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AutorenbildWalter Gasperi

Nosferatu – Der Untote (2024)

Robert Eggers´ gelingt ein bildmächtiges und atmosphärisch dichtes Remake von Friedrich Wilhelm Murnaus Stummfilmklassiker, das intensiv Urängste beschwört und dem Bösen nachspürt.


Prägend war für Robert Eggers ein Bild von Max Schreck als Graf Orlok in Friedrich Wilhelm Murnaus "Nosferatu - Eine Symphonie des Grauens" (1921/22), das er als Zehn- oder Elfjähriger in einem Buch über Vampire sah. Er wollte nicht nur unbedingt mehr über diesen Stummfilm wissen, sondern führte auch als 17-Jähriger gemeinsam mit seiner Mitschülerin Aschley Kelly-Tata bei einer Schultheaterinszenierung von "Nosferatu" Regie (Gmelch, Art-Horror, S. 18f.).


Diese Kindheitserfahrung weckte in Eggers nicht nur das Interesse am Horrorfilm, sondern beeinflusste auch seine eigenen Filme. Wie "Nosferatu" im 19. Jahrhundert spielt, so tauchte auch Eggers in seinen bisherigen drei langen Spielfilmen immer in die Vergangenheit ab und beschwor atmosphärisch dicht archaische Welten. Auf das im 17. Jahrhundert in Neuengland spielende Debüt "The VVitch" (2016), in dem Hexenglauben eine Familie zerstört, folgte mit "The Lighthouse" (2019) ein Ende des 19. Jahrhunderts spielendes düsteres Kammerspiel um zwei Leuchtturmwärter. In "The Northman" (2022) erzählte er schließlich eine brutale Rachegeschichte aus der Welt der Wikinger.


Alle Filme von Eggers, zu dem es mit Adrian Gmelchs "Art-Horror. Die Filme von Ari Aster und Robert Eggers" und dem Sammelband "Perspektiven auf Robert Eggers´ Filme" trotz des schmalen Werks schon zwei deutschsprachige Bücher gibt, zeichnet die akribische Rekonstruktion einer vergangenen Zeit und ein großes Gespür fürs Atmosphärische aus.


An eine vergangene Zeit der Filmgeschichte knüpft der 41-jährige Amerikaner bei "Nosferatu - Der Untote" schon mit dem Vorspann an, der sich auf in alter Schrift gehaltene weiße Titel auf schwarzem Grund beschränkt. Wie hier Schwarz und Weiß aufeinandertreffen, zieht sich durch den ganzen Film der Gegensatz von Hell und Dunkel, von Gut und Böse.


Aus der schwarzen Leinwand heraus hört man so das Weinen der jungen Ellen (Lily-Rose Depp), ehe ihr Gesicht sichtbar wird und sie aus einem schrecklichen Traum erwacht. Wie diese Szene mit dem Kontrast von Weiß und Grau bis Schwarz zum Monochromen tendiert, reduziert Kameramann Jarin Blaschke durchgängig die Farbpalette.


Großartige, atmosphärisch dichte und sehr kunstvolle Bilder schafft Eggers´ langjähriger Mitarbeiter hier, die dafür sorgen, dass sich auch "Nosferatu" im Grenzbereich zwischen Horror- und Arthouse-Film bewegt. Das Spannungsfeld von Gut und Böse kommt dabei visuell nicht nur im Kontrast von zahlreichen von Grau, Schwarz und Weiß bestimmten Szenen und gelbem Kerzenlicht zum Ausdruck, sondern auch dadurch, dass die Gesichter vielfach halb in Licht und halb in Dunkel getaucht sind.


Die eigentliche Handlung von "Nosferatu" setzt einige Jahre nach Ellens Traum 1838 in der fiktiven deutschen Küstenstadt Wisborg ein. Ziemlich genau hält sich Eggers dabei auf der Handlungsebene an das Original von Murnau, interessant sind so vor allem die Akzent- und Schwerpunktverschiebungen.


Wie bei Murnau bricht Ellens Mann Thomas (Nicholas Hoult) im Auftrag des Immobilienmaklers Knock (Simon McBurney) nach Transsylvanien auf, um dort den Grafen Orlok (Bill Skarsgård) einen Grundstücksvertrag unterzeichnen zu lassen. Betont wird dabei aber im Gegensatz zum Original die ökonomische Situation des Paares als Motivation von Thomas, der seiner Frau mit diesem Auftrag und dem damit in Aussicht gestellten beruflichen Aufstieg eine bessere Zukunft ermöglichen will.


Eggers spielt hier auch zunächst mit dem Gegensatz von bürgerlicher Welt des 19. Jahrhunderts und archaischer Roma-Kultur, um dann mit der Burg des Grafen Orlok das abgrundtiefe Böse ins Zentrum zu rücken. Mit großer Bildmacht und starkem Sounddesign wird diese finstere Welt beschrieben und dezent zitiert Eggers in der Bildsprache mit Einstellungen und Schattenspielen Murnaus Original.


