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AutorenbildWalter Gasperi

Holy Spider


Verpackt in einen Thriller über einen Serienkiller zeichnet Ali Abassi ein bedrückendes Bild der frauenfeindlichen iranischen Gesellschaft: Ein atmosphärisch dichter und packender Film, der auch vor harten Szenen nicht zurückschreckt, und angesichts der Proteste im Iran brandaktuell ist.


Mit seinem zweiten Spielfilm "Border" gelang dem in Dänemark lebenden Iraner Ali Abassi vor fünf Jahren ein auf Festivals gefeierter wilder Mix aus Horrorfilm und Sozialrealismus. Bei seinem dritten Film orientiert sich Abassi dagegen unübersehbar an klassischen Serienkillerfilmen wie David Finchers "Zodiac" oder Bong Joon-hos "Memories of Murder".


Inspirieren ließ sich der 41-Jährige zu "Holy Spider" von einer realen Mordserie in der Pilgerstadt Maschhad. Mit dem Schrein des Imams Reza ist diese mit 3,5 Millionen Einwohner:innen zweitgrößte Stadt des Irans eine wichtige heilige Stätte der Schiiten und wird jährlich von rund 20 Millionen Tourist:innen und Pilger:innen besucht. Doch gerade hier fielen in den Jahren 2000 und 2001 16 Prostituierte einem Serienkiller, der den Beinamen Spiderkiller erhielt, zum Opfer.


Mit einem TV-Bericht über den Anschlag von 9/11 ist man sogleich in diese Zeit versetzt. Eine Frau, deren blaue Flecken auf dem Rücken auf Misshandlungen hinweisen, verabschiedet sich von ihrer schlafenden kleinen Tochter. Auf der Straße schminkt sie sich, zieht sich High Heels an, um Kunden anzulocken.


Was es offiziell im Iran nicht geben darf wie Straßenstrich und Drogen, zeigt Abassi in seinem in Jordanien mit im Exil lebenden iranischen Schauspieler:innen gedrehten Film. Hautnah folgt Nadim Carlsens Kamera der Frau durch die Nacht. Von Anfang an wird man dadurch unmittelbar ins Geschehen hineingezogen, wird Zeuge des misogynen Verhaltens der Freier.


Doch nach brutalem Sex und einer Verweigerung der vollen Bezahlung kommt es für die Frau noch schlimmer, als sie sich aufs Motorrad eines vermeintlichen Kunden setzt. Denn bald wird dieser bärtige Mann mittleren Alters (Mehdi Bajestani) sein wahres Gesicht zeigen, die Frau erwürgen und dann beseitigen.


In Parallelmontage bietet Abassi in der Folge immer wieder Einblick ins Leben dieses Serienmörders und das der jungen Journalistin Rahimi (Zar Amir Ebrahimi), die aus Teheran nach Maschhad kommt, um in dem Fall zu recherchieren.


In beiden Erzählsträngen wird dabei das Bild einer misogynen Gesellschaft gezeichnet. Der Killer, der nach außen hin das Leben eines fürsorglichen Familienvaters führt, glaubt nämlich einen "Dschihad gegen die Sittenlosigkeit" führen zu dürfen oder zu müssen, die Journalistin dagegen wird überall von der Männergesellschaft bei ihren Recherchen behindert.


Will man ihr gleich zu Beginn das Hotelzimmer verwehren, da sie ohne Mann anreist, so zeigt sich der Kriminalpolizist nicht nur unkooperativ, sondern wird bald auch sexuell übergriffig. Überhaupt scheinen sowohl Polizei als auch Vertreter der Religion gar nicht daran interessiert, den Mörder zu finden, sondern vielmehr froh darüber, dass jemand für sie in der heiligen Stadt gerade um den Schrein des Imam Reza "die Straßen säubert".


Sounddesign, die Dominanz von vielfach in giftiges Grün getauchten Nachtszenen und schäbige Settings erzeugen in diesem düsteren Thriller eine dichte und bedrückende Atmosphäre. Gleichzeitig wird die Spannung dadurch gesteigert, dass die Journalistin immer riskanter vorgeht, um den Mörder ausfindig zu machen. Beschränkt sie sich zunächst noch darauf, Prostituierte zu befragen und zu beobachten, bietet sie sich schließlich selbst als Lockvogel an.


Doch auch mit der Ergreifung des Täters ist der Schrecken nicht beendet, sondern mit dem Prozess wird das Bild nicht nur eines korrupten Systems, sondern auch einer von Frauenfeindlichkeit geprägten Gesellschaft noch erschreckender. Denn die Öffentlichkeit verurteilt den Mörder nicht, sondern sieht in ihm vielmehr einen Helden, der quasi seinen Kampf, den er im Iran-Irak-Krieg führte, nun gegen scheinbare Missstände in der iranischen Gesellschaft fortsetzt.


Bestechbar scheint hier auch die Justiz, bis Abassi doch mit einer überraschenden Wende aufwartet. Doch auch damit gewährt er dem Publikum keine Erlösung, denn Videoaufnahmen der Journalistin, in denen Sohn und Tochter des Mörders stolz die Taten des Vaters nachspielen, lassen vermuten, dass andere in die Fußstapfen des Killers treten und sein Werk fortsetzen werden.


Brandaktuell ist Abassis Film angesichts der aktuellen Proteste im Iran. An Zwischentönen ist er dabei nicht interessiert, sondern arbeitet mit kräftigem Strich. Wütend prangert er die Misogynie in seinem Heimatland an, die nicht nur durch Männer vertreten wird, sondern auch Frauen und Kinder infiziert hat.


Nur Trägerfigur, um diese Frauenfeindlichkeit aufzudecken, bleibt die Journalistin, für deren Verkörperung Zar Amir Ebrahimi in Cannes als beste Schauspielerin ausgezeichnet wurde. Als Charakter gewinnt sie kaum Profil. Wesentlich ausführlicher widmet sich Abassi dem Killer, dessen Ambivalenz zwischen liebenswürdigem Familienvater und von religiösem Wahn getriebenem Psychopathen packend ausgelotet und durch Mehdi Bajestanis Spiel eindringlich vermittelt wird.


So funktioniert "Holy Spider" als zwar plakative, aber kraftvolle Abrechnung mit der iranischen Gesellschaft ebenso wie als zwar konventionelles, aber fesselndes Genrekino, bei dem Abassi auch vor harten Szenen nicht zurückschreckt und detailliert die brutalen Morde zeigt.



Holy Spider Dänemark / Deutschland / Schweden / Frankreich 2022 Regie: Ali Abassi mit: Zar Amir Ebrahimi, Mehdi Bajestani, Arash Ashtiani, Forouzan Jamshidnejad, Alice Rahimi, Sara Fazilat Länge: 118 min.



Läuft derzeit in den deutschen und Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino Schaan. - Ab 3. Februar in den österreichischen Kinos


Trailer zu "Holy Spider"



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