Eine Kinderbuchillustratorin kehrt in die heimatliche Provinzstadt zurück, in der sie sich mit ihrer Familie auseinandersetzen muss: Dem Alltag verhaftete, warmherzige Komödie, in der nach leichthändig-lockerem Beginn auch ein bedrückendes Familiengeheimnis gelüftet wird.
Ein beliebtes Filmmotiv ist die Rückkehr eines Menschen nach langer Abwesenheit ins Milieu, in dem sie herangewachsen sind. Oft waren es schwierige familiäre Verhältnisse, die zum Aufbruch in die Ferne führten. In Blandine Lenoirs Verfilmung von Camille Jourdys autobiographisch inspirierter Graphic Novel "Juliette. Gespenster kehren im Frühling zurück" war es aber wohl einfach der Beruf als Kinderbuchillustratorin, die Juliette (Izïa Higelin) die heimatliche Provinzstadt verlassen ließ.
Wie der Zug, mit dem sie nun heimkehrt, an leuchtend grünen Feldern vorbeirast, so hat die 50-jährige Regisseurin ihren vierten Spielfilm durchgängig in kräftige Farben und warmes Licht getaucht. Von Anfang an strahlt "Juliette au printemps" dadurch Optimismus aus und auch die Figuren sind beinahe durchwegs Sympathieträger.
Wesentlich ist aber auch, dass nichts besonders aufgebauscht wird, sondern Lenoir nah am Alltag bleibt. Ins Komödiantische verschoben mögen die Figuren und Situationen teilweise sein, wirken aber dennoch lebensnah und mit spürbarer Liebe blickt die Französin auf ihre Protagonist:innen.
Zunächst wird der Blick von der etwa 35-jährigen Juliette bestimmt. Die zurückhaltende Frau zieht für einige Tage bei ihrem Vater (Jean-Pierre Darroussin) ein, um sich im familiären Umfeld von einer Depression zu erholen und zu entspannen. Bald kommen aber auch ihre extrovertierte verheiratete Schwester Marylou (Sophie Guillemin), ihre geschiedene Mutter (Noemie Lvovsky) und die Großmutter ins Spiel.
Gemeinsam ist dabei allen Figuren, dass sie in einer Krise stecken und nach Orientierung suchen. Liebevoll ist zwar der Vater, aber auch etwas zerstreut und leidet wohl immer noch unter der Trennung von seiner Frau. Die Mutter dagegen wechselt scheinbar öfters die Liebhaber und möchte sich als Künstlerin, die gerade eine Ausstellung eröffnet, neu erfinden, während Marylou in einer existentiellen Krise steckt, und die Großmutter aufgrund ihrer Demenz ins Seniorenheim gebracht wurde.
Ganz auf diese Familie konzentriert sich Lenoir, legt einen klassischen Ensemblefilm vor, in dem das gesellschaftliche Umfeld weitgehend außen vor bleibt. Da wird bald klar, dass das Ehe- und Familienleben von Marylou nicht so glücklich ist, wenn sie sich im Gewächshaus ihres Gartens mit ihrem Liebhaber trifft, der mal im Bären- und mal im Papageienkostüm auftaucht.
Die Räumung des Hauses der Großmutter weckt wieder Kindheitserinnerungen und macht die Vergänglichkeit bewusst, aber Juliette begegnet dabei auch dem farbigen Übersetzer Pollux (Salif Cissè), mit dem sie sich bestens versteht.
Nichts Spektakuläres passiert, aber ebenso genau wie warmherzig ist der Blick auf das blendend harmonierende Ensemble und Details wie ein Entenküken, das Pollux rettet und zusammen mit Juliette hegt und pflegt, sorgt ebenso für Witz wie Juliettes Illustrationen, die sie auf der Basis von Fotos, die sie von ihrem Vater oder anderen Familienmitgliedern macht, entwickelt.
Heiter und entspannt fließt so diese Familienkomödie lange dahin. Echte Spannungen bleiben außen vor, bis Juliette in ihren Gesprächen auf ein tragisches Ereignis stößt, das in ihrer frühesten Kindheit die Familie erschütterte und über das nie mehr gesprochen wurde. Aber auch die Affäre von Marylou kann natürlich nicht auf Dauer geheim bleiben, sondern wird in einer komödiantischen Szene gelüftet.
Auswirkungen hat diese Entdeckung auf Marylous Familienleben, dennoch verliert "Juliette au printemps" nie seine Leichtigkeit. Es ist die Kunst Lenoirs, wie sie familiäre Bruchstellen und Probleme nicht verschweigt, aber mit ihrem mitfühlenden Blick immer die familiären Bindungen und Beziehungen über das Trennende stellt.
So vermittelt sie auch durchgängig das Gefühl, dass das Leben trotz Differenzen schön ist und gemeinsam die Probleme gemeistert werden, wenn im Finale auch noch die Mutter zu Hilfe gerufen wird, und die beiden Töchter und ihre Eltern im engen Kleinwagen in Richtung Bahnhof rasen.
Juliette au printemps Frankreich 2023 Regie: Blandine Lenoir mit: Izïa Higelin, Sophie Guillemin, Salif Cissé, Jean-Pierre Darroussin, Noémie Lvovsky Länge: 95 min.
Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen - ab 15.8. in den österreichischen Kinos. TaSKino Feldkirch im Kino GUK: 16.8. - 19.8.
Kinothek Lustenau: Mi 16.10., 20 Uhr + Mo 21.10., 18 Uhr
LeinwandLounge in der Remise Bludenz: Mi 23.10., 19 Uhr
Trailer zu "Juliette im Frühling"
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