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AutorenbildWalter Gasperi

Landrián

Der afrokubanische Maler und Filmemacher Nicolás Guillén Landrián drehte zwischen 1963 und 1972 17 kurze Dokumentarfilme, doch den Machthabern der Karibikinsel war der Freigeist ein Dorn im Auge: Ernesto Daranas bietet in seinem Dokumentarfilm nicht nur einen Einblick in Leben und Schaffen des immer wieder Inhaftierten, sondern auch in die mühsame Recherche und Restauration von Landriáns vielfach zensierten Filmen.


In den 1960er Jahren zählte der Afrokubaner Nicolás Guillén Landrián zu den bedeutendsten Dokumentarfilmern der Karibikinsel, fiel dann aber durch Ächtung dem Vergessen anheim. Doch diesem entreißt Ernesto Daranas Landrián nun mit seinem Dokumentarfilm. Ausgehend vom 2020 gestatteten Zugang zum Archiv des kubanischen Filminstituts (ICAIC) und einem Buchprojekt von Landriáns Witwe Gretel Alfonso zeichnet Daranas Leben und Schaffen des 1938 geborenen und 2003 im Exil in Miami verstorbenen Malers und Filmemachers nach.


Leitlinien sind dabei einerseits die Erinnerungen der in ihrem Arbeitszimmer am Laptop sitzenden Witwe, die auch immer wieder aus den behördlichen Fallakten zitiert, andererseits die Recherchen im Filminstitut. Mit Schutzanzügen und Atemschutzgeräten bekleidet durchforsten hier Forscher die Regale, in denen verrottende Filmrollen lagern. Dabei fördern sie auch immer wieder verloren geglaubte Schätze zu Tage.


Während Gretel Alfonso so Einblick in das Privatleben ihres Gatten von Geburt über Kindheit und frühe sexuelle Erfahrungen bis zur Verfolgung durch die Regierung Castros zunächst wegen liederlichen Lebenswandels und Kontakt zu einer Mitarbeiterin der britischen Botschaft, bald auch wegen ideologischer Abweichung bietet, vermitteln die Filme, die in einem Vorführraum Landriáns Kameramann Livio Delgado gezeigt werden, einen Eindruck vom künstlerischen Schaffen.


Nicht nur mit Ausschluss aus dem kubanischen Filminstitut, sondern auch mit insgesamt 14 Jahren Haft und Zwangseinlieferung in eine psychiatrische Klinik bezahlte der Kubaner für seine sechs bis 20 Minuten langen Dokumentarfilme, bei denen er sich nicht an offizielle Vorgaben hielt, sondern teils ohne Drehbuch den Alltag einfing. Sieben seiner 17 Filme gelten als verloren, doch die Sichtung des erhaltenen Materials löst bei dem sichtlich bewegten Livio Delgado Erinnerungen sowohl an die Persönlichkeit Landriáns als auch an die Dreharbeiten aus.


Gleichzeitig beschwört "Landrián", der immer wieder auch Notizen und Tagebucheinträge des Porträtierten ebenso wie Fotos und Auszüge aus den Akten mit den erhobenen Vorwürfen ins Bild rückt, mit zahlreichen Filmausschnitten die poetische Qualität und den teils experimentellen Charakter von Landriáns Werk.


Immer wieder fokussierte dieser Filmemacher in Großaufnahmen auf Durchschnittsmenschen. Auf Kommentar und Interviews verzichtete er, fing dafür in großartigen Schwarzweißbildern die Parallelität von Gegensätzen sowohl im städtischen "En un barrio viejo" ("In einem alten Viertel", 1963) wieals auch im ländlichen "Ociel del Toa" ("Ociel vom Toa", 1965) ein.


Da werden nicht nur alte Menschen jungen, der Oberschicht die Unterschicht und Afrokubaner:innen weißen Einwohner:innen gegenübergestellt, sondern auch ein Marsch von Milizionären einer religiösen Feier und der Arbeit ausgelassener Tanz. Doch nicht Konfliktpotential wird mit diesen Gegensätzen aufgebaut, sondern vielmehr fügen sie sich zum Bild eines trotz seiner Vielfalt ebenso vitalen wie harmonischen Kuba.


Aber aus einem vorgeblich didaktischen Film über den Anbau von Kaffee ("Coffee Arábiga – Kaffee Arabica", 1968) kann Landrián auch ein kühn montiertes Bilderfeuerwerk mit Textinserts entwickeln, das auch massive politische Spitzen bietet, wenn man zuerst Fidel Castro bei einer Rede auf einem Hügel sieht und dem Abspann der Beatles-Song "The Fool on the Hill" unterlegt ist.


Im Gegensatz zu Landriáns Werk bewegt sich Daranas´ Dokumentarfilm in konventionellen Bahnen. Seine Bedeutung liegt darin, den Geächteten, der 1989 mit seiner Gattin nach Miami emigrierte, dem Vergessen zu entreißen und ihm ein Denkmal zu setzen.


Aber nicht nur die Person Landriáns, sondern auch dessen Werk wurde mit der Arbeit an diesem Film aufgespürt und – ausgerechnet mit Hilfe des kubanischen Filminstituts ICAIC – restauriert, sodass nun parallel zum Dokumentarfilm auch sieben Kurzfilme dieses großen Unangepassten und Widerständigen (wieder) entdeckt werden können. 


Landrián Kuba 2023 Regie: Ernesto Daranas Dokumentarfilm mit: Gretel Alfonso, Livio Delgado Länge: 80 min.


Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. am 27.8. im Kinok St. Gallen, Kino Rex Bern, Stadtkino Basel, Filmpodium Zürich, Stattkino Luzern.


Vorstellungen mit Einführung durch den in Kuba lebenden Autor Niels Walter:

Kino Rex Bern: Mo 19.8., 1830 Uhr Dokumentarfilm "Landrián"

Filmpodium Zürich: Mi 21.8., 18.30 Landriáns Kurzfilme - 20.45 Uhr Dokumentarfilm "Landrián" Stadtkino Basel: Mo 26.8., 18.30 Uhr - Landriáns Kurzfilme Kinok St. Gallen: Di 27.8., 18.30 Uhr Dokumentarfilm "Landrián" - 20.30 Uhr Landriáns Kurzfilme



Trailer zu "Landrián"



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