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AutorenbildWalter Gasperi

Jacques Demy und das amerikanische Musical

Les parapluies de Cherbourg (Jacques Demy, 1964)

Ausgehend von Filmen des Franzosen Jacques Demy wie "Les parapluies de Cherbourg" holt das Stadtkino Basel zu einem Streifzug durch das US-Musical aus, vergisst aber mit dem epischen "Lagaan" auch einen Höhepunkt des Bollywood-Kinos nicht.


Geboren 1931 gehört Jacques Demy zwar der Generation der Nouvelle Vague an, war aber nie Teil dieser Bewegung. Während Godard, Rivette, Resnais, Truffaut und Rohmer nach filmischer Innovation strebten, schwärmte Demy für das amerikanische Musical. Den Traum vom französischen Musical in der Tradition eines Vincente Minnelli konnte sich Demy 1964 mit "Les parapluies de Cherbourg" ("Die Regenschirme von Cherbourg") erfüllen. So alltäglich die Liebesgeschichte, die Demy erzählt, und so realistisch der Hintergrund, zu dem auch der Algerienkrieg gehört, sind, so bewusst künstlich ist die Form. In der expressiven Farbdramaturgie treibt er die Buntheit der Vorbilder ebenso weiter wie im Singen jeder Dialogzeile.


Dieser Mix brachte dem hochartifiziellen Film den Vorwurf ein, Kitsch zu sein, doch unbestritten ist, dass Demy damit, unterstützt von seinem Komponisten Michel Legrand und dem Kameramann Jean Rabier seinen ganz eigenen Stil gefunden hat. Mit "Les demoiselles de Rochefort" ("Die Mädchen von Rochefort", 1966) setzte er diese Richtung fort, schlug aber in der Schilderung einer sommerlichen französischen Hafenstadt, in der die Bewohner und Touristen nach der Liebe ihres Lebens suchen, heiterere Töne an.


Ganz anders als in "Les parapluies .." ist aber der Umgang mit Musik und Tanz, wenn am Beginn eine Ballettszene steht, in der nicht gesungen wird. Hier gibt es wieder gesprochene Dialoge, Musik- und Tanzszenen sind wie bei den klassischen amerikanischen Musicals eines Vincente Minnelli oder Gene Kelly meist deutlich von der Handlung abgehoben und wirken teilweise auch selbstzweckhaft. Die Verbindung zum amerikanischen Musical wird dabei nicht nur durch eine Hommage an den berühmten Auftritt von Marilyn Monroe und Jane Russell in "Gentlemen Prefer Blondes" hergestellt, sondern mehr noch durch die Mitwirkung Gene Kellys.


Kühn verknüpfte Demy dagegen wie in "Les parapluies ..." 1982 in "Une chambre en ville" ("Ein Zimmer in der Stadt") wieder Künstlichkeit und Realismus. Nochmals erzählte er nämlich durchwegs mit gesungenen Dialogen vor dem Hintergrund eines Werftarbeiterstreiks 1955 in Nantes von einer tragisch endenden Liebe zwischen einem Metallarbeiter und einer Tochter aus großbürgerlichem Hause.


Märchen und Musical verband Demy dagegen in "Peau d´âne" ("Eselshaut", 1970), in dem vordergründig die Geschichte einer Prinzessin erzählt wird, die in eine Eselshaut schlüpft, um den Nachstellungen ihres Vaters zu entkommen. Demy spielt dabei durch Stilisierung mittels Farbe und Bildführung mit der Camp-Ästhetik, lässt aber immer Ironie mitschwingen. Den Stoff nützt er dabei, um queer-feministische Kritik an dem um 1700 entstandenen Märchen zu üben und die Kategorien des Normalen von (Hetero-)Sexualität und Geschlecht zu hinterfragen.


Großen Einfluss haben Demys Filme mit dieser Ästhetik auf die zu visuellem Exzess neigenden Filme von Baz Luhrman wie"Moulin Rouge" (2001) ebenso wie auf Damien Chazelles romantisches Musical "La La Land" (2016), stehen aber auch in der Tradition der großen Hollywood-Musicals.


Die Ballettszenen knüpfen so an die grandiosen schwarzweißen Revuefilme Busby Berkelys an wie "42nd Street" (1933) oder "Footlight Parade" (1933), in denen es um die Produktion einer Show geht. Die Farbdramaturgie ist dagegen beeinflusst von den Musicals Vincente Minellis, in denen bald eine Familiengeschichte ("Meet Me in Saint Louis", 1944), bald eine im Paris der Nachkriegszeit spielende Liebesgeschichte ("An American in Paris", 1951) erzählt wird.


Wie bei Demy kann aber auch in den US-Musicals immer wieder die Realität in diese durch Musik und Tanz märchenhaft entrückte Welt dieser Filme einbrechen. So reflektiert beispielsweise Gene Kellys und Stanley Donens "Singin´ in the Rain" (1952) über den großen Umbruch, den der Übergang vom Stummfilm zum Tonfilm für Hollywood mit sich brachte. In Robert Wises Verfilmung von Leonard Bernsteins "West Side Story" (1961) wird dagegen nicht nur eine moderne Romeo und Julia-Geschichte erzählt, sondern es werden auch ethnische Spannungen und Bandenkämpfe in New York thematisiert.


Dass Musicals aber auch jenseits des westlichen Kulturkreises funktionieren können, beweist der Erfolg der Bollywood-Filme, für die "Lagaan" (2001) eines der schönsten Beispiele ist. Über fast vier Stunden erzählt Ashutosh Gowariker in dem Ende des 19. Jahrhunderts spielenden Epos anhand eines Cricket-Spiels nicht nur vom Widerstand der indischen Bevölkerung gegen die Unterdrückung und Ausbeutung durch die britische Kolonialmacht, sondern entwickelt mit einer Liebesgeschichte, zahlreichen Songs und großartig choreographierten Tanzszenen auch mitreißende emotionale Kraft.


Weitere Informationen und Spieldaten zur Filmreihe im Stadtkino Basel finden Sie hier.

Tiefschürfende Essays zum Werk Jacques Demys finden Sie im Film-Konzepte Band "Jacques Demy".


Trailer zu "Les parapluies de Cherbourg"



 

 

 

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