Ein tödlicher Unfall führt eine Mutter und ihren Sohn, die in Tiflis leben, und eine ländliche Familie zusammen. Während die Provinzler auf neue Chancen durch eine Entschädigung hoffen, stürzen die Städter in eine schwere – nicht nur finanzielle - Krise. – Unaufgeregt und in überlegter Bildsprache zeichnet Ioseb Soso Bliadze in seinem Langfilmdebüt ein bedrückendes Bild prekärer Lebensverhältnisse im heutigen Georgien, verbreitet mit sanftem Humor aber auch Hoffnung und den Glauben an die Überlebenskraft der einfachen Leute.
Das georgische Kino erlebte im letzten Jahrzehnt einen regelrechten Boom. Levan Akins "And then we Danced" reüssierte weltweit in den Arthouse-Kinos und Dea Kulumbegaschwili gelang mit ihrem bildmächtigen Debüt "Beginning" einer der großen Festivalerfolge der Jahre 2020/2021. Dazu kamen kleinere Filme wie George Ovashvilis "Corn Island" (2014) oder Nana Ekvtimischwilis und Simon Gross´ "In Bloom – Die langen hellen Tage" (2013).
Nun gesellt sich mit dem 1986 in Tiflis geborenen Ioseb Soso Bliadze ein weiterer Regisseur dazu, den man im Auge behalten sollte. Nach einem Studium an der Fakultät für Exakte und Natur-Wissenschaften und anschließend in Theater und Film in Tiflis legt er nach mehreren Kurzfilmen mit "Otar´s Death" sein Langfilmdebüt vor.
Durch spiegelbildliche Anordnung bietet er dabei Einblick sowohl ins Leben in der Hauptstadt Georgiens wie auf dem Land. Gemeinsam ist allen Protagonisten, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse für alle prekär und sie mit ihrer Situation nicht glücklich sind.
In Tiflis schlägt sich die Mittdreißigerin Keti (Nutsa Kukhianidze) mit dem Verkauf von Kosmetikartikeln durch, muss aber trotzdem ihren 16-jährigen Sohn Nika (Iva Kimeridze) immer wieder um Geld bitten. Verwunderlich ist das kaum, denn lieber geht die lebenslustige Mutter mit ihren Freundinnen auf nächtliche Streifzüge durch die Bars, als sich um ihren Sohn zu kümmern.
Immerhin macht sie mit ihm am Wochenende einen Ausflug aufs Land, setzt sich aber bald mit Bekannten ab, während Nika allein nach Hause fahren will. Dabei fährt er im Dunkeln einen alten Bauern an. Als dieser stirbt, sind dessen Tochter Tamara (Eka Chavleishvili) und der erwachsene Enkel (Archil Makalatia) auf Anraten eines befreundeten Dorfpolizisten bereit auf eine Anzeige zu verzichten, wenn Keti und Nika innerhalb von 24 Stunden eine beträchtliche Summe als Entschädigung bezahlen.
Den bröckelnden Fassaden der Hochhäuser von Tiflis stehen die rückständigen Verhältnisse auf dem Land gegenüber. Während die Tochter des Verstorbenen davon träumt, mit dem Geld nach Tiflis zu ziehen, will Nikas Freundin Ana nur weg aus der georgischen Hauptstadt. Nika selbst bleibt weitgehend passiv, versinkt in Schuldgefühlen, bis er plötzlich Ana gegenüber übergriffig wird. Seine Mutter dagegen versucht verzweifelt das Geld aufzutreiben. Ihr Weg führt von der Bank, bei der sie um einen Kredit bittet, über den Verkauf des Autos bis zu einem Freund aus früheren Tagen. Gleichzeitig zeichnen sich aber auch bei der Familie auf dem Land neue Entwicklungen ab.
Soso spitzt die Ereignisse nicht zu, sondern erzählt unaufgeregt in langen, vorwiegend statischen Einstellungen. Einerseits lässt er so seinem hervorragenden Ensemble viel Zeit und Raum, um die Befindlichkeit und Gefühle dieser Figuren erfahrbar zu machen, andererseits vermittelt der langsame Erzählrhythmus aber auch die bedrückende Stimmung, die Perspektivlosigkeit und die Lethargie, die vor allem Nika kennzeichnet.
So ausgewogen dabei sein Blick auf Land und Stadt ist, so ausgewogen und unvoreingenommen ist er auch auf die Charaktere. Niemand wird hier konsequent verurteilt, mit allen zeigt Soso Mitgefühl und zeichnet sie als Produkte der sozialen Verhältnisse, die sie fast zerbrechen und ausrasten oder auch betrügen lassen.
Doch so bedrückend auch die materiellen Verhältnisse sind, so schleicht sich in diese sorgfältig kadrierten Einstellungen durch ihre Dehnung und den mitfühlenden Blick auf die Protagonist*innen und ihre tragikomische Jagd nach dem Glück doch immer wieder sanfter Humor ein, der die Bitterkeit der Situation abfedert.
Vor allem aber scheinen die Ereignisse bei den beiden Müttern neue Kräfte freizusetzen. Denn während Keti erstmals Verantwortungsgefühl entwickelt und bedingungslos für ihren Sohn zu kämpfen beginnt, will sich Tamara auch durch überraschende Wendungen ihren Traum vom großen Glück in der Stadt nicht nehmen lassen.
Otar´s Death Georgien 2021 Regie: Ioseb Soso Bliadze mit: Iva Kimeridze, Nutsa Kukhianidze, Eka Chavleishvili, Archil Makalatia, Taki Mumladze Länge: 106 min.
Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen (ab 1.3.)
Trailer zu Otar´s Death
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