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AutorenbildWalter Gasperi

Inshallah a Boy

Da eine junge Jordanierin nur eine Tochter hat, soll nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes dessen Familie die Hälfte des Erbes erhalten. Doch die Witwe setzt sich zunehmend entschlossener gegen die patriarchale Ungerechtigkeit zur Wehr: Mit einer famosen Mouna Hawa in der Hauptrolle und einem stringenten Drehbuch gelang Amjad Al Rasheed ein fesselndes Sozialdrama.


Mit einem langen Schwenk über eine Straße, eine Brachfläche und unansehnliche Häuserreihen bis zu einem BH, der sich auf einer Schnur unter einem Balkon verfangen hat, eröffnet der 39-jährige Amjad Al Rasheed sein Langfilmdebüt. Er führt damit nicht nur in das einfache Viertel der jordanischen Hauptstadt Ammann ein, in dem Nawal (Mouna Hawa) mit ihrem Mann Adnan und ihrer etwa achtjährigen Tochter Noura (Seleena Rababah) lebt, sondern vermittelt auch die beengte Situation Nawals. Denn als der BH bei ihrem Versuch, ihn mit einem Besenstiel ins Zimmer zu ziehen, vor die Füße eines Passanten fällt, zieht sie sich sofort verschämt in die Wohnung zurück.


Die Wohnung erscheint als Welt der Frauen, in der Öffentlichkeit sollen sie dagegen möglichst unsichtbar sein. So wünscht sich Nawal ein zweites Kind, doch ihr Mann zeigt wenig Interesse. Vor ganz andere Probleme ist Nawal freilich gestellt, als Adnan am nächsten Morgen tot im Bett liegt.


Wie schwach die Stellung der Frau in Jordanien ist, wird auch beim folgenden Totengedenken sichtbar, wenn eine Verwandte Nawal erklärt, dass eine Frau mit dem Tod des Mannes nicht nur den Partner, sondern ihr ganzes Leben verliere. Konkret sichtbar wird das, wenn Nawals zunächst hilfsbereiter Schwager Rifqi (Haitham Omari), der selbst mit finanziellen Problemen zu kämpfen hat, zunehmend drängender die Rückzahlung der noch offenen Raten für den Pick-up einfordert.


Doch obwohl Nawal nicht Auto fahren kann, möchte sie den Wagen nicht verkaufen. Sukzessive steigern sich nun die Forderungen Rifqis, der mit seinen Schwestern als nächste Verwandte des Toten auch Anspruch auf Nawals Wohnung erhebt. Dass sie zum Kauf die Mitgift ebenso wie ihren Schmuck und ihr Gehalt beigesteuert hat, nützt ihr dabei nichts. Denn Dokumente, um das zu beweisen, fehlen und nach jordanischem Recht hat die Familie eines Verstorbenen Anspruch auf die Hälfte des Erbes, wenn es keinen männlichen Nachkommen gibt.


So folgt bald eine Ladung vors Gericht, doch je unerbittlicher Rifqi drängt, der schließlich auch das Sorgerecht für Nawals Tochter beansprucht, desto entschlossener leistet Nawal Widerstand und greift schließlich auch zu einem Trick, um ihr Recht durchzusetzen.


Konsequent aus der Perspektive seiner Protagonistin erzählt Al Rasheed, der durch ein Erlebnis einer Verwandten zu diesem starken Sozialdrama inspiriert wurde. Für einen Mann überraschend feinfühlig und differenziert leuchtet er die Situation der von Mouna Hawa großartig gespielten Witwe aus. In jeder Szene ist diese Kämpferin präsent, intensiv vermittelt Hawa sowohl ihre Wut über die Ungerechtigkeiten als auch ihren wachsenden Widerstandswillen.


Ein stringent aufgebautes Drehbuch lässt sie packend in eine scheinbar unaufhaltsame Abwärtsspirale gleiten, die Beklemmung auslöst, gleichzeitig weitet sich mit ihren Erfahrungen aber auch sukzessive das Bild des frauenfeindlichen patriarchalen Systems. Denn da darf sich die Witwe abends nicht auf den Straßen zeigen, läuft Gefahr einer Anzeige, wenn sie sich von einem Arbeitskollegen im Auto mitnehmen lässt, und muss sich gleichzeitig auf der Straße die billige Anmache eines Mannes gefallen lassen.


Vielschichtiger wird das Bild aber auch durch Nawals Arbeit als Pflegerin einer bettlägerigen Frau in einem vornehmen Haus am anderen Ende Ammanns. Hier wird nicht nur eine gesellschaftliche Kluft sichtbar, sondern mit der Nichte (Yumna Marwan) der Patientin zeigt Al Rasheed zudem, dass auch Frauen der Oberschicht in einem patriarchalen Gefängnis leben.


Diese Unfreiheit verbindet die beiden unterschiedlichen Frauen und sie werden versuchen sich gegenseitig zu helfen, aber im Zentrum bleibt immer Nawal. Wie deren Widerstandswillen durch den sich steigernden Druck und die zunehmend schwierige Situation wächst, bewegt und beeindruckt und Al Rasheed findet für deren Selbstbehauptung und Selbstbefreiung ein ebenso starkes wie einprägsames Schlussbild, mit dem er ein hoffnungsvolles Zeichen nicht nur für die Tochter Noura, sondern für alle unterdrückten jordanischen Frauen setzt.

 

 

Inshallah a Boy Jordanien / Frankreich / Saudi-Arabien / Katar 2023 Regie: Amjad Al Rasheed mit: Mouna Hawa, Haitham Alomari, Yumna Marwan, Salwa Nakkara, Mohammed Al Jizawi, Eslam Al-Awadi, Seleena Rababah, Siranoush Sultanian Länge: 113 min.



Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen.


Trailer zu "Inshallah a Boy"



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