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AutorenbildWalter Gasperi

In Liebe, Eure Hilde

Mit einer großartigen Liv Lisa Fries in der Hauptrolle erzählt Andreas Dresen ruhig und unspektakulär die Geschichte Hilde Coppis, die von den Nationalsozialisten wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" hingerichtet wurde: Kein historisierender Film und keine Heldengeschichte, sondern ein zutiefst bewegendes und zeitloses Drama über Zivilcourage in Zeiten des Terrors und den Preis, den diese kosten kann.


Im wuchernden Schrebergarten pflücken die hochschwangere Hilde (Liv Lisa Fries) und ihre Mutter Erdbeeren, während sich im Hintergrund zwei dunkle Limousinen nähern. Mit einem Schnitt wechselt der Film ins Häuschen, wo Hilde den Koffer packt. Während ein Beamter sie auffordert, genug einzupacken, denn es könne länger dauern, durchsucht ein anderer im Hintergrund unauffällig das Zimmer.


In dieser Einstiegsszene manifestiert sich schon der ganze Stil von Andreas Dresen: Die Ereignisse sind dramatisch, doch die Erzählweise bleibt ruhig und unaufgeregt. Auf jedes Zeitinsert zur historischen Verankerung wird verzichtet, Filmmusik wird während des ganzen Films nur einmal eingesetzt. Die Bilder sind grobkörnig, die Farben etwas verwaschen und Rot findet sich fast nur bei den Erdbeeren und später bei einem Kleid Hildes.


So nah Dresen in dieser ersten Szene an der von Liv Lisa Fries mit großem Einfühlungsvermögen gespielten Protagonistin ist, so nah wird er bei ihr während des ganzen Films bleiben. In jeder Szene wird sie präsent sein, konsequent aus ihrer Perspektive wird erzählt und große Dichte entwickelt dieses Drama durch diese Konzentriertheit.


Das klug aufgebaute Drehbuch von Laila Stieler, die schon zum achten Mal mit Dresen zusammenarbeitete, entwickelt die Handlung dabei auf zwei Ebenen. Während auf der Hauptebene die Geschichte Hilde Coppis (1909 – 1943) von der Verhaftung über Verhör und Geburt ihres Kindes im Gefängnis bis zu Prozess und Hinrichtung stringent nach vorne erzählt wird, werden in eingeschobenen Rückblenden die Ereignisse von der Angst vor Verhaftung bis zur ersten Begegnung mit Hans Coppi (Johannes Hegemann) zurückerzählt.


Durch Hans kam die Zahnarztassistentin in den Kreis der von der Gestapo als "Rote Kapelle" bezeichneten Widerstandsgruppe. Nie fällt während der 126 Minuten des Films diese Bezeichnung, mit der Funker gemeint waren, die verbotene Kontakte zur Sowjetunion pflegten. Reine NS-Propaganda war auch, dass die einzelnen über Europa verstreuten Gruppen Kontakt miteinander hatten.


Der politische Hintergrund interessiert Dresen aber kaum, sein Fokus liegt vielmehr auf den Menschen und dem Alltäglichen. Keine brutalen Verhöre und kaum schreiende Nazi-Schergen gibt es hier, sondern sachlich bleiben die Beamten. Zu was das Regime allerdings fähig ist, wird spätestens klar, wenn ein sichtlich gefolterter Bekannter Hildes in den Raum geführt wird.


Wie ihr aber ein verhörender Beamter sein Jausenbrot reicht, so taut langsam auch die zunächst steife und kühle Wärterin (Lisa Wagner) auf und wird ihr Gesuch um Begnadigung unterstützen. Momente der Menschlichkeit finden sich auch im Einsatz der Hebamme (Fritzi Haberland) für Hildes Baby oder wenn ein Wärter Hilde und Hans im Gefängnis einige Minuten der Zweisamkeit gönnt. Im Gegensatz zu Hilde widersetzen sich diese Menschen dem Regime aber nicht, sondern führen konsequent die Befehle aus.


In Kontrast zu diesem Mitläufertum steht die Entwicklung Hildes, die aber nicht über ihre politische Überzeugung zum Widerstand kam, sondern vielmehr durch ihre Liebe zu Hans. Der beklemmenden Enge und Tristesse des Gefängnisses, die durch die Dominanz von nahen Einstellungen, von kahlen Räumen und die auf kalte Grau- und Blautöne reduzierten Farbpalette gesteigert werden, stehen die sommerlich lichtdurchfluteten Rückblenden gegenüber, in denen die jungen Erwachsenen mehrfach an einem See campen, feiern und baden.


Aber auch hier wird bei ihren kleinen Akten des Widerstands wie dem Aufbau eines Funkkontakts mit der Sowjetunion oder dem Überkleben von Plakaten einer propagandistischen Ausstellung mit Flugzetteln die permanente Angst vor Entdeckung und Verhaftung spürbar.


Quälend lang schildert Dresen auch die Zeit zwischen dem Prozess und der Hinrichtung. Wie Hildes Blick durch das Zellenfenster mehrfach die Sehnsucht nach Freiheit spüren lässt, so ist es auch kurz vor der Hinrichtung nochmals ein Blick ins Sonnenlicht, der Leben und Tod einander gegenüberstellt. So unaufdringlich die Kameraarbeit von Judith Kaufmann ist, so durchdacht und überzeugend ist doch das visuelle Konzept.


Minutiös wird am Ende das Warten in einer Schlange von 13 Frauen geschildert, die am 5. August 1943 hingerichtet wurden, bis auch auf Hilde das Fallbeil fällt. In scharfem Kontrast zu diesem Tod steht die sich daran anschließende Szene von einer sommerlichen Tanzveranstaltung, bei der Hilde Hans kennenlernte: Wie viele glückliche Momente hätte dieses Paar noch erleben könnte, hätte das brutale Regime ihnen nicht das Leben entrissen.


So historisch verankert "In Liebe, Eure Hilde", dessen Titel sich auf den Schluss von Hildes letztem Brief an ihre Mutter bezieht, ist, so zeitlos ist er doch in der Gegenüberstellung des Glücks einer jungen Liebe und jugendlicher Lebensfreude auf der einen Seite und dem Terror eines Unrechtsregimes auf der anderen Seite. Auch wenn die Erfolge dieses Widerstands, die am Ende von Hildes und Hans´ inzwischen 80-jährigem Sohn im Off-Kommentar beschrieben werden, äußerst bescheiden waren, so vermittelt der Film doch intensiv die Bedeutung und Notwendigkeit von Zivilcourage und entschlossenem Handeln – nicht nur in Zeiten des Terrors.

 

 

In Liebe, Eure Hilde

Deutschland 2024

Regie: Andreas Dresen

mit: Liv Lisa Fries, Johannes Hegemann, Sina Martens, Lisa Lee Paulick, Alexander Scheer Länge: 126 min.


Läuft jetzt in den Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen Kinothek extra in der Kinothek Lustenau: Mo 9.12., 18 Uhr + Mi 18.12., 20 Uhr


Trailer zu "In Liebe, Eure Hilde"



 

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