Martin Scorsese erinnert in seinem trotz einer Länge von dreieinhalb Stunden intimen Epos an eine Mordserie, der in den frühen 1920er Jahren in Oklahoma mindestens 18 Angehörige der indigenen Osage zum Opfer fielen: Eine ruhig erzählte, aber bittere Abrechnung mit der Habgier und Heuchelei der weißen Täter.
Die Gewalt als Grundkonstante der amerikanischen Gesellschaft ist ein zentrales Thema im Schaffen von Martin Scorsese. Der Bogen spannt sich von den aggressiven Einzelkämpfern in "Taxi Driver" und "Raging Bull" bis zu den großen Gangsterepen "GoodFellas" und "Casino". Immer wieder - am ausgeprägtesten wohl in "The Wolf of Wall Street" - geht es dabei auch um Gier und Streben nach Macht als Wurzel der Gewalt.
Während der Oscar-Preisträger in "Gangs of New York" am Beispiel von Bandenkämpfen in der Mitte des 19. Jahrhunderts quasi von einer Nation erzählte, deren Anfänge schon auf Gewalt beruhen, spielt "Killers of the Flower Moon" in einer Zeit, in der die USA mit dem Ersten Weltkrieg zur Großmacht aufgestiegen ist. Gleichzeitig spielt dieses True Crime-Drama im Gegensatz zu den meisten Filmen des Meisterregisseurs, die von einem städtischen Ambiente – sehr oft von New York – bestimmt sind, im ländlichen Oklahoma.
Hier hatten die von ihrem ursprünglichen Stammesgebiet vertriebenen indigenen Osage 1870 scheinbar wertloses Land erworben. Mit den Ölfunden Ende des 19. Jahrhunderts wurden sie aber plötzlich unermesslich reich, konnten sich Luxusgüter erwerben und von weißen Chauffeuren in ihren Autos herumfahren lassen.
Nicht nur weiße Abenteurer lockte dieser Reichtum an, der auch die Kleinstadt Fairfax aufblühen ließ, sondern weckte auch Neid und Gier der weißen Bevölkerung, die in den 1920er Jahren zu einer Mordserie führten, der in den frühen 1920er Jahren innerhalb kurzer Zeit mindestens 18 Osage und drei Nicht-Indigene zum Opfer fielen.
Die Geschichte vom Erdölfund erinnert an Paul Thomas Andersons "There Will Be Blood", doch das Öl spielt hier nur eine Rolle als Quelle des Reichtums, hinter dem der vermeintliche Wohltäter der Region, der Rinderbaron William Hale (Robert De Niro), der den bezeichnenden Beinamen "King" trägt, her ist. An Großrancher im Western erinnert diese Figur, die wie ein Alleinherrscher nicht nur über die eigene Ranch, sondern auch über die ganze Region herrscht.
Am Beginn des Films stehen nach einer traumartigen Szene vom Fund des Erdöls aber passend zur Handlungszeit am Stummfilm orientierte Schwarzweißszenen im 4:3-Format. Mit Bildern und Zwischentiteln bietet Scorsese so gerafft Einblick in den Hintergrund mit dem Aufstieg der Osages zu Reichtum, ebenso wie in die einsetzende Mordserie, auf die die lokale Polizei nicht reagiert.
Als Hales Neffe Ernest Burkhart (Leonardo DiCaprio) aus dem Ersten Weltkrieg in diese Gegend zurückkehrt, nimmt ihn sein Onkel sofort unter seine Fittiche. Ernest soll die an Diabetes leidende junge Osage-Frau Mollie (Lily Gladstone) heiraten und dann für deren vorzeitiges Ableben sorgen, sodass deren Vermögen in Ernests und Hales Hände fällt.
Zuvor müssen aber auch noch die drei Schwestern Mollies aus dem Weg geräumt werden, wofür rasch Handlanger gefunden werden. Doch Hale hat nicht mit der Entschlossenheit Mollies gerechnet, die trotz ihrer Krankheit nach Washington reist und erreicht, dass Beamten des FBI die Ermittlungen übernehmen.
Als Grundlage diente Scorsese David Granns 2017 erschienener Tatsachenkrimi "Killers of the Flower Moon: The Osage Murders and the Birth of the FBI". Zwar sicherte sich Paramount die Filmrechte dafür, erlaubte dem Scorsese- und DiCaprio Manager Rick Yorn aufgrund der zu erwartenden hohen Kosten von 180 bis 200 Millionen Dollar das Projekt aber auch anderen Produktionsgesellschaften anzubieten. Wie schon bei seinem letzten Film "The Irischman", den Netflix produzierte, fand sich auch hier schließlich mit Apple TV+ ein Streamingdienst, der sich bereit erklärte, den Film zu finanzieren.
War dabei zunächst ein Film über die Entstehung des FBI geplant, bei dem die Ermittler im Zentrum stehen, so haben Scorsese und sein Co-Drehbuchautor Eric Roth die Perspektive umgedreht. Die Ermittler tauchen erst spät auf, im Zentrum stehen Hale, sein Neffe Ernest und die Osage-Frau Mollie. Kein Whodunit entwickelt sich so, sondern von Anfang an ist klar, wer Täter und wer Opfer ist und der Fokus liegt auf dem Beziehungsgefüge zwischen den Protagonist:innen.
