Ende des 18. Jahrhundert soll in Frankreich eine Malerin eine junge Adelige malen. Langsam entwickelt sich eine intime Beziehung, die aber nur im Geheimen gelebt werden kann. – Sehr beherrscht, aber durch die Konzentration auf das Wesentliche und starke Darstellerinnen intensiv entwickelt Céline Sciamma großes sinnliches Kino über das Begehren, gesellschaftliche Konventionen und Sehnsucht nach weiblicher Selbstbestimmung.
Nachdem Céline Sciamma in „Tomboy“ (2011) von einem androgynen Mädchen erzählte, das nach seiner geschlechtlichen Identität sucht, und im kraftvollen „Bande de filles“ (2014) auf eine Gruppe randständiger schwarzer Teenager fokussierte, die sich gegen alle äußeren Umstände selbst behaupten, legt die 41-jährige Französin nun mit „Portrait de la jeune fille en feu“ ihren ersten historischen Film vor. – Ihren Themen bleibt sie gleichwohl treu.
Sciamma lässt im Frankreich des Jahres 1770 die junge Malerin Marianne (Noémie Merlant) auf eine Insel in der Bretagne übersetzen. Dort soll sie die junge Adelige Héloïse (Adèle Haenel) malen, die nach dem Selbstmord ihrer Schwester an deren Stelle einen Mailänder Adeligen heiraten soll. Als Heiratsempfehlung soll der Brautigam ein Porträt seiner zukünftigen Gattin erhalten.
Die Insel wird der einzige Schauplatz bleiben, Marianne, Héloïse sowie ihre Mutter (Valeria Golina), die einst selbst auf ähnliche Weise von Mailand nach Frankreich kam, und die Dienerin Sophie bleiben abgesehen von einigen Statisten die einzigen Charaktere. Männer kommen praktisch nicht vor. Diese Beschränkungen, zu denen auch der Verzicht auf Filmmusik gehört, führen zu einer Konzentration auf das Wesentliche: auf die Beziehung zwischen den Charakteren und deren Entwicklung.
Wie die Malerin genau auf Details blickt und mit Licht und Farben arbeitet, fängt auch Claire Mathons Kamera das von kaltem Stein bestimmte und nur durch Kaminfeuer oder Kerzen erhellte Anwesen und den rauen Atlantikstrand in bestechenden Bildern ein. Großes sinnliches Kino entwickelt sich dabei nicht nur durch diese Bilder, sondern auch durch die großartige Tonspur mit hallenden Tritten auf dem Steinboden, dem Knarren von Türen, dem Knistern des Holzes im Feuer oder dem Rauschen der Meeresbrandung. – An Jane Campions „Piano“ erinnert das in den Außenszenen und in der Fokussierung auf der Rolle der Frau im 18. Jahrhundert ebenso wie in der Lichtführung in den Innenszenen an Peter Greenaways „The Draughtman´s Contract“.
Die meisterhafte visuelle und akustische Gestaltung ist der Hintergrund und die Grundlage, auf dem Sciamma die Geschichte langsam, aber perfekt aufgebaut und dicht entwickelt. Weil Héloïse sich nicht malen lassen will und der letzte Maler deshalbunverrichteter Dinge abziehen musste, wird Marianne ihr als Begleiterin für Spaziergänge präsentiert. Sie soll sie dabei genau studieren und dann aus dem Gedächtnis heraus malen.
Nur im Rücken sieht man Héloïse beim ersten Mal, folgt ihr mit Marianne, wenn sie das Haus verlässt und auf die Klippe zu rennt – bis sie doch noch im letzten Moment stoppt und den Kopf wendet. – Eine spektakuläre Einführung einer Figur ist Sciamma hier gelungen.
