Satiren über den Nationalsozialismus sind angesichts der realen Schrecken dieses Regimes eine schwierige Gratwanderung. Dem Neuseeländer Taika Waititi gelingt es aber am Schicksal eines zehnjährigen Jungen, der begeistertes Mitglied der Hitler Jugend ist, dann aber eine junge Jüdin entdeckt, die sich versteckt, mit Einfallsreichtum und Witz einerseits Feindbilder ad absurdum zu führen, andererseits universell und zeitlos von einem Coming-of-Age zu erzählen.
Komödien über den Nationalsozialismus sind eine schwierige Sache. Chaplins „The Great Dictator“ (1940) und Ernst Lubitschs „To Be Or Not To Be“ (1942) entstanden wohl nur, weil zur Entstehungszeit dieser Filme das reale Ausmaß des Terrors und der Verbrechen des NS-Regimes noch nicht bekannt waren. Roberto Benigni schaffte fast 50 Jahre später in „Das Leben ist schön“ (1997) die schwierige Gratwanderung, weil er in Märchenform davon erzählte und die Realität damit überhöhte.
Mit Benignis Meisterwerk verbindet Taika Waititis Verfilmung von Christine Leunens 2004 erschienenem Roman „Caging Skies“ der kindliche Protagonist. Im Gegensatz zu Benignis Film ist das aber kein verfolgter Jude, sondern ein überzeugter zehnjähriger Hitler-Anhänger (Roman Griffin Davies). Mit Blick direkt in die Kamera stellt er sich vor und präsentiert stolz seine Uniform, ehe zu den in nationalsozialistischer Frakturschrift gehaltenen Vorspanntitel schwarzweißes Archivmaterial von Parteiaufmärschen und begeisterten Massen, für die Waititi auch Szenen aus Leni Riefenstahls berüchtigtem Propagandafilm "Triumph des Willens" verwendete, die Zeitstimmung evoziert.
Wie frech – und auch frisch – Waititi dabei mit der Geschichte umgeht, zeigt sich im Musikeinsatz, wenn „Komm, gib mir die Hand“ von den Beatles - die deutsche Version des Welthits „I Want to Hold Your Hand“ - das Archivmaterial kommentiert. Gleichzeitig bringt der Kontrast zwischen diesem Auftaktsong, der gewissermaßen die Sehnsucht nach Verbundenheit mit der Masse beschwört, und David Bowies „Helden“ als Schlusssong, der selbstständiges Handeln und Autonomie signalisiert, auch die im Zentrum stehende Entwicklung des zehnjährigen Jojo Betzler zum Ausdruck.
Waititi hat die Handlung von Leunens Roman von Wien in die fiktive deutsche Kleinstadt Falkenheim und von der Zeit kurz nach dem Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich in die letzten Monate vor Kriegsende verlegt. Trotz seiner Begeisterung für den Nationalsozialismus und Adolf Hitler findet der ängstliche Jojo, der trotz seines Alters immer noch nicht seine Schuhe selbst binden kann, kaum Freunde und wird beim Ausbildungswochenende des Jungvolks als Hasenfuß - als Jojo Rabbit - verlacht, als er es nicht übers Herz bringt einen kleinen Hasen zu töten.
Völlig unbefangen, treffsicher und pointiert stellt Waititi bei diesem Camp nicht nur die paramilitärische Ausbildung der Jungen, sondern auch nationalsozialistische Rollenbilder mit harten Männern und Frauen als Gebärmaschinen bloß und führt Feindbilder ad absurdum. Herrlich spielt Sam Rockwell dabei den stets am Flachmann nippenden Hauptmann Klenzendorf, ihm zur Seite stellt Waititi eine wehrhafte schwergewichtige Dame, die stolz erklärt 18 Kinder für den Führer geboren zu haben, sowie einen willfährigen Assistenten.
Weil Jojo kaum Anschluss findet und nur den übergewichtigen Yorki als Freund hat, erträumt er sich als Ersatz für den abwesenden Vater, der angeblich in Italien im Krieg ist, einen imaginären Freund, der ihm in allen Notlagen zur Seite steht. Ein klassisches Motiv ist dies, bekannt vor allem aus dem James-Stewart-Film „Mein Freund Harvey“. Hier freilich handelt es sich nicht um einen grünen Hasen, sondern um Adolf Hitler (Taika Waititi), der Jojo immer wieder aufmuntert, aber auch auffordert an nationalsozialistischen Idealen festzuhalten.
Als der Junge im Haus, in dem er mit seiner Mutter Rosie (Scarlett Johansson) lebt hinter einer versteckten Tür die 15-jährige Jüdin Elsa (Thomasin McKenzie) entdeckt, kommt sein Weltbild aber langsam ins Wanken.
Er beginnt Elsa zwar über die Juden zu befragen und erstellt ein Buch mit dem Titel „Juhu Jude“, das die ärgsten nationalsozialistischen Klischees über Juden präsentiert, doch die Gespräche mit Elsa zeigen eben, dass sie ein ganz normales Mädchen ist. Steht am Beginn nur Neugier, über die Fremde mehr zu erfahren, so entwickelt Jojo zunehmend Verantwortungsbewusstsein und auch Liebe, sodass er das Kriegsende fürchtet, da es ein Ende seiner Beziehung zu Elsa bringen könnte.
Wie Elsa steht auch Jojos Mutter, die sich im Widerstand engagiert, für eine Gegenwelt zum Nationalsozialismus. Der Stärke von Stahl und Dynamit, dem Krieg und der Männlichkeit, für die Jojo schwärmt, stellt die Mutter die Liebe als die stärkste Kraft gegenüber und auch Elsa spricht von der Liebe, von Schmetterlingen im Bauch, von der Schönheit der Gedichte Rilkes und vom Tanzen.
Erst durch diesen Gegensatz von Terror auf der einen Seite und den Schönheiten des Lebens auf der anderen wird „Jojo Rabbit“, der auch ganz untypisch für Filme über das Dritte Reich in warme und kräftige Farben getaucht ist, zum bewegenden, zeitlosen und universellen Film über die Selbstfindung eines Jugendlichen, zu einer Liebeserklärung an das Leben und zur Absage an Rassismus und Gewalt. – Ganz zeitgemäß ist diese Satire, wenn sie den Frauen dabei eine zentrale Rolle zuteilt.
Läuft ab Donnerstag, 23.1. in den Kinos
Trailer zu "Jojo Rabbit"
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