Deutschland während der Weltwirtschaftskrise: die Not speziell der jungen Menschen, aber auch die Kraft der Solidarität der Arbeiterschaft. - Slatan Dudows 1932 nach einem Drehbuch von Bertolt Brecht und Ernst Ottwalt entstandener Klassiker des proletarischen Films ist bei Atlas Film in digital restaurierter Fassung in einem hochwertigen Mediabook auf DVD und Blu-ray erschienen.
Zum Zensurfall wurde "Kuhle Wampe" schon bei seiner Premiere. Nach Kürzungen wurde er zugelassen, die ursprüngliche Fassung gilt aber als verloren. Ein Jahr später, im März 1933, verboten die Nationalsozialisten, die inzwischen an der Macht waren, diesen einzigen dezidiert kommunistischen Film der Weimarer Republik völlig. Schwierig hatte sich aber schon die Produktion gestaltet, denn unabhängig und mit minimalem Budget wurde gedreht. Zudem mussten Mitglieder der KPD die Dreharbeiten vor Störungen durch die SA beschützen.
Mit einem Bild des Brandenburger Tors wird die Handlung in Berlin verankert. Im Gegensatz zur Geschwätzigkeit vieler früher Tonfilme setzt Dudow ganz auf das Bild. Dokumentarisch ist der Auftakt mit einer schnellen Abfolge von immer wieder markant angeschnittenen Ansichten von Fabriken und Arbeitersiedlungen. Sich daran anschließende Zeitungsschlagzeilen vermitteln einen Eindruck der rasant steigenden Arbeitslosigkeit. Akzentuiert werden diese Bilder durch die avantgardistische, dissonante Musik von Hanns Eisler.
Einer dieser Arbeitslosen ist der junge Kurt, der nach dem Studium der freien Stellen mit vielen anderen mit dem Fahrrad durch die Stadt rast, um einen Job zu ergattern. Sein Bemühen wird aber nicht belohnt, vielmehr wird er auch zuhause vom Vater kritisiert, dass er sich zu wenig anstrenge. Während seine Schwester Anni abends mit ihrem Freund Fritz ausgeht, legt Kurt seine Armbanduhr ab, steigt auf die Fensterbank und springt in den Tod.
Im Stil von Brechts epischem Theater wurde diese Ende mit dem bitter ironischen Insert "Ein Arbeitsloser weniger" schon am Beginn vorweggenommen. Diese Bitterkeit kennzeichnet auch die zweite Kapitelüberschrift "Das schönste Leben eines jungen Menschen". Im Mittelpunkt steht nun Kurts Schwester Anni. Weil sie eine Delogierung aufgrund Mietrückstands nicht verhindern kann, ist die Familie gezwungen, in die Zeltkolonie Kuhle Wampe außerhalb Berlins zu übersiedeln. Ein Off-Kommentar informiert, dass es sich dabei um die älteste Wochenendsiedlung Deutschlands handelt.
Ganz im Milieu dieser Arbeiter bleibt "Kuhle Wampe", der Aufschwung des Nationalsozialismus wird völlig ausgespart. Für Anni verschärft sich die Situation, als sie von Fritz schwanger wird, dieser sie aber nicht heiraten will. Wie bei der Schilderung der Arbeits- und Wohnsituation am Beginn arbeitet Dudow auch hier mit einer spektakulären, an das russische Revolutionskino erinnernden Montage, wenn er in schneller Abfolge von Kinderbildern und Werbungen für Kindernahrung die Gedanken visualisiert, die die Schwangerschaft bei Anni auslöst.
Enttäuscht von ihrem Freund zieht sie zu Gerda, mit der sie in einer Metallfabrik arbeitet und die sie zu politischem Engagement in der Arbeiterbewegung motiviert. Gegenpol zu den tristen Lebens- und Arbeitsbedingungen ist ein Sportfest, zu dem sich die Aktivisten treffen und auch sozialistische Lieder singen. Auf der Rückfahrt in die Stadt mit der S-Bahn kommt es zu Diskussionen zwischen den jungen Arbeitern und Bürgern über die Weltwirtschaft und den Zustand der Welt, die mit der Feststellung endet, dass nur die die Welt ändern werden, denen sie nicht gefällt.
Dieser Weg in die Zukunft und in eine neue Welt, der schon zuvor in dem sozialistischen Kampflied "Vorwärts und nicht vergessen: die Solidarität" beschworen wurde, kommt auch im Schlussbild zum Ausdruck, wenn die Masse durch die Gänge der S-Bahnstation von der Kamera weg quasi in die Zukunft läuft.
Dieser Weg wird aber auch durch den Aufbau der Handlung vermittelt. Denn hier treten mit Fortdauer nicht nur an die Stelle der Enge der großstädtischen Mietswohnung die freie Natur, das Zeltlager und die Sportveranstaltung, sondern an die Stelle der Individuen und der Familie auch zunehmend die Gruppe. Wenn Anni und Fritz, die sich beim Sportfest wieder näher kommen, am Ende in der Gemeinschaft der Arbeiter gleichsam völlig aufgehen, vermittelt dies auch die Bedeutung der Solidarität und des gemeinsamen Kampfes für eine bessere Welt.
"Kuhle Wampe" ist ein bewusst schmuckloser Film, der ganz der realistischen und ungeschönten, quasidokumentarischen Schilderung des Alltags von Arbeitern auf der einen Seite und dem Engagement für Veränderung auf der anderen Seite verpflichtet ist. Statt breit eine Kinogeschichte zu erzählen, geht es Dudow und den Drehbuchautoren Bertolt Brecht und Ernst Ottwalt darum, an einzelnen Szenen exemplarisch die Situation der Arbeiter zu schildern. Auf Typen reduziert bleiben so die Figuren, fragmentiert und aufs Wesentliche konzentriert ist die Erzählweise.
Sichtbar wird dabei aber nicht nur die untragbare Lage der Arbeiterschaft, sondern auch die Unterdrückung und Ausbeutung der Frau. Da decken Dudow / Brecht / Ottwalt nämlich einerseits auf, wie in der Familie Bönike der Vater ganz klar den Ton angibt und keine Empathie für seine Kinder Kurt und Anni zeigt, andererseits wird Anni von Fritz, als sie schwanger wird, sitzengelassen.
An Sprachversionen bieten die bei Atlas Film in einem Mediabook erschienene DVD und Blu-ray die deutsche Originalfassung, zu der Untertitel für Hörgeschädigte sowie eine Audiodeskription für Sehbehinderte zugeschaltet werden können. Bestechend ist die Bildqualität, die trotz des Alters des Films von beinahe 90 Jahren durch die digitale Restaurierung erreicht wurde.
Die Extras umfassen neben einer Bildergalerie und Trailern zu weiteren Mediabooks dieses Labels ein 28-seitiges Booklet, das neben einem Original-Abdruck des "Film-Kuriers", einen Beitrag von Martin Koerber zu "Kuhle Wampe", ein Interview mit dem Produzenten Georg Höllering, die Chronik der Zensurentscheidung, Beiträge von Bert Brecht über die Arbeit am Film und über Realismus sowie zeitgenössische Kritiken und Pressestimmen enthält.
Trailer zu "Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt"
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