Köln 75
- Walter Gasperi
- 3. Apr.
- 4 Min. Lesezeit

Getragen von einer groß aufspielenden Mala Emde zeichnet Ido Fluk die Organisation des legendären Köln Concert des Jazzpianisten Keith Jarrett im Jahr 1975 nach: Ein mitreißender Spielfilm, der in seiner verspielten und befreiten Erzählweise sowohl die jugendliche Unbekümmertheit der damals 19-jährigen Organisatorin Vera Brandes als auch die Frische von Free Jazz vermittelt.
Die Aufnahme des Konzerts, das der Jazzpianist Keith Jarrett am 24. Januar 1975 in der Kölner Oper spielte, gilt als die meistverkaufte Jazz-Soloplatte und meistverkaufte Klavier-Soloplatte aller Zeiten. Von diesem legendären Konzert gibt es im dritten Spielfilm des Israeli Ido Fluk aus rechtlichen Gründen keinen Ton zu hören, sondern der Fokus liegt ganz auf dessen Organisation.
Das macht schon im Einstieg ein Off-Erzähler deutlich, wenn er das Konzert mit den Deckengemälden der Sixtinischen Kapelle vergleicht, aber nun nicht das große Kunstwerk, sondern dessen Gerüst gezeigt werden soll. Erzählt wird dabei nicht aus der Perspektive des legendären Pianisten, sondern aus der der damals erst 19-jährigen Organisatorin Vera Brandes (Mala Emde).
Von ihrem 50. Geburtstag, bei der sie von ihrem Vater (Ulrich Tukur) als größte Enttäuschung seines Lebens bezeichnet wird, springt der Film zurück in die 1970er Jahre und schildert, wie Brandes als 16-jährige Schülerin bereits eine Konzerttournee des britischen Saxophonisten Ronnie Scott organisiert, bei den Berliner Jazztagen Keith Jarrett hört und sich an die Organisation eines Konzerts in Köln macht.
Mit einer mit Leidenschaft spielenden Mala Emde ("303", "Und morgen die ganze Welt"), die mit 29 Jahren zwar deutlich älter als die Protagonistin ist, dennoch mitreißend den jugendlichen Schwung und die Chuzpe der Gymnasiastin vermittelt, und der dynamischen Kamera von Jens Harant, die immer wieder hautnah dem Teenager folgt, erzeugt Fluk von Anfang an enormes Tempo.
Dazu kommt auch eine verspielte Inszenierung, die das befreite Improvisieren des Free Jazz auf die filmische Erzählung überträgt. Da wird nicht nur quasi der Film zurückgespult und erklärt, was ein False Record ist, sondern immer wieder wird auch - vor allem vom fiktiven Musikjournalisten Michael Watts (Michael Chernus) - die vierte Wand durchbrochen und das Publikum direkt angesprochen.
So liefert Watts, unterstützt von Archivmaterial, einen sehr gerafften Einblick in die Geschichte des Jazz von Big Bands zu kleineren Gruppierungen bis zu frei improvisierenden Solokünstlern oder bietet Einblick in die Karriere von Keith Jarrett und sein extrem forderndes improvisierendes Klavierspiel.
Aber auch Brandes wendet sich direkt ans Publikum, wenn sie sich beispielsweise gegenüber Ronnie Scott zunächst als 25-Jährige und dann als 20-Jährige ausgibt, aber mit ihrem Finger auf die Leinwand 16 als ihr wahres Alter schreibt.
Leichthändig sind diese Exkurse über Jazz und Jarrett in den Film eingebettet, stören nie den Erzählfluss. Kühn ist auch, wie Fluk etwa in der Mitte des Films seine Protagonistin plötzlich für etwa 15 bis 20 Minuten links liegen lässt und ganz auf der achtstündigen Fahrt von Keith Jarrett (John Magaro) und seinem Manager Manfred Eicher (Alexander Scheer) im klapprigen Renault 4 von einem Konzert in Lausanne nach Köln fokussiert.
Da vermittelt der Film nicht nur den angeschlagenen Gesundheitszustand des Pianisten, der mit einem schweren Rückenleiden zu kämpfen hat, sondern auch die prekäre finanzielle Situation eines Genies, dessen Kunst von der Masse nicht geschätzt wird und durch Europa tourt, weil es in den USA kein Interesse an seinen Konzerten gibt.
Konsequent entwickelt sich "Köln 75" auf das Konzert in der Kölner Oper zu, bei dem sich aber auch am letzten Tag noch große Probleme auftun, die die Spannung wieder in die Höhe treiben. Denn statt des versprochenen Bösendorfer 290 Imperial steht plötzlich nur ein nicht gestimmter und defekter Stützflügel auf der Bühne und fraglich scheint auch, ob das Konzert ein Publikum findet, da es erst um 23 Uhr nach einer Aufführung von Alban Bergs Oper "Lulu" beginnt.
Mit spürbarer Leidenschaft für Jazz und viel Sympathie nicht nur für die jugendliche Organisatorin, sondern auch für ihre Freunde erzählt Fluk diese Geschichte und zeichnet dabei auch ein sehr stimmiges und dichtes Porträt einer noch von patriarchalen familiären Strukturen geprägten Zeit und dem Aufbegehren der freiheitsliebenden Jugend.
Fluk beschränkt sich hier aber nicht auf den familiären Kontext mit einem autoritären Vater, der unbedingt möchte, dass seine Tochter in seine Fußstapfen als Zahnarzt tritt, sondern stellt seinen Film in einen größeren gesellschaftlichen Kontext, wenn er, unterstützt von Archivmaterial, an die Demonstrationen für die Fristenlösung und für die Gleichberechtigung der Frauen erinnert. Gleichzeitig verdichten diese Szenen großartig die Atmosphäre der damaligen Zeit.
Ein Wunder ist auch, dass "Köln 75" trotz seiner Fülle nie überladen wirkt, sondern immer leicht bleibt und seinen enormen erzählerischen und schauspielerischen Schwung mühelos bis zum emotionalen Finale durchhält. Kein Abbruch tut dieser Zeitreise auch, dass Fluk sich nicht zwingend an die Realität hält, sondern auch fiktionale Momente wie den von Michael Watts gespielten Musikjournalisten einbaut.
Vielmehr sind es gerade diese Freiheiten und das befreite Erzählen, die dafür sorgen, dass mitreißendes und ungemein unterhaltsames Kino geboten wird, das auch ein Publikum, das mit Jazz bislang nichts am Hut hatte, begeistern und vielleicht sogar die Begeisterung für diese Musikrichtung wecken kann.
Köln 75 Deutschland / Polen / Belgien 2025 Regie: Ido Fluk mit: Mala Emde, John Magaro, Michael Chernus, Alexander Scheer, Ulrich Tukur, Jördis Triebel, Susanne Wolff
Länge: 116 min.
Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen. TaSKino Feldkirch im Kino GUK: Sa 5.4. bis Do 10.4.
Trailer zu "Köln 75"
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