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AutorenbildWalter Gasperi

On the Train: Zugfilme


The Station Agent (Tom McCarthy, 2003)

Nicht nur "On the Road", mit Pferd oder Auto unterwegs, sind Filmfiguren seit den Anfängen des Kinos, sondern immer wieder spielte und spielt auch die Eisenbahn eine große Rolle. – Das Kino Cameo in Winterthur lädt unter dem Titel "ZUGeschaut - Von der Schiene auf die Leinwand" zu einer kleinen Reise durch die Geschichte des Zugfilms ein.


Der erste Eisenbahnfilm fällt beinahe mit dem Beginn der Filmgeschichte zusammen: Schon wenige Tage nach der ersten öffentlichen Filmvorführung am 28. Dezember 1895 präsentierten die Gebrüder Lumière am 6. Januar 1896 ihren Kurzfilm "L´arrivée du train à La Ciotat". Die Legende erzählt, dass Teile des Publikums erschrocken aufgesprungen seien, als der Zug im Film direkt auf sie zufuhr.


Die Bewegung, das Fahren ist wohl ein Grund dafür, dass Eisenbahnen im Kino so beliebt sind. Diese Begeisterung für die Dynamik der Dampfzüge ist beispielsweise die Grundlage so verschiedener, aber gleichermaßen herausragender Stummfilme wie Buster Keatons "The General" (1927) oder Abel Gances "La roue" (1922). Die äußere Bewegung kann dabei mit einer inneren korrelieren. So verknüpft beispielsweise auch Andrej Konchalowskj in seinem packenden Thriller "Runaway Train" (1985), in dem ein führerloser Zug mit zwei Häftlingen durch die Eiswüste von Alaska rast, furios die Psychogramme der Protagonisten mit spektakulären Actionszenen.


Andererseits bietet sich eine Zugfahrt auch für Zufallsbekanntschaften an: Auf Zeit treffen zwei Menschen auf engem Raum aufeinander, die Möglichkeiten sich selbst zu beschäftigen sind gering, so kommt man ins Gespräch. Während sich in Alfred Hitchcocks Patricia-Highsmith-Verfilmung "Strangers on a Train" (1951) daraus ein perfider Mordplan entwickelt, führt in Richard Linklaters "Before Sunrise" (1995) eine solche Begegnung zwischen einem jungen Amerikaner und einer Französin auf der Fahrt von Budapest nach Wien zu einem romantischen Nachmittag und Abend in der österreichischen Hauptstadt.


Ein weiteres Moment, das einen Zug zu einem interessanten Schauplatz für Filme macht, ist die Abgeschlossenheit des Raumes: Für die Zeit der Bahnfahrt können die Insassen nicht weg. Das kann dazu führen, dass sich in Juho Kuosmanens "Compartment No. 6" (2021) in der Enge des Abteils eine finnische Archäologiestudentin und ein ungehobelter russischer Minenarbeiter, die im Grunde nichts miteinander gemein haben und zunächst auch nichts voneinander halten, sich im Lauf der mehrtägigen Fahrt doch langsam näher kommen, oder dass die Zahl der Täter in einem Krimi wie Sidney Lumets glanzvoll besetzter Agatha-Christie-Verfilmung "Murder on the Orient Express" (1974) eng abgesteckt werden kann.


Andererseits kann aber auch ein Verbrecher seinem Opfer wie in Peter Hyams´ Thriller "Narrow Margin - 12 Stunden Angst" (1990) immer näher rücken, ohne dass diesem Fluchtmöglichkeiten offen stehen oder der enge Raum muss wie in Alfred Hitchcocks "The Lady Vanishes" (1938) Abteil für Abteil nach einer verschwundenen Person abgesucht werden.


Überhaupt spielt in den Filmen Hitchcocks die Eisenbahn oft eine nicht zu unterschätzende Rolle. In "The 39 Steps" (1935) flieht beispielsweise ein unschuldig Verdächtigter mit dem Zug und lernt dabei eine Frau kennen, die ihn schließlich unterstützt, und in "North by Northwest" (1959) nützt der Meister des Suspense eine Zugfahrt zum wohl pornographischsten Bild der Filmgeschichte: Auf eine Einstellung, in der Cary Grant Eva Marie Saint in sein Liegewagenbett zieht, lässt Hitchcock die Einfahrt des Zugs in einen Tunnel folgen.


Der Bau der Eisenbahn, die eine entscheidende Rolle bei der Eroberung und Besiedlung der USA spielte, ist dagegen wieder ein Motiv, das sich in vielen Western findet. Schon John Fords "The Iron Horse" (1924) widmet sich diesem Thema, das ein zentrales Element der amerikanischen Geschichte ist.


Ins Negative verkehrt wird dieses Thema spätestens in Sergio Leones "C´era una volta il west" ("Spiel mir das Lied vom Tod", 1968), in dem die Eisenbahngesellschaft zum Inbegriff des Großkapitalismus wird, der die Kleinbürger unterdrückt. Bis in die Zeiten Leones wurde der Bau der transamerikanischen Eisenbahn im Kino aber immer wieder verklärt. Musterbeispiel für diese patriotische Geschichtsschreibung ist Cecil B. DeMilles wohl kaum zufällig kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs gedrehter "Union Pacific" (1939).


In das vom Bürgerkrieg erschütterte Mosambik des Jahres 1889 entführt dagegen "The Train of Salt and Sugar" (2016), in dem ein von Soldaten bewachter Zug Salz ins benachbarte Malawi liefern soll, um die Fracht dort gegen Zucker einzutauschen. Differenzen innerhalb der Militärs sorgen in dem durch großartige Landschaftsaufnahmen beeindruckenden Film dabei ebenso für Spannung wie Überfälle von Rebellen.


Aber nicht immer muss es in Eisenbahnfilmen nur um Zugfahrten gehen, manchmal geht es auch um eisenbahnbegeisterte Hauptfiguren. So entwickelt Tom McCarthy in "The Station Agent" (2003) um einen kleinwüchsigen Mann, der ein stillgelegtes Zugdepot erbt, eine herzerwärmende Tragikomödie um drei einsame Menschen.


In Jiri Menzels Debüt "Ostre sledovanüe vlaky" ("Scharf beobachtete Züge", 1966) beschränkt sich dagegen ein junger Bahnangestellter in einem tschechischen Provinznest gegen Ende des Zweiten Weltkriegs nur auf die Beobachtung des Alltags und der Affären eines älteren Kollegen. Verwirrt steht er lange den Annäherungsversuchen einer Schaffnerin gegenüber, bis er durch die Begegnung mit einer Widerstandskämpferin lernt, selbst Initiative zu ergreifen.


Im Gegensatz zu diesem historischen Hintergrund spielt Veit Helmers dialogloser „Vom Lokführer, der die Liebe suchte" (2018) in einem märchenhaften Aserbaidschan. Trotz materieller Armut wirkt diese Eisenbahnwelt heil, wenn der Lokführer Nurlan seinen Zug durch die Berglandschaft lenkt und sich schließlich auf die Suche nach der Besitzerin eines traumhaften Büstenhalters macht, der sich an seiner Lokomotive verfangen hat.


Einen - teilweise sich überschneidenden Beitrag mit dem Fokus auf Lokführern, Gleisarbeitern und Bahnhofsvorstehern finden Sie hier.


Weitere Informationen und Spieldaten zur Filmreihe im Kino Cameo in Winterthur finden Sie hier.


Trailer zu "The Lady Vanishes"




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