In Ruanda schaukeln sich 1973 in einem abgelegenen katholischen Mädcheninternat die Spannungen zwischen Hutus und Tutsis hoch, bis sie in gewalttätige Ausschreitungen münden, die Vorboten des Genozids von 1994 sind. – Ein bestechend schön gefilmtes, aber etwas spannungsarmes Drama, in dessen poetischen Bildern sich langsam der Schrecken ausbreitet.
In langer Fahrt gleitet die Kamera von Thierry Arbogast durch den Schlafsaal des in den Bergen von Ruanda in der Gegend einer Quelle des Nils gelegenen katholischen Mädcheninternats. Hier sollen die Töchter der Eliten des Landes für ihre zukünftige Rolle vorbereitet werden. Kirchgang, Unterricht und Arbeiten im Haus und auf den Feldern bestimmen den Alltag.
Eine Idylle beschwört der Afghane Atiq Rahimi in der Verfilmung des von autobiographischen Erfahrungen geprägten Romans der ruandischen Schriftstellerin Scholastique Mukasonga am Beginn. In leuchtendes Grün sind die Dschungelbilder, in warmes Braun die Szenen im Internat getaucht. "Die Unschuld" ist dieses erste Kapitel auch überschrieben, reines Spiel ist eine Kissenschlacht, doch schon hier werden Spannungen durch die koloniale Geschichte spürbar. Für sich gewinnen will die Kirche offensichtlich die Bewohner, als Identifikationsangebot dient eine schwarze Marienstatue, doch unter der dünnen Farbschicht ist sie doch weiß.
Die koloniale Herrschaft dauert trotz der Unabhängigkeit an, die das Land 1962 von Belgien erlangt hatte. Nur französisch dürfen so die Mädchen sprechen und in der Schule wird nur europäische, aber nicht afrikanische Geschichte gelehrt. Der christliche Glaube trifft hier auf alte Mythen, die von den Mädchen teilweise im Geheimen erzählt werden und an die sie ein Franzose oder Belgier erinnert, auf dessen Plantage sich die Grabstätte einer Tutsi-Königin befindet.
Schleichend spitzen sich die Spannungen zu, wenn im zweiten Abschnitt, der den Titel "Das Heilige" trägt, auf eine Quotenregelung bezüglich Hutus und Tutsis im Internat hingewiesen wird. Eifersucht weckt diese bei einigen Hutu-Mädchen, die zunehmend Hass gegen die Tutsis schüren, ihre Mitschülerinnen verleumden und mit dem erfundenen Bericht von einem Überfall eine Militarisierung dieser abgeschiedenen Welt einleiten. Bald bewachen Soldaten das Internat und militante junge Männer lassen sich davor nieder, bis die Gewalt eskaliert.
Wenn die europäischen Klosterschwestern inklusive der Oberin die Augen davor verschließen und statt sich einzumischen und zu kalmieren, sich in ihren Zimmern einschließen, ist dies nicht nur eine Kritik am Verhalten der Kirche 1973, sondern weist auch auf das Verhalten der Welt 20 Jahre später voraus. Tatenlos sah nämlich die internationale Staatengemeinschaft 1994 dem Völkermord zu, dem rund eine Million Menschen, vor allem Tutsis, zum Opfer fielen.
Die Morde selbst spart der 1962 in Kabul geborene Regisseur aus, zeigt aber in stummen, verzerrten Bildern die blutigen Folgen. In starkem Kontrast zu diesem schrecklichen Geschehen steht die poetische Erzählweise mit berückend schönen Bildern. So bestechend das aber auch gefilmt ist, so bleibt der Zuschauer doch zu sehr auf Distanz, um echte Spannung aufkommen zu lassen.
Weil Rahimi immer wieder zwischen mehreren Mädchen wechselt, die zudem – zumindest für einen europäischen Zuschauer – aufgrund des ähnlichen Aussehens und der einheitlichen Schuluniform schwer zu unterscheiden sind, bleibt die Figurenzeichnung blass und die emotionale Kraft dieses Dramas gering. Einprägsame bildmächtige Szenen wie ein Tanz der ganz in Weiß gekleideten Schülerinnen auf einem nächtlichen Volleyball-Feld bei Regen sorgen aber dann doch wieder dafür, dass "Notre-Dame du Nil" haften bleibt.
Trailer zu "Notre-Dame du Nil"
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