süddeutschen Zeitung und bietet anhand der Recherchen im Fall der Ermordung der maltesischen Journalistin Caruana Galizia und der "Ibiza-Affäre" nicht nur Einblick in ihre Arbeit, sondern auch in die Bedeutung von kritischem Journalismus im Allgemeinen.
Mit den Mitteln des Direct Cinema arbeitet Daniel Sager, wenn er auf jeden Kommentar verzichtet und sich darauf beschränkt seinen Protagonisten mit der Kamera bei ihren Recherchen und bei Diskussionen mit Kolleg*innen, Juristen oder dem Chefredakteur zu folgen. Gleichzeitig bricht er aber auch die Regeln dieser dokumentarischen Richtung, wenn zur Dramatisierung Musik eingesetzt wird oder die Journalisten Bastian Obermayer und Frederik Obermaier in die Kamera und damit zum Publikum über ihre Arbeit sprechen.
Einen wirkungsvollen Einstieg hat Sager mit einem Treffen von Obermayer / Obermaier mit Edward Snowden in Moskau gewählt. Nicht um Snowdens Whistleblower-Tätigkeit geht es aber in dieser Pre-Title-Sequenz, sondern der ehemalige CIA- und NSA-Mitarbeiter spricht über die heutige Gefährdung von liberalen Gesellschaften und die Bedeutung von investigativem Journalismus, der Missstände aufdeckt. – Markant wird dies am Ende des Films deutlich, wenn die Süddeutsche Zeitung im Mai 2019 die Ibiza-Videos veröffentlicht und damit den österreichischen Vizekanzler und Parteiobmann der FPÖ Heinz-Christian Strache und die ganze österreichische Bundesregierung zu Fall bringt. Die "Partei zerschossen", wie die Journalisten annahmen, hat der Skandal allerdings nicht.
Vom Treffen mit Snowden geht es zunächst aber zur Recherche zum Mord an der maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia, die sich mit ihrem aggressiven regierungskritischen Blog viele Feinde machte. Vor Ort befragen Obermayer und Obermaier den Witwer der Ermordeten, führen einen Lokalaugenschein durch, prüfen bestimmte Theorien zum Mord, der möglicherweise vom Premierminister oder einem anderen Minister in Auftrag gegeben wurde. Eindrücklich arbeitet Sager so heraus, wie akribisch hier gearbeitet wird, aber auch dass zwar der Fall durch die Journalisten neu aufgerollt wird, aber am Ende dennoch vielfach keine neuen Erkenntnisse stehen.
Dies zeigt sich auch im Fall eines großen Waffenhändlers, der eine zentrale Rolle im iranischen Atomwaffenprogramm zu spielen scheint. Gemeinsam mit Kolleg*innen von anderen großen internationalen Zeitungen versuchen Obermayer / Obermaier ihm auf die Spur zu kommen, erkennen, dass er nicht im Geheimen arbeitet, sondern in den besten Kreisen zu verkehren scheint, kommen letztlich aber nicht weiter.
Besonders brisant ist aber das Video, das den beiden Journalisten im Frühjahr 2019 zugespielt wird und dessen Weg zur Veröffentlichung im Zentrum von "Hinter den Schlagzeilen" steht: Schwer belasten die Aufnahmen in einer Finca in Ibiza den österreichischen Vizekanzler Heinz-Christian Strache. Fingiert mag das Treffen sein, zeugt aber doch davon, dass der Obmann der FPÖ vor Korruption und illegaler Parteienfinanzierung nicht zurückschreckt.
Ebenso nüchtern, wie genau zeichnet Sager den Prozess bis zur Veröffentlichung nach. Da ist zunächst eine Spezialbrille nötig, um das Video, das so nicht abgefilmt werden kann, zu sichten. Akribisch müssen die Aussagen dann transkribiert und jede einzelne auch exakt belegt werden. Aber natürlich muss das Video auch auf seine Echtheit untersucht werden und hieb- und stichfest muss geprüft werden, ob gegen dessen Veröffentlichung gerichtlich geklagt werden könnte.
Ein digitaler Forensiker legt so nicht nur ein Gutachten über die Echtheit der Aufnahmen, sondern auch über die Authentizität der darin vorkommenden FPÖ-Politiker HC Strache und Johann Gudenus vor. Juristen prüfen wiederum, ob nur Text oder nur Bildmaterial verwendet werden darf oder ob hier ein herausragendes öffentliches Interesse vorliegt, das die Veröffentlichung rechtfertigt.
Dichte gewinnt "Hinter die Schlagzeilen" durch die Konzentration auf die beiden Journalisten und ihre Arbeit. Hautnah folgt Sager ihnen mit der Kamera, bietet vielfältige und spannende Einblicke in ihre Arbeit und zeigt auch ihre Wirkung und Bedeutung, wenn er seinen Film mit dem Rücktritt der österreichischen Regierung infolge der Aufdeckungen enden lässt.
Wichtig ist damit aber auch dieser Film, der in Zeiten der Einschränkung der Pressefreiheit in Ländern wie Russland, Türkei und Ungarn und der Diffamierung der Arbeit kritischer Journalist*innen als Fake News eindrücklich die Bedeutung von kritischem Journalismus aufzeigt. Mit dem Aufdecken der Machenschaften machtgieriger Politiker und von Missständen leistet dieser nämlich einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt der freien Gesellschaft.
Läuft derzeit in den österreichischen Kinos TaSKino Feldkirch im Kino Rio: 17.9. - 21.9. 2021 FKC im Cinema Dornbirn: 13.10., 18 Uhr + 14.10., 19.30 Uhr Trailer zu "Hinter den Schlagzeilen"
Comments