Zwischen den beiden jungen Frauen entwickelt sich in der Folge ein Katz- und Mausspiel, bei dem sie sich gegenseitig beobachten. Unzufrieden ist Marianne mit dem ersten Bild, weil sie damit nicht das Wesen von Héloïse erfasst, also startet sie einen zweiten Versuch, bei dem die junge Adelige bereit ist Modell zu sitzen, während die Mutter die Insel für mehrere Tage verlässt. Nicht nur Marianne und Héloïse kommen sich dabei näher, sondern sie unterstützen auch die Dienerin Sophie, die ungewollt schwanger wurde, bei der Abtreibung.
Abgeschieden und unter sich entwickelt sich so die Utopie einer Frauengemeinschaft, in der gesellschaftliche Positionen keine Rolle mehr spielen, sondern gleichberechtigt und befreit miteinander Karten gespielt wird.
Nicht aus dem Film, sondern nur aus Beschreibungen ist die Situierung im Jahr 1770 zu erfahren, dennoch ist diese nicht bedeutungslos, wird die Handlung damit doch in der Zeit der Aufklärung und nur zwei Jahrzehnte vor der Französischen Revolution verankert. Mit Marianne, Héloïse und Sophie versammelt Sciamma dabei auch die Schicht des Adels, des Bürgertums und des einfachen Volkes. Der völligen Fremdbestimmung der adeligen Héloïse durch familiäre und gesellschaftliche Regeln steht die relative Freiheit Mariannes gegenüber, die zumindest ihren Ehemann selbst wählen könnte, während für die mittellose Dienerin ein uneheliches Kind wohl Sturz ins Elend bedeuten würde.
Sciamma forciert diesen gesellschaftlichen Aspekt aber nicht, erzählt vielmehr mit bewundernswerter Zurückhaltung, die freilich wieder mit der Zurückhaltung und äußeren Beherrschung ihrer Charaktere korrespondiert. Wie in ihre Korsette sind diese Frauen in ihre Rollen eingespannt und eindrücklich vermittelt dies auch ein Chor von Frauen bei einem nächtlichen Fest mit dem Gesang „Non fugere possum“ („Ich kann nicht fliehen“).
Nicht verhindern können die Regeln freilich das langsame Wachsen des Begehrens, das Sciamma großartig mit einem Spiel der Blicke einfängt, um dann auch die innere Nähe in Bildkompositionen zu vermitteln, in denen sie Marianne und Héloïse immer gemeinsam zeigt, oder indem sie sie das Subjekt-Objekt-Verhältnis zwischen Malerin und Modell als umkehrbar zeigt. Héloïses Mutter und Marianne trennt sie dagegen bei einem Gespräch konsequent durch Schuss-Gegenschuss und vermittelt damit die Distanz und das Machtverhältnis zwischen der adeligen Auftraggeberin und der bürgerlichen Malerin.
Als Traumbild sieht Marianne mehrfach Héloïse im weißen Hochzeitskleid vor einem dunklen Hintergrund, denn ein Traum bleibt eine gemeinsame Zukunft, wie es diese auch nicht für „Orpheus und Eurydike“ gab, deren Geschichte mit viel Gespür eingearbeitet wird. Im Gegensatz zu diesem mythologischen Paar können sich Marianne und Héloïse freilich verabschieden, aber danach bleibt nur ein Blick Mariannes aus der Ferne auf Héloïse, bei der wiederum Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ bei einem Konzert Erinnerungen an Mariannes Cembalo-Spiel dieses Stückes wecken.
In einer schier endlosen letzten Einstellung fokussiert die Kamera aus der Perspektive Mariannes nochmals auf dem Gesicht von Héloïse: Bald laufen der famosen Adèle Haenel dabei Tränen über die unerfüllte Liebe über die Wangen, bald beginnt sie über die Erinnerung an das erlebte kurze Glück doch wieder zu strahlen.
Ab 13. Dezember in den österreichischen Kinos (z.B.: Cinema Dornbirn) Kinok St. Gallen: derzeit TaSKino Feldkirch: 12.12.- 18.12. Kinotheater Madlen, Heerbrugg: 16.12. LeinwandLounge Bludenz: 8.1. 2020 Spielboden Dornbirn: 18.1. + 31.1. 2020
Trailer zu "Portrait de la jeune fille en feu"
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