Die detailreiche Ausstattung von Jack Fisk, die atmosphärisch dicht den Trubel in der aufblühenden Kleinstadt beschwört, die zahlreichen Statisten und die prächtigen Totalen des ländlichen Oklahoma lassen nicht nur in diese Welt eintauchen, sondern lassen die Gründe für das immense Budget erahnen: Nichts ist hier billig, alles strebt nach Perfektion.
Großartig ist die Kameraarbeit von Rodrigo Prieto, der zwischen lichtdurchfluteten Szenen im Freien und dunkleren Innenszenen wechselt und schließlich gegen Ende durch kaltes Licht Verhörszenen eine entsprechende Härte vermittelt.
Vor allem aber ist das ein Schauspieler:innenfilm. Massenszenen spielen insgesamt eine untergeordnete Rolle, im Zentrum steht das Dreieck William Hale, Ernest Burckhart und Mollie – oder eben Robert De Niro, Leonardo DiCaprio und Lily Gladstone. Souverän spielt De Niro Hale als scheinbar sanften und gütigen Mann, der nach außen vorgibt ein Wohltäter der Region zu sein und die Osage zu lieben, in Wirklichkeit aber nur hinter deren Geld her ist und skrupellos Killer engagiert. – Seine eigenen Hände macht sich dieser Heucher dabei aber nie schmutzig.
In Ernest findet er einen Handlanger, den er beliebig manipulieren kann. DiCaprio spielt diesen Weltkriegsveteranen als willfährigen Helfer, der sich lange keine Gedanken über seine Taten macht, auch nichts gegen die langsame Beseitigung seiner Frau durch Gift einzuwenden scheint, bis er nach einem Sprengstoffanschlag auf die Nachbarn langsam doch Gewissensbisse entwickelt. Eindrücklich vermittelt der Hollywood-Star, der auch als Ko-Produzent fungierte, diese Zerrissenheit und langsame Wandlung Ernests.
Der eigentliche Star des Films ist aber Lily Gladstone, die Molly zurückhaltend und mit großer physischer Präsenz spielt. In ihr wird das Leid, das die Osage-Indianer durch die weiße Bevölkerung erfuhren, eindringlich gebündelt.
Nicht zu übersehen ist aber freilich, dass "Killers of the Flower Moon" trotz seiner Thematik von weißen Figuren dominiert wird, und die indigene Bevölkerung abgesehen von Mollie nur bei Ritualen, Begräbnis- oder Hochzeitsszenen vorkommen. Und auch die Frauen bleiben - wie meist bei Scorsese - abgesehen von Mollie blass, wird doch die Handlung ganz von den Männern bestimmt.
Beeindruckend ist aber, wie locker es Scorsese gelingt trotz der Länge von 206 Minuten die Spannung durchgehend aufrecht zu erhalten. Keine spektakulären Action-Szenen sind dabei nötig, vielmehr vertraut der Altmeister auf ein geradling aufgebautes Drehbuch sowie seine starken Schauspieler:innen.
Nicht auf ein breites Gesellschaftsbild zielt der Altmeister dabei ab, sondern erzählt vielmehr eine intime Geschichte. Die kleinstädtische Gesellschaft ebenso wie die Community der Osage bilden nur den Hintergrund, im Zentrum stehen die Ränkespiele Hales auf der einen Seite und die Ehe von Ernest und Mollie auf der anderen Seite.
Die für Scorsese typischen Gewaltausbrüche bleiben so eher spärlich und erstaunlich ruhig und klassisch ist die Erzählweise. Wie ein breiter Fluss gleitet dieser Film mit langem Atem dahin, doch nicht zuletzt die variantenreiche Musik von Scorseses am 9. August verstorbenen Stammkomponisten Robbie Robertson, dem "Killers of the Flower Moon" gewidmet ist, sorgt dafür, dass nie Leerlauf aufkommt.
Zur bitteren Kritik an der Gier der weißen Bevölkerung kommt dabei am Ende auch die bissige Kritik an der Vermarktung von tragischen Geschichten und der amerikanischen Lust an der Show. Da bricht der Altmeister abrupt mit der linearen Erzählweise, führt eine Metaebene ein, die einen Kommentar zum medialen Umgang mit den Osage-Morden bietet und Scorsese auch die Möglichkeit zu einem Cameo-Auftritt bietet.
Doch die letzte große Einstellung gehört dann doch wieder den Osage und erinnert nochmals daran, dass "Killers of the Flower Moon" im Kern auch eine Entschuldigung für die Verbrechen der weißen Bevölkerung an dieser und anderen First Nations der USA ist.
Killers of the Flower Moon USA 2023 Regie: Martin Scorsese mit: Leonardo DiCaprio, Robert De Niro, Lily Gladstone, Jesse Plemons, Tantoo Cardinal, John Lithgow Länge: 206 min.
Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Cineplexx Hohenems.
Trailer zu "Killers of the Flower Moon"
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