Nur vier lange Spielfilme und einen Kurzfilm konnte die Sowjetrussin Larissa Schepitko bis zu ihrem frühen Tod 1979 bei einem Verkehrsunfall drehen, doch ihr schmales Werk genießt hohes Ansehen. Das Stadtkino Basel erinnert mit einer Retrospektive an die „große Unbekannte des sowjetischen Kinos“.
Mit strenger Zensur hatten die sowjetischen Regisseure in den 1960er und 1970er Jahre zu kämpfen, dennoch hatten sich in den Jahren nach Stalins Tod und der so genannten "Tauwetter-Zeit" zahlreiche junge Regisseure zu Wort gemeldet und sich ein aufregendes Kino entwickelt. Andrej Tarkowskij schuf in dieser Zeit ebenso seine ersten Meisterwerke wie Andrej Michalkow-Kontschalowskij und sein Bruder Nikita Michalkow, Sergej Paradshanow oder die Georgier Otar Iosseliani und Tengis Abuladse.
Zu den wenigen Frauen, die sich im sowjetischen Film durchsetzen konnten, zählt die am 6. Januar 1938 geborene Larissa Schepitko. Mit 17 Jahren kam sie an die Moskauer Filmhochschule WGIK und studierte bei den Altmeistern Alexandr Dowschenko und Michail Romm. 1956 entstand ihr erster Kurzfilm, 1963 ihr Abschlussfilm „Snoj“ („Hitze“). Ohne Beschönigung schildert Schepitko in dem unter schwierigsten klimatischen Bedingungen in der kirgisischen Steppe gedrehten Spielfilm nach Tschingis Aitmatovs Roman „Das Kamelauge“ die Arbeits- und Lebensbedingungen in dieser Region.
Der Idealismus eines jungen Mannes, der einer Brigade bei der Gewinnung von Neuland helfen will, prallt dabei auf einen stalinistischen Kolchosenvorsteher, der seine Vorrangstellung durch die Ankunft des Jüngeren bedroht sieht. Subtil wird dabei laut Filmbeschreibung des Berliner Arsenal-Kinos in diesem poetischen „Eastern“ satirisch Chruschtschows in den 1950er Jahren gescheitertes Experiment, in Zentralasiens Steppen Neuland zu gewinnen, verarbeitet.
Drei Jahre später folgte mit „Krylja“ („Flügel“, 1966) ein engagierter Frauenfilm, in dessen Mittelpunkt eine alleinstehende Schuldirektorin und ehemalige Fliegerin steht, die zwar gesellschaftlich hohes Ansehen genießt, aber infolge ihrer Strenge und Unzugänglichkeit mit ihrer Umwelt in Konflikt gerät. Immer wieder entflieht sie deshalb aus ihrem Alltagstrott in die Erinnerung an eine glorreich empfundene Vergangenheit.
Erst 20 Jahre nach seiner Fertigstellung durfte der Episodenfilm „Natschalo Newedomogo Weka“ („Der Beginn eines unbekannten Zeitalters“, 1967), der zum 50. Geburtstag der Sowjetunion entstand und zu dem Schepitko den Kurzfilm „Rodina Elektrischestwa („Die Heimat der Elektrizität“) beisteuerte, aufgeführt werden. Zu wenig optimistisch war den Zensoren die Schilderung des Beginns eines neuen Zeitalters. Schepitko folgt in ihrer Episode einem jungen Elektriker, der in den 1920er Jahren in ein abgelegenes Dorf geschickt wird, um den Menschen Elektrizität zu bringen.
Ihr einziger Farbfilm „Ty i ja“ („Du und ich“; 1971), in dessen Mittelpunkt zwei Wissenschaftler stehen, von denen der eine durch einen mehrjährigen Aufenthalt in einem westlichen Land und das Scheitern seiner Ehe in eine Krise gerät, wurde zur kritischen Bestandsaufnahme von Schepitkos eigener Generation der 30-Jährigen.
Mit „Woschoschdene“ („Der Aufstieg“, 1976), der 1977 bei der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde, schaffte sie den internationalen Durchbruch. Kühn verbindet Schepitko darin das Drama zweier Partisanen im Zweiten Weltkrieg mit der Passionsgeschichte Christi. In eindringlichen expressionistischen Schwarzweißbildern werden dem Heldentum das Leiden, und dem bedingungslosen Kampf bis zum Tod Verrat und Kollaboration gegenübergestellt und Parallelen zu biblischen Motiven hergestellt.
„Woschoschdene“ sollte Schepitkos letzter Film bleiben, denn am 2. Juli 1979 kam die 41-Jährige zusammen mit ihrem Kameramann, dem Szenenbildnern und drei weiteren Mitarbeitern bei der Fahrt zur Motivsuche für ihren nächsten Film bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Vier Jahre später stellte ihr Ehemann Elem Klimov dieses Projekt „Abschied von Matjora“ (1983) fertig. Die Geschichte eines Inseldorfs, das wegen eines Wasserkraftwerks überflutet werden soll, wird dabei zur bildmächtigen Parabel über den Widerspruch von Tradition und Fortschritt, über Verwurzelung des Menschen und tiefe Naturverbundenheit.
Schon drei Jahre zuvor hatte Klimov mit dem kurzen Porträtfilm „Larissa“ eine zärtliche Hommage an seine verstorbene Frau gedreht, deren Werk nun wieder mit der Retrospektive im Stadtkino Basel dem Vergessen entrissen wird.
Ausschnitt aus "Woschoschdene" ("Der Aufstieg")
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