Sechs Jahre nach seinem Programmkino-Erfolg „The Lunchbox“ erzählt Ritesh Batra erneut von einer im Grunde unmöglichen Liebe in Mumbai. Der in jeder Szene stimmige, sanft und leise erzählte Liebesfilm zeichnet dabei beiläufig auch ein Bild der gesellschaftlichen Kluft in der indischen Metropole.
Rafi (Nawazuddin Siddiqui) ist aus seinem Dorf im Norden Indiens nach Mumbai gekommen, um hier als Straßenfotograf Geld zu verdienen. Die aus der gehobenen Mittelschicht stammende Miloni (Sanya Malhotra) besucht eine Schule für Wirtschaftsprüfer. Er ist Mitte 40, sie Mitte 20. Nichts verbindet sie, doch zufällig begegnen sie sich am Gateway to India, wo Rafi Touristen, Liebespärchen und Familien fotografiert.
Rasch verschwindet Miloni wieder, als Freundinnen sie rufen, doch weil Rafis Großmutter im heimatlichen Dorf ihre Medikamente absetzt, bis der Enkel ihr endlich eine Ehefrau vorstellt, präsentiert er ihr in einem Brief Miloni als seine Verlobte. Als die Oma nach Mumbai kommt, muss er nun Miloni ausfindig machen und bittet sie das Spiel mitzuspielen. Langsam kommen sich die beiden verlorenen Seelen, die sich in ihrer Welt nicht wohl fühlen dabei näher.
Mit seinem vierten Film kehrt der 40-jährige Ritesh Batra, der in Mumbai aufwuchs und später in den USA studierte, nach der weniger geglückten Julian Barnes´ Verfilmung „The Sense of an Ending“ ("Vom Ende einer Geschichte") und der mit Robert Redford und Jane Fonda glanzvoll besetzten Netflix-Produktion „Our Souls at Night“ zum Stil seines Kinodebüts „The Lunchbox“ zurück.
Wie er dort von einer Hausfrau erzählte, deren für ihren Mann bestimmtes exquisites Essen versehentlich einen Witwer erreicht und sich langsam eine zarte Liebe entwickelt, so erzählt er auch hier von zwei Seelenverwandten, die äußerlich nichts miteinander gemein haben.
Die Parallelmontage ist folglich auch das zentrale Strukturprinzip des Films, mit der Batra prägnant, aber nie aufgesetzt die vielfältigen Gegensätze herausarbeitet. Während Miloni nämlich mit ihrer Familie und einer Hausangestellten in einem großen Haus lebt, wohnt Rafi mit vier Freunden in einer kleinen und stickigen Wohnung. Er schickt einen großen Teil seines Verdienstes nach Hause, um die Schulden des Vaters zurückzuzahlen und das elterliche Haus zurückzukaufen. Sie hat sich durch ihren Lebensstil schon so weit von der einfachen Bevölkerung entfernt, dass das auf den Straßen verkaufte Essen bei ihr eine Darmverstimmung verursacht, und sie die Ratten im Kinosaal, die für Rafi ganz normal sind, verschrecken.
Und doch erfüllt sie das Leben in der Großstadt nicht, sondern sie träumt vielmehr von einem – wohl verklärt vorgestellten – Leben auf dem Land. Unaufdringlich, aber unmissverständlich vermittelt die Vervielfachung ihres Gesichts in Spiegeln immer wieder ihre Zerrissenheit oder Aufnahmen durch Gitter oder enge Gänge ihre Gefangenschaft in der gesellschaftlichen Situation.
Geschönt wirkt in den in warme Farben und Licht getauchten Bildern freilich das Elend der Metropole, nicht harte Sozialkritik will Batra bieten, sondern eine zarte und leise erzählte Liebesgeschichte. Schüchtern wirken die beiden von Nawazuddin Siddiqui und Sanya Malhotra wunderbar zurückhaltend gespielten Protagonisten. Wenig sprechen sie, doch in ihren Blicken spürt man, dass sie mit ihrem Leben nicht glücklich sind, dass sie zwar einerseits die Vorgaben von Großmutter bzw. Eltern erfüllen wollen, sich aber bewusst sind, dass sie sich dadurch selbst verlieren.
Während es auf den Straßen von Mumbai laut zu und her geht, sitzen so Rafi und Miloni immer wieder schweigend nebeneinander im Taxi. Auch ein geschwätziger Taxifahrer und die resolute Großmutter, die stets etwas zu sagen oder zu erzählen hat, bilden einen starken Kontrast zu diesen wortkargen Protagonisten. Intensiv spürt man deren Verbundenheit und Sehnsucht, aber körperlich kommen sie sich kaum näher. Rund 90 Minuten wartet Batra mit der ersten Berührung der Hände, auf einen Kuss verzichtet er völlig und bis zum Ende Siezen sich – zumindest in den deutschen Untertiteln – die beiden Protagonisten.
Explizit spielt Batra dabei am Ende auch auf die Muster des Bollywood-Kinos an, legt offen, dass immer dieselbe Geschichte von einem Mädchen und einem Jungen erzählt wird, lässt selbst aber das Ende seiner im Grunde unmöglichen Beziehungsgeschichte offen.
In jeder Szene stimmig ist dieser zarte und von leisem Humor durchzogene Liebesfilm, der auch wie ein Gegenstück zu „Sir – Die Schneiderin der Träume“ wirkt, in dem Rohena Gera mit umgekehrten Geschlechtervorzeichen ebenfalls in Mumbai von einer stillen Liebe zwischen einer Hausangestellten aus der Provinz und einem wohlhabenden Großstädter erzählt.
Nie forciert Batra die Emotionen, sondern lässt den Charakteren in langen Einstellungen Raum und Zeit lassen. Unterstützt wird die zurückhaltende und feinfühlige Inszenierung durch den sorgfältig gewählten und geschickt dosierten Musikeinsatz, der zusammen mit den eleganten Bildern atmosphärisch dicht die Stimmung der Sehnsucht und Melancholie beschwört, die diesen warmherzigen und zutiefst menschlichen Film durchzieht.
Wird am Mittwoch, den 4.12. um 18 Uhr und am Donnerstag, den 5.12. um 19.30 Uhr vom FKC Dornbirn im Cinema Dornbirn gezeigt (hindi-engl. O.m.U.)
Trailer zu "Photograph"
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