Ein verheirateter marokkanischer Schneider verliebt sich in seinen Lehrling: Behutsam und mit größtem Feingefühl erzählt Maryam Touzani unaufgeregt, aber dank herausragenden Schauspieler:innen und des genauen Blicks intensiv und sehr sinnlich von unterdrückten Gefühlen und langsamer Öffnung.
Vor vier Jahren gelang der Marokkanerin Maryam Touzani mit "Adam" ein meisterhaftes Langfilmdebüt. Spielte ihr erster Film in Casablanca, so spielt "Le Bleu du Caftan" in der Küstenstadt Salé, gemeinsam ist beiden Filmen aber, dass die Handlung in der jeweiligen Medina, der Altstadt, verortet ist. Die moderne Welt bleibt weitgehend ausgesperrt. Ging es in "Adam" um eine verwitwete Bäckerin und ihre achtjährige Tochter, die eine hochschwangere junge Frau aufnehmen, so stehen nun der Kaftan-Schneider Halim (Saleh Bakri) und seine Frau Mina (Lubna Azabal) im Mittelpunkt.
Weil Mina krank ist und sich ihr Gesundheitszustand verschlechtert, stellt das Paar, das seit 25 Jahren verheiratet ist, den Lehrling Youssef (Ayoub Missioui) ein. Bald wecken aber die spürbaren Gefühle zwischen Youssef und Halim, der seine in Marokko verbotene und mit bis zu drei Jahren Haft bestrafte Homosexualität nur heimlich in einer Einzelkabine des Hamam ausleben kann, die Eifersucht der dominanten Mina. Sie versucht den jungen Mann in Misskredit zu bringen, gleichzeitig versucht auch Halim aus Liebe zu Mina seine Gefühle für Youssef zu unterdrücken.
Nicht nur die Medina als Schauplatz, sondern auch die Engführung der Handlung und die feinfühlige und behutsame Inszenierung verbinden "Le Bleu du Caftan" mit "Adam". Wie in ihrem Debüt konzentriert sich Touzani auch hier auf die drei Protagonist:innen und beschränkt sich bei den Schauplätzen weitgehend auf die Schneiderei sowie Halims und Minas Wohnung.
Nie ist hier offen die Rede von Diskriminierung und Ächtung von Homosexuellen und doch ist der gesellschaftliche Hintergrund mit Blicken in die engen Gassen, einem Besuch in einem Café, einer Polizeikontrolle auf der nächtlichen Straße oder den arroganten Kundinnen, die die Schneiderei aufsuchen, stets präsent. In den in warme Farben getauchten Bildern der Kamerafrau Virginie Surdej wird nicht nur dicht die Atmosphäre der Altstadt beschworen, sondern auch die gesellschaftliche Enge spürbar.
Die Schneiderei, in der Frauen prächtige Hochzeitskleider nähen lassen, weist wiederum auf die Pflege von Traditionen hin. Gleichzeitig macht Touzani auch immer wieder die Krise von Halims Branche spürbar, wenn Kundinnen fordern, dass er doch schneller arbeiten oder die Kaftane nicht von Hand, sondern mit der Maschine nähen soll.
Im intensiven und geduldigen Blick auf die Arbeit Halims, der schon bei den Vorspanntiteln mit einer langen Kamerafahrt über den titelgebenden dunkelblauen Samt einsetzt, feiert Touzani dieses alte Handwerk. Viel Zeit nimmt sie sich für die genauen und sorgfältigen Handgriffe. In den Nahaufnahmen der bunten Stoffe, der Goldfäden oder der Stickereien entwickelt "Le Bleu du Caftan" ebenso eine große Sinnlichkeit wie im dampfenden Hamam oder einem delikaten Mahl, das Mina für Halim zubereitet.
Unvermeidlich ist es auch, dass Halim und Youssef sich körperlich näherkommen, wenn der Meister seinem Lehrling bestimmte Handgriffe zeigt. Wie hier Touzani mit Großaufnahmen der sich berührenden Hände oder Halims Blick auf den nackten Oberkörper Youssefs, als dieser sich in der Schneiderei umzieht, die wachsenden Gefühle und das Begehren intensiv erfahrbar macht, ist meisterhaft.
Der Annäherung zwischen Halim und Youssef steht die Feindseligkeit der schroffen Mina gegenüber. Großartig spielt Lubna Azabel, die schon in "Adam" eine Hauptrolle spielte, diese Frau, die fürchtet nun zurückversetzt zu werden, doch gerade in ihrer Krankheit die große Liebe und Fürsorge ihres Mannes erfährt. Wenn sich ihr Gesundheitszustand sichtlich verschlechtert, sie immer magerer und sie sich des nahen Todes bewusst wird, legt sie langsam ihre Schroffheit ab. Sie öffnet sich Youssef gegenüber, nimmt ihn an, um ihrem Mann einen neuen Weg in die Zukunft zu öffnen.
So entwickelt sich eine eigenartige Dreierbeziehung, deren Zeit freilich begrenzt ist, die aber von großer Empathie, Fürsorge und Wärme geprägt ist. Lange Dialoge sind dabei nicht nötig, sondern Blicke und Gesten bestimmen "Le Bleu du Caftan", der im Finale auch zu einem Film übers Abschiednehmen und Loslassen wird.
Zurückhaltung bestimmt dabei auch das Spiel der beiden Männer. Fast durchgängig bleibt so Ayoub Missioui in der Rolle des Lehrlings, der Aufträge ausführt. Nur in einer Szene lässt er sich von seinen Gefühlen überwältigen, wird aktiv und gesteht Halim seine Liebe. Saleh Bakri legt dagegen Halim als sanften Mann mit stets wohlwollendem und gütigem Blick an, der seine Gefühle immer unterdrückt hat und nie etwas von seinem Inneren nach außen dringen ließ. Spüren lässt Bakri die Zuschauer:innen, welche Selbstbeherrschung und Entbehrung es für Halim bedeutet hat, dass er nie er selbst sein konnte und in der Schneiderarbeit diese Verdrängung kompensierte.
Es zeugt von großer Könnerschaft eine so eng geführte und unspektakuläre Handlung mit so sicherem Rhythmus und so bruchlos über zwei Stunden zu entwickeln, dass keine Sekunde Leerlauf aufkommt und man gebannt dem Geschehen folgt. So fein gewoben wie die Stoffe Halims ist dieser Film, der nicht nur durch die Altstadt als Schauplatz, sondern auch durch die völlige Abwesenheit von Handys und anderen modernen Technologien förmlich der Zeit enthoben wirkt. Gleichzeitig ist "Le Bleu du Caftan" in seiner leisen und zarten Erkundung des Begehrens ebenso wie des Schmerzes durch unterdrückte und verdrängte Gefühle sowie dem leisen Plädoyer für ein befreites Leben und Lieben aber zeitlos und universell.
Le Bleu du Caftan - Das Blau des Kaftans Frankreich / Marokko / Belgien / Dänemark 2022 Regie: Maryam Touzani mit: Lubna Azabal, Saleh Bakri, Ayoub Missioui, Mounia Lamkimel, Abdelhamid Zoughi, Zakaria Atifi, Fatima Hilal Länge: 121 min.
Läuft jetzt in den Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen, Skino Schaan und GUK Kino Feldkirch.
Trailer zu "Le Bleu du Caftan - Das Blau des Kaftan"
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