Todd Phillips‘ in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichneter Film über den Batman-Gegenspieler Joker ist kein Superhelden-Film, sondern das düstere und beklemmende Psychogramm eines Gedemütigten, der schließlich vom Opfer zum Täter wird. Überragend in der Hauptrolle: Joaquin Phoenix.
Schon die geschwungenen Vorspanntitel entführen in eine vergangene Zeit, doch Nostalgie kommt hier nie auf. Der Clown Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) mag sich vor dem Spiegel bunt schminken, doch auf der Tonspur berichten Nachrichten, dass Gotham City im Jahre 1981 im Müll zu ersticken droht, sich zudem eine Rattenplage ausbreitet.
So fiktiv der Name der Stadt ist, so unübersehbar handelt es sich dabei freilich um New York. Mit verwaschenen Farben und verdreckten Schauplätzen evoziert die Kamera von Lawrence Sher konsequent eine beklemmende Stimmung der Tristesse, die durch die großartige Musik von Hildur Guðnadóttir immer wieder verstärkt wird.
Konsequent arbeitet Todd Phillips, der bislang als Regisseur der drei „Hangover-“Filme bekannt war, mit dem Gegensatz von heiler und fröhlicher Welt, die in Fernsehshows und dem Clown-Outfit beschworen wird, und der harten Realität. Fleck, der von kleinen Auftritten in Kinderkrankenhäusern und als Werbeclown lebt, aber vom Durchbruch als Stand-up Comedian träumt, bekommt diese Realität zu spüren, als ihm ein Plakat, mit dem er auf den Straßen werben soll, gestohlen und er anschließend von mehreren Jugendlichen brutal zusammengeschlagen wird.
Auf Schritt und Tritt erlebt dieser Mittvierziger, der in psychologischer Behandlung ist und mit seiner bettlägerigen Mutter in einem heruntergekommenen Block lebt, Demütigungen und Kränkungen. Bald muss er sich von seinem Chef maßregeln lassen, wird schließlich gekündigt und auch die psychologische Betreuung wird aufgrund von Sparmaßnahmen im Sozialwesen eingestellt. Ungewöhnliche Perspektiven und Großaufnahmen vermitteln immer wieder eindringlich die Befindlichkeit Jokers, verstärken das Bild eines bedauernswerten armen Würstchen.
Duldend hat er bislang alles hingenommen, doch als er in der U-Bahn von drei jungen Bankern brutal zusammengeschlagen wird, schlägt er zurück – und löst damit eine ganze Bewegung aus. Bald ist er dabei austauschbar und geht in einer Menge von Demonstranten, die auch seine Clownmaske tragen, unter.
Weil Phillips konsequent aus der Perspektive von Fleck alias Joker erzählt und weil Joaquin Phoenix so grandios spielt, hat man zumindest zunächst Mitgefühl mit diesem psychisch schwer angeschlagenen Protagonisten und begrüßt vielleicht auch seinen ersten Gegenschlag. Nachvollziehbar ist hier die Kritik, dass „Joker“ Gewalt und Selbstjustiz rechtfertige, doch mit Fortdauer distanziert sich der Film immer mehr vom irren Joker, auch wenn dieser bis zum Ende im Zentrum steht.
In der Protestbewegung, die Joker unabsichtlich auslöst, kann man ebenso einen Reflex auf heutige reale Protestbewegungen sehen wie in der Schilderung der sozialen Kluft, doch bleibt der Film hier insgesamt sehr diffus. An einer genaueren Durchleuchtung der sozialen Verhältnisse ist Phillips nicht interessiert, sondern konzentriert sich ganz auf das Psychogramm des Protagonisten und will zunächst einmal intensives und mit Verve inszeniertes großes Kino bieten.
Während das Superhelden-Kino dabei völlig außen vor bleibt und Jokers Gegenspieler Batman nur in zwei kurzen Szenen als etwa achtjähriger Bruce Wayne vorkommt, bedient sich Phillips reichlich an Klassikern der Filmgeschichte. Wie die Grimasse des Jokers, der immer wieder aufgrund seiner psychischen Erkrankung in unkontrolliertes Lachen ausbricht, an Paul Lenis Stummfilmklassiker „The Man Who Laughs“ (1928) angelehnt ist, so erinnert das desolate New York, aber auch der verzweifelte Protagonist, der so gerne glücklich wäre, an Martin Scorseses „Taxi Driver“ (1976). Wenn Joker den Zeigefinger an die Schläfen legt, um sich in Gedanken selbst zu erschießen, ist das ebenso ein unübersehbares Zitat aus diesem Klassiker des New Hollywood wie seine zahlreichen Blicke in Spiegel.
Überhaupt knüpft Phillips im schmutzigen Look und der Situierung der Handlung in den frühen 1980er Jahren an das New Hollywood an. Zentraler Referenzfilm ist dabei neben „Taxi Driver“ der ebenfalls von Martin Scorsese inszenierte „The King of Comedy“ (1982). Wie dort Robert De Niro erfolgreicher Komiker werden wollte und davon träumte in der TV-Show seines Idols aufzutreten, so träumt hier Joker von einer Einladung in die Show von Frank Murray. Dass dieser Showmaster von De Niro gespielt wird, stellt einen weiteren Bezug zu dieser Satire her. Im bösen Blick auf die TV-Show erinnert „Joker“ aber auch an Sidney Lumets „Network“ (1976), während ein explizites Zitat aus Chaplins „Modern Times“ (1936) wohl eine Analogie zwischen Joker und dem Tramp, der durch das gesellschaftliche Netz fällt, herstellen will.
Phillips gelingt es dabei aber diese Vorbilder so einzubauen, dass sein Film nie zum Zitatenkino verkommt, sondern sich zu einem eigenständigen geschlossenen Ganzen fügt. Dicht und mit hohem Tempo entwickelt er die Handlung. Zum Lachen gibt es für den Zuschauer dabei freilich nichts, auch das krankhafte Lachen Jokers bringt keine Entspannung, sondern verstört ebenso wie die brutalen Gewaltszenen.
Herzstück des Films ist zweifellos die Darstellung von Joaquin Phoenix, der für diese Rolle 20 Kilo abgenommen hat. Nach seinen herausragenden Leistungen in Paul Thomas Andersons „The Master“ und zuletzt Lynne Ramsays „You Were Never Really Here“ spielt er sich hier förmlich die Seele aus dem Leib, stellt seinen ausgemergelten Körper aus, dreht mächtig auf beim Grimassieren und verliert doch nie die Bodenhaftung. Meisterhaft changiert er zwischen bedauernswertem Opfer und zunehmend irrem Täter und gilt mit dieser Leistung nach drei Oscar-Nominierungen für „Gladiator“, „Walk the Line“ und „The Master“ schon jetzt als heißer Anwärter für die begehrte Statuette im kommenden Jahr.
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