
James Mangold verdichtet den Aufstieg Bob Dylans zum Star zu einem 140-minütigen Spielfilm. Ohne Dylan zu erklären oder zu verklären, beschwört das für acht Oscars nominierte Biopic atmosphärisch dicht die amerikanische Folk- und Gegenkultur der frühen 1960er Jahre und wird von einem großartigen Timothée Chalamet in der Hauptrolle getragen.
Kopfschütteln muss der "deutsche" Titel hervorrufen: Wenn dieser mit "Like a Complete Unknown" sowieso Englisch bleibt, ist unverständlich, wieso man nicht beim Original "A Complete Unknown" blieb, sondern ein "Like" ergänzte und damit natürlich die Aussage entscheidend veränderte.
An den Coen-Film "Inside Llewyn Davis" (2013), der ebenfalls Anfang der 1960er Jahre spielt, scheint James Mangold mit der Eröffnungsszene seines Biopics anzuknüpfen. Wie dort der fiktive, aber vom realen Folksänger Dave von Ronk inspirierte Protagonist steht auch hier der erst 19-jährige Bob Dylan (Timothée Chalamet), der 1961 von Minnesota nach New York kommt, auf einer winterlichen Stadtstraße. Im Gegensatz zum erfolglosen Llewyn Davis wird aber Dylan, über dessen Kindheit und Jugend man in "Like a Complete Unknown" so wenig erfährt wie über die Gründe für die Aufgabe seines realen Namens Robert Zimmerman, rasch den Aufstieg zum Star schaffen.
Gleichzeitig wird mit der nächsten Szene aber schon ein politischer Subtext eingeführt, wenn sich Pete Seeger (Edward Norton) vor Gericht verteidigen muss, weil er Woody Guthries angeblich den Kongress verhöhnenden Song "This Land Is Your Land" sang. – Ein Grund für Mangold diesen Song einzuspielen und zudem die Möglichkeit, Seeger und Dylan im Krankenhaus, in dem Guthrie liegt, zusammenzuführen.
Begeistert sind Seeger und Guthrie, der aufgrund der Nervenkrankheit Chorea Huntington nicht mehr sprechen kann, vom Song den Dylan für sein großes Vorbild geschrieben hat und so setzt bald ein scheinbar unaufhaltsamer Aufstieg ein. In Sylvie Russo (Elle Fanning) findet er auch eine Geliebte, aber auch mit Joan Baez (Monica Barbaro) kreuzen sich Dylans Wege.
Von zahlreichen Hits Dylans begleitet spannt Mangold den Bogen über das Monterey Folk Festival 1963 bis zum Newport Folk Festival 1965. Dort vollzieht der Star den Übergang von der Folk- zur mit elektronischer Verstärkung arbeitenden Rockmusik und zieht damit die Gegnerschaft der Veranstalter, aber auch die Ablehnung zumindest eines Teils des Publikums auf sich.
Mangold nimmt sich von der ersten Begegnung mit Woody Guthrie bis zum Auftritt in Newport aus dramaturgischen Gründen zahlreiche künstlerische Freiheiten. Er versucht auch weder Dylan zu erklären noch verklärt er ihn, sondern zeichnet ihn als Sänger und Mensch mit Ecken und Kanten.
Ausführlich arbeitet der auch den Preis der Berühmtheit heraus. Unerträglich findet der Singer-Songwriter nämlich, dass er stets Erwartungen von Fans erfüllen soll. In keine Schublade will er sich pressen lassen und auch der Rummel in der Öffentlichkeit ist ihm zuwider, sodass er meist mit schwarzer Sonnenbrille durch die Straßen geht.
Großartig vermittelt Timothée Chalamet, der sich fünf Jahre für diese Rolle vorbereitet haben soll und auch selbst die zahlreichen Songs singt, diese Entwicklung Dylans vom unbeschwerten jungen Mann zum zunehmend unter seinem Ruhm leidenden Star, der gleichwohl stets seine Unabhängigkeit bewahrt und trotzig seinen eigenen Weg geht.
