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AutorenbildWalter Gasperi

Interdit aux chiens et aux Italiens - Für Hunde und Italiener verboten


Bittere Armut trieb die Großeltern des französischen Animationsfilmers Alain Ughetto immer wieder aus der italienischen Heimat auf Arbeitssuche nach Frankreich und in die Schweiz. In 70 Minuten erzählt Ughetto in Stop-Motion-Technik bewegend ihre Geschichte.


Realfilm geht in Animation über, wenn zunächst die Hände von Alain Ughetto Holz bearbeiten und kleine Kulissen für seinen Film basteln, dann aber seine mit Knete animierte Großmutter Cesira ins Bild kommt. Wenn in der Folge in diesem 2022 unter anderem mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichneten Animationsfilm immer wieder auch die reale Hand des Filmemachers sichtbar wird, wird damit einerseits ein familiäres Band über die Generationen geknüpft, andererseits aber auch immer wieder die Authentizität der Geschichte unterstrichen.


Als Erzählerin fungiert Cesira, die der Regisseur im Gegensatz zu seinem Großvater Luigi noch persönlich kannte. Gerafft werden mit ihren Ausführungen die Ereignisse, die nicht breit ausformuliert, sondern nur kurz angeschnitten werden. Vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1960er Jahre kann Ughetto so den Bogen spannen und in knappen 70 Minuten nicht nur von bitterer Armut im am Fuße des Monte Viso gelegenen piemontesischen Bergdorfs Ughettera, von einer kinderreichen Familie und wiederholter Arbeitssuche in den Nachbarländern erzählen, sondern die private Geschichte auch in den politischen Hintergrund einbetten.


Während des Baus des Simplontunnels lernte Luigi Cesira kennen und bald heirateten sie. Die Schrecken des Libyenkriegs 1911 und des Ersten Weltkriegs werden ebenso gestreift wie der geplatzte Traum von der Auswanderung in die USA und die Flucht vor dem Faschismus nach Frankreich. Dort fand Luigi nicht nur einen Job als Maurer, sondern konnte schließlich sogar ein Stück Land mit einem eigenen Haus erwerben, bis mit dem Zweiten Weltkrieg neues Leid hereinbrach.


Putzig wirkt "Interdit aux chiens et aux Italiens" in seiner Stop-Motion-Animation, seinen Knetfiguren und seinen von Hand gebastelten Kulissen. Mit dieser Handarbeit will sich Ughetto einerseits in die Nachfolge seiner als Handwerker arbeitenden Vorfahren stellen. Andererseits verleiht er seinem Film aber auch einen ganz eigenen Charme, wenn er am Beginn Einblick in die Produktion seiner animierten Welt vermittelt und später Zuckerwürfel als Ziegelsteine, Kohle als Berge und Broccoli als Bäume fungieren, Spielzeugpanzer durch die Landschaft rollen oder Granaten scheinbar ganz harmlos in der Wiese einschlagen.


Erträglich wird durch diese poetische Erzählweise die im Grunde zutiefst bedrückende und herzzerreißende Geschichte. Verharmlost werden die Ereignisse aber nie. Doch so hart auch die materielle Not ist und so beklemmend die politischen Verhältnisse sind, so werden diese niederschmetternden äußeren Umstände doch immer wieder abgefedert durch die Wärme und Liebe, die innerhalb der Familie vor allem von Cesira und Luigi ausgehen.


Sie machen diesen Film, an dem Ughetto neun Jahre lang mit spürbarem Herzblut und sichtlicher Liebe arbeitete, zu einer bewegenden Feier der Menschlichkeit und des Durchhaltevermögens der Schwachen. Weit über das Einzelschicksal seiner Großeltern hinaus, denen er mit diesem Film ein bewegendes Denkmal setzt, erzählt der 73-jährige Franzose aber auch ganz allgemein vom Schicksal von Arbeitsnomaden und vom menschenverachtenden Umgang der lokalen Bevölkerung mit den Migranten.


Über 25 Millionen Italiener:innen emigrierten nämlich zwischen der Gründung des italienischen Nationalstaates 1861 und den 1960er vor allem aus dem strukturschwachen Süden, dem Mezzogiorno, und den alpinen Regionen im Nordosten. Bevorzugte Ziele auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen waren Frankreich, Deutschland, die Schweiz und die USA. Erst mit dem wirtschaftlichen Aufschwung Italiens in den 1960er Jahren, dem "miracolo economico", ließ diese Massenauswanderung nach.


Neue Heimat fanden sie in den Gastländern allerdings nur selten. Als Arbeiter wurden sie zwar geschätzt, als Menschen aber nicht akzeptiert, sondern als "Tschinggeler" diskriminiert. Wie in einem Brennspiegel wird diese Menschenverachtung im Titel "Interdit aux chiens et aux Italiens" auf den Punkt gebracht. Keine Überspitzung ist dieses Schild, das die Ughettos von einem Gasthausbesuch in Frankreich abhält, sondern war nicht nur in französischen, sondern auch in deutschen und Schweizer Gasthäusern bis in die 1960er Jahre teilweise Realität.



Interdit aux chiens et aux Italiens Frankreich / Schweiz / Italien / Belgien 2022 Regie: Alain Ughetto Animationsfilm Länge: 70 min.



Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen


Trailer zu "Interdit aux chiens et aux Italiens - Für Hunder und Italiener verboten"


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