Bertrand Bonellos auf drei Zeitebenen spielender Mix aus Kostümfilm, Thriller und Science-Fiction ist ein ziemlich verstörender Brocken von einem Film: Visuell brillant, aufregend erzählt und mit einer großartigen Léa Seydoux in der Hauptrolle, aber auch sehr kühl und verkopft.
Auf einen Vorspann verzichtet Bertrand Bonello, der sich schon mit dem Bordell-Film "Haus der Sünde" (2011), dem Biopic "Saint-Laurent" (2014) oder mit "Zombi Child" (2019) als einer der wagemutigsten und spannendsten französischen Regisseure erwiesen hat. Nur eine Texttafel mit allen wesentlichen Daten wird auf die Leinwand geknallt, ehe in dieser sehr freien Verfilmung von Henry James´ Kurzgeschichte "The Beast in the Jungle" (1903), die zuletzt auch Patric Chiha mit "Das Tier im Dschungel" für die Leinwand adaptierte, ein elektrisierender Prolog vor einem Greenscreen folgt.
Von einem unsichtbar bleibenden Mann - es ist Bertrand Bonello selbst - erhält Gabrielle (Léa Seydoux) Anweisungen über das unsichtbare Set, das erst im Nachhinein hineinkopiert wird, und wie sie spielen soll. In ihren Gedanken findet sie dann doch auf dem imaginierten Tisch ein Messer und schreckt bei einem Geräusch – ist es das unsichtbar bleibende Biest? – zurück, bis sich das Bild in Pixel auflöst.
Das titelgebende Biest ist dabei die Angst vor der Liebe, die die aufkeimende Liebe immer wieder zerstört. Um diese Emotionen zu tilgen, unterzieht sich Gabrielle in der 2044 spielenden Haupthandlung einer Behandlung. Einen besseren Job kann sie nämlich nur bekommen, wenn sie sich an die völlig rational entscheidende KI durch Beseitigung ihrer Gefühle annähert.
Hoch ist die Arbeitslosigkeit in dieser von kalten Betonbauten bestimmten tristen Zukunft, in der die Menschen stets mit Atemmasken geschützt durch ein menschenleeres Paris gehen. Entspannung bringt nur ein Besuch in einem Club, in dem mal Musik aus den 1970er, dann aus den 1980er und schließlich aus den 1960er Jahren läuft. Die persönlichen Beziehungen Gabrielles beschränken sich hier auf eine Androidin, die zunächst nur ihr Helfer ist, schließlich aber auch Gefühle zu ihr entwickeln zu scheint.
Mit der Behandlung, bei der sie sich in eine mit Eis und einer pechschwarzen öligen oder teerigen Flüssigkeit gefüllte Wanne legen muss, taucht Gabrielle in ihre vergangenen Leben ab, die im Gegensatz zur im 4:3 Format gefilmten Haupthandlung in Breitwandformat gehalten sind.
Im Paris des Jahres 1910 – und nur diese Episode scheint von Henry James´ Kurzgeschichte inspiriert – lernt die glücklich verheiratete Gabrielle bei einer Abendveranstaltung den Engländer Louis (George MacKay) kennen, der behauptet sie schon vor einigen Jahren in Italien getroffen zu haben. Wie in Alain Resnais´ "Letztes Jahr in Marienbad" bleibt offen, ob dies den Tatsachen entspricht oder eine Lüge ist, dennoch kommen sich Gabrielle und Louis näher.
Doch Gabrielle fürchtet sich vor einer großen Katastrophe. Eine in die Wohnung eindringende Taube versetzt sie in Schrecken, eine Wahrsagerin bringt keine Klärung und sukzessive steigt das Hochwasser in Paris, an das Bonello mit eingeschnittenen Schwarzweißfotos erinnert.
Schon in diesen Historienfilm sind mehrfach Bilder eines Designerhauses mit Pool eingeschnitten, das Hauptschauplatz der Erinnerung Gabrielles an ihr Leben im Jahr 2014 ist.
In Los Angeles arbeitet sie hier an einer Modelkarriere und kümmert sich um die Villa des abwesenden Eigentümers. Zunehmend wird sie aber von dem 30-jährigen Louis gestalkt, der in Handyvideos über die Zurückweisung durch Frauen, seinen daraus resultierenden Frauenhass und seine Einsamkeit berichtet. Die Figur dieses Incel ist dabei vom Amokläufer Elliot Rodger inspiriert.
Aus dem Historienfilm wird hier ein abgründiger Thriller, in dem Bonello auch immer wieder Szenen, die teils als Filmbilder, teils als Aufnahmen der Überwachungskameras erscheinen, leicht variiert wiederholt. Dazu tritt an die Stelle der realen Wahrsagerin eine online-Wahrsagerin, die Gabrielle aber auch nicht klare Auskünfte über die Zukunft geben kann. Auf die Paris-Episode wird aber auch Bezug genommen, wenn an die Stelle des Hochwassers ein leichtes Erdbeben tritt, der Angriff einer Taube mit einer toten Taube und die dortige Puppenfabrikation mit einer Spielzeugpuppe wieder aufgenommen werden.
Faszinierend ist, wie Bonello mit Ausstattung und langen gleitenden Kamerafahrten in den Paris-Szenen ebenso überzeugend die Stimmung und die Gefühle des frühen 20. Jahrhunderts evoziert, wie mit kalten Räumen und Videobildern die Einsamkeit und Verlorenheit im Los Angeles des frühen 21. Jahrhunderts, in dem die Menschen unfähig sind, ihre Gefühle auszudrücken.
Noch trister ist freilich sein Blick auf die Zukunft, in der alle Gefühle unterdrückt oder verboten werden und wenn sie schließlich doch ausbrechen, nur mit Schrecken wahrgenommen werden.
Doch nicht nur mit den kühlen Bildern, sondern auch mit der Ausstattung dem großartigen Spiel von Léa Seydoux und George MacKay, der immer kühl und zurückhaltend bleibt, entwickelt sich "La Bête" zur faszinierenden Reflexion über den Wandel oder vielmehr das Verschwinden von Gefühlen in einer zunehmend technisierten und entmenschlichten Welt.
Dass dabei angesichts der dichten Struktur beim erstmaligen Sehen viele Rätsel zurückbleiben, schadet kaum, regt das doch an, diesen herausragenden Film mehrmals zu sehen. Glücklich sollte man deshalb sein, dass es immer noch so aufregende Filme gibt, die in keine Schublade passen und ganz eigene und neue Wege beschreiten und daran erinnern, welche unbegrenzten Möglichkeiten das Kino abseits ausgetretener Pfade hat. Dazu gehört auch, dass am Ende statt eines Abspanns ein QR-Code steht, der die entsprechenden Informationen liefert.
La Bête Frankreich / Kanada 2024 Regie: Bertrand Bonello mit: Léa Seydoux, George MacKay, Guslagie Malanda, Dasha Nekrasova, Martin Scali, Elina Löwensohn Länge: 146 min.
Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen. - Kinostart in Deutschland: 10.10. 2024; Kinostart in Österreich: 20.12. 2024
Trailer zu "La Bête - The Beast"
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