Geschickt bettet Mangold die Handlung aber auch über Nachrichten im Fernsehen in die politische und gesellschaftliche Entwicklung ein von der Kubakrise über den Kampf für Abschaffung der Rassentrennung bis zum Vietnamkrieg. Wenn Dylan beim Newport-Festival 1964 "The Times They Are A-Changin`" singt, dann evoziert der Film intensiv die Stimmung eines gesellschaftlichen Wandels, gleichzeitig wird mit dem Zoom auf die zunehmend traurig blickende Sylvia aber auch der private Umbruch mit einer Trennung signalisiert.
In seinem perfekt getakteten Rhythmus, in dem Szene auf Szene folgt, nichts breit ausgewalzt wird, aber auch nie Hektik aufkommt, ist "Like a Complete Unknown" eine perfekt geölte Kinomaschine. Zügig wird so die Handlung vorangetrieben, die perfekte Ausstattung evoziert dicht die Atmosphäre der frühen 1960er Jahre und auch die zahlreichen Songs sorgen dafür, dass kein Leerlauf aufkommt.
Im Gegensatz zu Todd Haynes, der in seinem Bob Dylan-Film "I´m Not There" (2007) den Sänger von sechs Schauspieler:innen, darunter auch Cate Blanchett und der Afroamerikaner Marcus Carl Franklin spielen ließ, um die Vielschichtigkeit Dylans zu vermitteln, erzählt Mangold, der ein Fan des klassischen Hollywood ist, ungleich konventioneller. Gleichwohl arbeitet auch er von Anfang an heraus, wie Dylan sich jeder Rollenzuschreibung entziehen will.
Keine Antwort gibt er so am Beginn auf die Frage, ob er ein Folk-Musiker sei und zumal am Ende wird er sich mit dem Wechsel zur Rockmusik von dieser Zuschreibung befreien. Gleichzeitig kann Mangold über die Begegnungen Dylans mit dem legendären Countrysänger Johnny Cash auch eine Querverbindung zu seinem Johnny Cash-Biopic "Walk the Line" (2005) herstellen.
Wie mit dem "Todeszug nach Yuma" (2007) betitelten Remake von Delmer Daves´ Western "3:10 to Yuma" oder dem Rennfahrerfilm "Ford vs. Ferrari" ("Le Mans – Gegen jede Chance", 2019), in dem unübersehbar Howard Hawks´ Western "Red River" zitiert wurde, erweist Mangold auch in diesem Biopic dem klassischen Hollywood seine Reverenz. Seiner eigenen Kinoliebe, aber auch der Kinoliebe Dylans ist nämlich geschuldet, dass er - wohl fiktiv - Dylan und Sylvie im Kino Irvin Rappners 1942 gedrehten "Now, Voyager" (Reise aus der Vergangenheit") sehen und über die Rolle von Bette Davis diskutieren.
Gleichzeitig geht "Like a Complete Unknown" in der Fokussierung auf der amerikanischen Gegenkultur der 1960er Jahre aber über einen historischen Film hinaus und plädiert unübersehbar gerade in Zeiten eines Präsidenten Trump, dessen Wiederwahl zur Entstehungszeit des Films noch nicht absehbar war, für eine liberale, tolerante und kritische Gesellschaft, die wie Dylan zu ständiger Veränderung und Erneuerung bereit ist. – Weit über das Künstlerporträt und die Unterhaltung hinaus entwickelt dieses Biopic so durchaus aktuelle politische Sprengkraft, die in dieser Mainstream-Form auch ein breites Publikum erreichen kann.
A Complete Unkown – Like a Complete Unknown
USA 2024 Regie: James Mangold mit: Timothée Chalamet, Elle Fanning, Dan Fogler, Boyd Holbrook, Edward Norton, Norbert Leo Butz, Monica Barbaro Länge: 141 min.
Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Cinema Dornbirn (Deutsche Fassung) und im Skino Schaan (OmU).
Trailer zu "A Complete Unknown - Like a Complete Unknown"
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