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AutorenbildWalter Gasperi

Minari - Wo wir Wurzeln schlagen


In seinem für sechs Oscars nominierten vierten Spielfilm erzählt Lee Isaac Chung, von autobiographischen Erfahrungen inspiriert, von einer koreanischen Familie, die versucht, sich in den USA der 1980er Jahren eine neue Existenz aufzubauen: Ein Drama, das durch großartige Besetzung und die spürbare Vertrautheit mit dem Thema bewegt und jedes Abgleiten in Sentimentalität vermeidet.


In jeder Szene von "Minari" spürt man, den persönlichen Bezug von Lee Isaac Chung zu diesem Film und dass hier ein Stoff seinen Autor gefunden hat. Wie der sechsjährige David (Alan S. Kim), aus dessen Perspektive großteils erzählt wird, wuchs auch der 1978 in Denver geborene Regisseur als Sohn koreanischer Immigranten auf einer Farm in den Ozark Mountains in Arkansas auf.


Nach einem Biologiestudium an der Yale University begann Chung ein Filmstudium an der University of Utah, das er 2004 abschloss. Große Beachtung fand schon sein 2007 entstandenes Spielfilmdebüt "Munyurangabo", in dem er von den Nachwirkungen des Völkermords in Ruanda erzählte, doch seinen internationalen Durchbruch schaffte er erst 13 Jahre und drei Filme später mit "Minari". Von der Premiere beim Sundance Film Festival, wo das Familiendrama mit dem Großen Preis der Jury und dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde, setzte ein Triumphzug ein, der 2021 in der Nominierung für sechs Oscars, darunter für den Besten Film und die Beste Regie, gipfelte. Immerhin ging dann auch die begehrte Statuette für die beste Nebendarstellerin an Yoon Yeo-jeong für ihre Verkörperung der Großmutter.


Mit dem Blick von Innen auf das Leben einer ethnischen Minderheit in den USA steht Chung freilich im aktuellen US-amerikanischen Kino nicht alleine da, sondern eine kleine Bewegung scheint sich hier zu entwickeln, die dem Kino auch neuen Schwung und neue Frische verleiht. So verarbeitete in den letzten Jahren die in den USA lebende gebürtige Chinesin Lulu Wang in der bittersüßen Tragikomödie "The Farewell" (2019) Erinnerungen an ihre Familie oder die ebenfalls in China geborene und in den USA lebende Chloe Zhao tauchte in "Songs My Brothers Taught Me" (2015) und "The Rider" (2017) in die Welt der indigenen Lakota ein und blickte auch im gefeierten "Nomadland" (2020) aufs Leben am Rand der US-Gesellschaft.


Auch Chungs Film spielt abseits der weißen Mehrheitsgesellschaft und fokussiert ganz auf der koreanischen Familie, die in der Hoffnung auf ein besseres Leben in die USA ausgewandert ist. Schon mit den ersten Bildern schwört er den Zuschauer auf die Perspektive Davids (Alan S. Kim) ein, wenn man den Jungen im Auto mit seinen Eltern und seiner älteren Schwester Anne (Noel Kate Cho) sieht. Unterwegs sind sie von Kalifornien nach Arkansas, wo der Vater Jacob (Steven Yeun) ein Mobilheim und ein großes Grundstück gekauft hat. Hier will er den Traum von einer eigenen Farm verwirklichen, denn mit jährlich 30.000 bis 50.000 koreanischen Immigranten gibt es in den USA sicherlich genügend Abnehmer für koreanisches Gemüse.


Stolz präsentiert der Vater der Familie das neue Heim, doch vor allem die bodenständige und realistische Mutter Monica (Han Ye-ri) ist wenig erbaut über den schmucklosen Fertigteilkasten auf Rädern. Auch an die schwärmerischen Pläne der Farm will sie nicht glauben, wirft ihrem Mann vielmehr vor, dass sie für seine Fantastereien ihre ganzen Ersparnisse ausgegeben haben. Verdient haben sie sich diese in Kalifornien als Chicken Sexer, die auf Geflügelfarmen die frisch geborenen Küken auf ihr Geschlecht prüfen und die männlichen sofort aussortieren.


Auch in Arkansas verdient das Paar damit zunächst sein Geld, doch unermüdlich arbeitet Jacob auch an seinem Traum, gräbt einen Brunnen und beginnt das Feld zu bestellen. Immer wieder kommt es aber zu heftigem Streit, da Monica angesichts eines Herzfehlers von David auch näher bei einer Stadt und einer Klinik leben möchte. Zurück nach Kalifornien möchte sie, doch mit dem Zugeständnis Jacobs Monicas Mutter aus Korea als Babysitterin für die Kinder zu holen, wird zumindest vorübergehend eine Einigung gefunden.


Doch David verhält sich der Großmutter (Yoon Yeo-jeong) gegenüber ablehnend. Er kritisiert, dass sie "koreanisch riecht", keine Kekse backen kann und treibt so auch ziemlich böse Scherze mit ihr. Vorhersehen kann man freilich, dass es zu einer Annäherung kommen wird, aber auch dramatische Zwischenfälle bleiben nicht aus, die immer wieder die sowieso schon labile Ehe zusätzlich gefährden.


Mag Chung auch weitgehend aus der Perspektive Davids erzählen, so kommen doch auch die Eltern zu ihrem Recht und differenziert werden die unterschiedlichen Charaktere und ihre Träume herausgearbeitet. Zu einer starken Figur wird hier auch die Großmutter mit ihren Schrullen und Eigenheiten, die Yoon Yeo-jeong mit viel Herzblut spielt, während die etwa elfjährige Tochter Anne eine Randfigur bleibt.


Der Fokus liegt ganz auf der Familie, der Kontakt zur Außenwelt bleibt gering. Im Evangelikalen Paul (Will Paton), der am Sonntag jeweils ein mächtiges Kreuz auf seinen Schultern über die Landstraße trägt, findet Jacob zwar ein Mitarbeiter auf seiner Farm, aber sonst beschränkt sich der Kontakt zur Außenwelt weitgehend auf einen Besuch der Kirche. Fremdenfeindlichkeit ist dabei kaum ein Thema, denn sofort scheinen die Migranten akzeptiert und aufgenommen. Da mag ein weißer Junge sich auch zunächst über Davids Gesicht und seine Sprache lustig machen, rasch wird hier dennoch Freundschaft geschlossen.


Warmherzig erzählt Chung so vom Ankommen in einer neuen Welt, von dem im deutschen Untertitel angesprochenen "Wurzel schlagen" und den Schwierigkeiten, die so ein Neustart mit sich bringt. Wesentlich zur bewegenden Kraft von "Minari", dessen Titel sich auf die koreanische Petersilie bezieht, die die Großmutter am Fluss pflanzt, trägt die Vertrautheit des Regisseurs mit dieser Geschichte und dem Milieu bei. Genau ist sein Blick für Details und man spürt in jeder Szene seine Anteilnahme und, dass er genau weiß, wovon er erzählt.


So sehr so eine Familiengeschichte aber auch immer mit Emotionen aufgeladen ist, so bleibt Chungs Inszenierung doch zurückhaltend und ruhig und verhindert auch durch das Gespür für sanften Humor jedes Abgleiten in Sentimentalität. Das Ergebnis ist feinfühliges und ehrliches Kino, das mitten ins Herz trifft.


Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok in St. Gallen und im Skino in Schaan. - ab 29.7. in den österreichischen Kinos


Trailer zu "Minari - Wo wir Wurzeln schlagen"



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