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AutorenbildWalter Gasperi

Nurejew - The White Crow


1961 nützte der Tänzer Rudolf Nurejew einen Aufenthalt des Kirow-Balletts in Paris, um sich von der Sowjetunion abzusetzen. Ralph Fiennes zeichnet in seinem Spielfilm anhand dieses Parisaufenthalts und kurzen Rückblenden eine dichte Charakterstudie des vom Balletttänzer Oleg Ivenko stark gespielten Ballett-Stars.


Nur in kurzen Rückblenden, die farblich fast auf Schwarzweiß reduziert sind, bietet Ralph Fiennes Einblick in die Kindheit des 1938 in einem Waggon der Transsibirischen Eisenbahn geborenen Rudolf Nurejew. Schon damals galt er als „White Crow“, als Außenseiter. Weitere Rückblenden kreisen um seine tänzerische Ausbildung in Leningrad, bei der schon seine Arroganz und seine Unerschrockenheit gegenüber den Behörden sichtbar werden, sowie sein Verhältnis zum sanftmütigen Ballettlehrer Alexander Puschkin (Ralph Fiennes) und dessen Frau.


Dreh- und Angelpunkt des Films, der auf Julie Kavanaghs „Nurejew. Die Biografie“ basiert, ist aber der dreiwöchige Aufenthalt des Leningrader Kirow-Balletts in Paris im Frühjahr 1961. Am Höhepunkt des Kalten Kriegs will die Sowjetunion dem Westen damit seine künstlerische Überlegenheit demonstrieren. Dass Rudolf Nurejew (1938 - 1993) freilich nicht in seine Heimat zurückkehren wird, macht schon die Auftaktszene deutlich, in der ein sowjetischer Beamter Puschkin informiert, dass sich sein Schüler abgesetzt habe und dies Landesverrat sei. Puschkin aber antwortet, es gehe Nurejew nur ums Tanzen.


Politik ist in Fiennes drittem Spielfilm, der mit den leicht unscharfen Super 16-mm Bildern und gedeckten Farben atmosphärisch stimmig in die frühen 1960er Jahre versetzt, erst am Ende wirklich Thema, schwingt aber im Hintergrund natürlich von Anfang an mit. Kaum einen Schritt kann Nurejew in der französischen Hauptstadt nämlich ohne Begleitung von KGB-Beamten machen, wie bei Kindern reglementieren diese die Ausgehzeiten der Tänzer. Durchgängig wird so beiläufig der Gegensatz von freier westlicher Gesellschaft und repressiver Sowjetunion, die einem Künstler kaum Raum zum Atmen und seine Visionen zu realisieren lässt, verhandelt.


Doch Nurejew lässt sich davon nicht einschränken. Schon sein Besuch des Place de la republique mit dem Monument à la République mit den Aufschriften „Liberté, fraternité, egalité“ vermittelt sein Freiheitsstreben. Vor allem Kunst will er in Paris einsaugen, will Werke von Matisse und Picasso sehen und besucht frühmorgens den Louvre um Théodore Géricaults „Das Floss der Medusa“ für sich allein studieren zu können.


Dass die Wahl dieses Gemäldes, das vom Überlebenskampf von Seeleuten, die schließlich dem Kannibalismus verfielen, kein Zufall ist, machen die Rückblenden deutlich, die zeigen, wie entschlossen und unerschütterlich Nurejew für die Verwirklichung seiner Karriere als Tänzer kämpfte. Verständlich wird aus diesen Rückblenden auch, dass er sich nun kaum von KGB-Agenten in seiner Freiheit einschränken lassen wird.


Während die anderen sowjetischen Tänzer unter sich bleiben, hat Nurejew so keine Scheu Franzosen wie den Tänzer Pierre anzusprechen und mit diesem ebenso wie mit der jungen Chilenin Clara Saint (Adèle Exarchopoulos) abends auszugeben. Sichtlich Gefallen findet der gefeierte Tänzer am Pariser Leben, doch die Beamten verfolgen sein Verhalten mit zunehmendem Missfallen.


Ein kluger Schachzug von Fiennes war es, sich auf den Parisaufenthalt von Nurejew zu konzentrieren. Statt in einen anekdotischen Szenenbogen über das Leben des Startänzers abzugleiten, entwickelt er so eine dichte Charakterstudie. Zurückhaltend und unauffällig bleibt dabei die Inszenierung, vertraut auch auf den russischen Balletttänzer Oleg Ivenko, der nicht nur mit kurz gehaltenen, aber großartigen Tanzszenen begeistert, sondern auch die Ambivalenz von Nurejew zwischen künstlerisch sehr interessiertem und gebildetem und aufbrausendem, arrogantem und verletzendem jungen Mann meisterhaft vermittelt.


Auf dramatische Szenen kann Fiennes dabei getrost verzichten und nicht viel passiert im Grunde, durchgehend spannend bleibt dieses Porträt dennoch dank der überzeugenden Verschränkung von Gegenwart und Rückblenden (Drehbuch: David Hare) sowie starken Schauspielern. Ruhig, aber konzentriert entwickelt sich „The White Crow“ so lange, erst am Ende dreht Fiennes so richtig auf, wenn Nurejew sich entscheiden muss, ob er in Paris bleiben oder in die Sowjetunion zurückkehren will und die sowjetischen Beamten den Absprung verhindern wollen. Da wird schließlich aus der Charakterstudie ein Thriller, der packt, obwohl sein Ausgang allgemein bekannt ist.


Läuft derzeit im St. Galler Kinok

TaSKino Feldkirch im Kino Rio: 28.9. - 3.10. 2019


Trailer zu "Nurejew - The White Crow"



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