Das Gesicht Orloks bleibt dabei lange unsichtbar, allein durch seine Stimme und seine langen knöchrigen Finger verbreitet diese Figur ein Gefühl der Bedrohung. Wenn dieser Fürst der Finsternis nach Deutschland aufbricht, breitet sich auch das Böse aus.


Stürzen Ratten und Pest zunächst die Mannschaft des Schiffs ins Verderben, so breitet sich bald der Tod in der deutschen Kleinstadt aus. Wie Orlok dabei seine schwarze Hand über die Stadt legt, erinnert an eine Szene in Murnaus "Faust"-Film, in der Mephisto mit seinem schwarzen Mantel ebenfalls Finsternis über eine Kleinstadt legt.


Sukzessive verdichtet sich nun die telepathische Beziehung zwischen Ellen und Orlok, die schon mit dem Traum in der Pre-Title-Sequenz eingeführt wurde. Gleichzeitig werden Bedrohung und Spannung kontinuierlich gesteigert, wenn Eggers mehrere Handlungsstränge verschränkt. So steht der Schiffsreise Orloks der zunehmende Wahnsinn des von ihm abhängigen Immobilienmakler Knock und der Versuch von Thomas von Transsylvanien in seine Heimat zurückzukehren, aber auch Ellens sich steigernden Anfälle von Besessenheit gegenüber.


Mit dem Kampf des Arztes Sievers (Ralph Ineson) und des Alchimisten Albin Eberhart von Franz (Willem Dafoe) gegen diese Besessenheit, bei deren Inszenierung sich Eggers an William Friedkins Klassiker "Der Exorzist" zu orientieren scheint, verdichtet sich auch der Gegensatz von Rationalität und Irrationalem. Einen Kommentar zur heute zunehmenden Wissenschaftsskepsis kann man dabei in der Figur des Alchimisten sehen. Im Gegensatz zum an die Wissenschaft glaubenden Sievers setzt dieser nämlich auf obskure Methoden. Doch die Krise macht die Menschen eben anfällig für solche Pseudo-Forscher und sichtbar wird mit von Franz auch, dass es das Irrationale und den Aberglauben nicht nur im archaischen Transsylvanien gibt, sondern sich diese Strömungen auch im aufgeklärten Deutschland breitmachen.


Intensität entwickelt der klassisch erzählte Film dabei auch dadurch, dass Eggers – wie schon in seinen bisherigen Filmen - auf ironische Brechungen und postmoderne Spielereien verzichtet. Er erzählt mit so großer Inbrunst und Ernst, dass die Fragen nach den Wurzeln des Bösen und den Möglichkeiten der Bekämpfung sowie nach den Grenzen der Wissenschaft zeitlose Aktualität gewinnen.


Aber auch ein Spiel mit biblischen Motiven lässt sich ausmachen. Wenn Ellen nämlich mit ihrem jugendlichen Begehren im einleitenden Traum den Vampir zum Leben erweckt, bringt sie damit wie die biblische Eva mit dem Genuss des Apfels das Böse in die Welt. Andererseits kann "Nosferatu", der vor dem Hintergrund von Weihnachten spielt, auch als umgekehrte Weihnachtsgeschichte gelesen werden. Denn während im Christentum der Erlöser Jesus geboren wird, indem Maria Gottes Willen erfüllt, bringt hier einzig die freiwillige Hingabe Ellens an den Vampir Erlösung.


Eggers´ Frauenbild mag dabei aus heutiger Sicht reaktionär sein, passt aber wohl in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dominiert wird die Handlung nämlich von den Männern, während Ellen auf ein Objekt reduziert wird, das zwischen unschuldiger Liebe zu ihrem Mann Thomas und triebhaftem Verlangen nach Graf Orlok zerrissen ist. Gleichzeitig ist diese ambivalente und von Lily-Rose Depp stark gespielte Figur damit aber auch markanter Gegenpol zu Orlok und das eigentliche Zentrum des Films. Erst durch sie entwickelt dieses ebenso kunst- wie kraftvolle Remake seine Spannung und Vielschichtigkeit.

 

 

Nosferatu – Der Untote (2024)

USA / Tschechien 2024 Regie: Robert Eggers mit: Aaron Taylor-Johnson, Bill Skarsgård, Nicholas Hoult, Lily-Rose Depp, Emma Corrin, Willem Dafoe, Simon McBurney Länge: 132 min.



Läuft ab 2.1. 2025 in den Kinos, z.B. in der Kinothek Lustenau und im Cineplexx Hohenems.



Trailer zu "Nosferatu - Der Untote" (2024)



 

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