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AutorenbildWalter Gasperi

Liebe, Sex und Politik: Lina Wertmüller


Lina Wertmüller (geb. 1928)

Als erste Frau überhaupt wurde Lina Wertmüller 1978 für einen Regie-Oscar nominiert, im Oktober 2019 erhielt die 1928 geborene Italienerin einen Ehren-Oscar für ihr Lebenswerk. Das Stadtkino Basel widmet der 92-Jährigen im Februar eine Retrospektive.


Dünn gesät waren in den 1960er und 1970er Jahren die Regisseurinnen, die international auf sich aufmerksam machen konnten. In Frankreich hatte Agnès Varda diesen Durchbruch Anfang der 1960er Jahre geschafft, in Deutschland Margarethe von Trotta in den 1970er Jahren und in Italien gelang dies neben Liliana Cavani, die mit Skandalfilmen wie „Der Nachtportier“ für Aufregung sorgte, der am 14. August 1928 in Rom geborenen Lina Wertmüller.


Gegen den Willen ihres Vaters, eines Rechtsanwalts, studierte sie in Rom an der Theaterakademie Schauspiel und arbeitete anschließend als Produzentin und Regisseurin avantgardistischer Stücke. Anfang der 1960er Jahre kam sie durch ihre Freundschaft mit Marcello Mastroianni zum Film und wurde Regieassistentin Federico Fellinis bei dessen Meisterwerk „Otto e mezzo“ (1963).


Noch im gleichen Jahr legte sie mit „I Basilischi“ ihr Regiedebüt vor, in dem sie noch ganz im Stil des Neorealismus semidokumentarisch den Alltag in einem abgelegenen Dorf in der süditalienischen Basilikata schildert. In den folgenden Jahren entstanden weitere, aber nur mäßig erfolgreiche Filme, ehe ihr in den 1970er Jahren in der Zusammenarbeit mit dem Schauspieler Giancarlo Giannini der große Durchbruch gelang. Nach diesem heftigen Aufblühen wurde es aber auch rasch wieder still um die väterlicherseits von einer Schweizer Adelsfamilie abstammende Regisseurin.


Fast so lang wie ihr offizieller Name Arcangela Felice Assunta Wertmüller von Elgg Espanol von Braueich sind dabei auch die Titel dieser vor Fabulierlust überbordenden, barocken und teils grotesken Filme.


In „Mimi metallurgico ferito nell´onore” ("Mimi, in seiner Ehre gekränkt", 1972) thematisiert Wertmüller anhand eines sizilianischen Arbeiters, den die Suche nach Arbeit nach Turin führt, nicht nur das im italienischen Film oft behandelte Spannungsverhältnis zwischen reichem Norden und armem Süden, sondern auch die Rolle von Kommunismus und Mafia sowie die Geschlechterverhältnisse. Leise Zwischentöne sind dabei kaum Wertmüllers Sache, vielmehr neigt sie zu einem Kino des kräftigen Strichs und der deftigen Erzählweise.


Im Mittelpunkt von „Film d´amore e d´anarchia, ovvero stamattina alle 10 in via die Fiori nella nota casa die tolleranza“ (1973), dessen Titel in Deutschland auf „Liebe und Anarchie“ verkürzt wurde, steht ein Bauernbursch, der Mussolini töten will, aber scheitert, während die Hauptperson von "Travolti da un insolito destina nell´azuzurro mare d´agosto“ („Hingerissen von einem ungewöhnlichen Schicksal im azurblauen Meer im August“, 1974) ein kommunistisch gesinnter Matrose ist, der während einer Bootsfahrt mit einer reichen Norditalienerin auf einer einsamen Insel strandet. Hier kehren sich nicht nur die Machtverhältnisse um, sondern die bürgerliche Frau erlebt durch die archaische Sexualität des Matrosen auch ihre Erfüllung.


Immer wieder verknüpft Wertmüller Politik und Sexualität, scheut dabei nicht derbe und vulgäre Szenen, verleiht ihren Filmen damit aber auch Leidenschaft und Kraft. Den größten Erfolg landete sie 1975 mit „Pasqualino Settebellezze“ („Sieben Schönheiten“), in dem Giannini einen neapolitanischen Kleinkriminellen spielt, der nach einem Mord zu Haft verurteilt wird, zwar fliehen kann, schließlich aber in ein deutsches KZ deportiert wird, das er überlebt, indem er sich einer KZ-Aufseherin sexuell zur Verfügung stellt.


Der Erfolg dieser Groteske, die für vier Oscars, darunter für die beste Regie, und einen Golden Globe nominiert wurde, verschaffte Wertmüller ein Engagement in Hollywood. Die dort entstandene Liebes- und Ehegeschichte „La fine del mondo nel nostro solito letto in una notte piena di pioggia“ („In einer Regennacht“, 1978), in der sich ein italienischer Kommunist und eine emanzipierte Amerikanerin über ihre Beziehung und die Lage der Gesellschaft streiten, konnte mit ihren Rededuellen jedoch nicht überzeugen.


Nie mehr gelang es Wertmüller in der Folge an ihre großen Erfolge der 1970er Jahre anzuknüpfen, auch wenn sie bis 2004 relativ kontinuierlich weitere Spielfilme drehte. International beachtet wurde im Grunde nur noch der 1985 entstandene „Un complicato intrigo di donne, vicoli e delitti: Camorra“ („Camorra“), in dem eine Gruppe von Frauen sich gegen neapolitanische Drogenhändler zur Wehr setzt und versucht, dem Drogenhandel ein Ende zu bereiten.


Die Retrospektive im Stadtkino Basel bietet eine Gelegenheit Wertmüllers Werk neu oder auch wieder zu entdecken und dessen bisherige Einschätzung vielleicht auch zu revidieren.


Kurzer Zusammenschnitt von Szenen aus Filmen Lina Wertmüllers



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