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AutorenbildWalter Gasperi

R.M.N.


Eine Kleinstadt als Spiegelbild eines ganzen Landes. - Cannes-Sieger Cristian Mungiu zeichnet in seinem atmosphärisch dichten und konzentrierten Spielfilm ein bedrückendes Bild der rumänischen Gesellschaft.


Schon mit seinem zweiten Spielfilm "4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage" gewann Cristian Mungiu 2007 als 39-Jähriger die Goldene Palme von Cannes. In langen, vielfach statischen Plansequenzen erzählte er darin packend ein im kommunistischen Rumänien der 1980er Jahre angesiedeltes Abtreibungsdrama.


Im Gegensatz zur formalen Radikalität dieses Meisterwerks passt Mungiu den Stil in "R.M.N." stärker der Handlung an. Zwar gibt es auch hier immer wieder mehrminütige statische Plansequenzen, in denen Probleme ausdiskutiert werden, doch insgesamt wirkt die Erzählweise flüssiger und organischer. Ein dynamischer Schnitt treibt vor allem am Beginn die Handlung zügig voran, eine nah geführte Handkamera versetzt auch mehrfach in die Perspektive der Protagonist:innen.


Schon die erste Einstellung von einer in kaltes Blaugrau getauchten Kleinstadt und kahlen Bäumen im Hintergrund evoziert eine kalte und bedrückende Atmosphäre. Verstärkt wird diese Stimmung durch Mungius Verzicht auf Filmmusik. Zwar spielt "R.M.N." zur Weihnachtszeit, doch heimelige und friedliche Atmosphäre wird nur ganz selten aufkommen. Vielmehr dominiert äußere Kälte, die auch mit einer Gefühlskälte der Figuren korrespondiert.


Schon die erste Szene, in der der etwa sechsjährige Rudi (Mark Blenyesi) auf dem Schulweg im Wald etwas sieht, was ihn zutiefst verstört und im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos werden lässt, löst eine Beunruhigung aus, die Mungiu sukzessive steigert. Erst gegen Ende wird aber gelüftet, was der Junge hier wohl nicht real gesehen, sondern vielmehr vorausgesehen hat.


Abrupt wechselt Mungiu mit einem Schnitt nach Deutschland, wo Rudis Vater Matthias (Marin Grigore) in einem Industrieschlachthof arbeitet. Wenn er hier einen Vorarbeiter, der ihn als "Zigeuner" bezeichnet, niederschlägt, wird schon eine aggressive Grundhaltung, die sich über den ganzen Film legt, spürbar. Gleichzeitig zwingt dieser Vorfall Matthias, Deutschland zu verlassen und in seine Heimat zurückzukehren.


Frostig ist das Verhältnis zu seiner Frau Ana (Macrina Barladeanu), auch seine frühere Geliebte Csilla (Judith State) ist über seine Rückkehr nicht begeistert. Als rechte Hand der Chefin einer Großbäckerei ist sie vollauf damit beschäftigt, die für EU-Förderungen nötigen zusätzlichen Arbeiter:innen aufzutreiben. Weil die Einheimischen auf die Inserate nicht reagieren, da nur der Mindestlohn bezahlt wird, werden schließlich drei Männer aus Sri Lanka eingestellt.


Dies ruft aber wiederum den Protest der Bevölkerung hervor. Rasch schaukeln sich fremdenfeindliche Vorurteile und Ressentiments hoch. Wie man stolz ist, dass man vor Jahren die Roma vertrieben hat, so will man auch nun die Ausländer loswerden und der Boykott der Bäckerei ist dabei erst der Anfang.


Entsprechend dem Titel "R.M.N.", der im Rumänischen für Magnetresonanztomographie ebenso wie als Kürzel für Rumänien stehen kann, durchleuchtet Mungiu wie bei einem Röntgenbild in seinem Film anhand der Ereignisse in der transsylvanischen Kleinstadt eine Gesellschaft, in der sich wohl die Gesellschaft seines gesamten Heimatlandes spiegelt.


Mit emotionslos-sachlichem, aber messerscharfem Blick entwickelt er aus der privaten Geschichte heraus ein Gesellschaftsbild, das wiederum in einem präzis geschilderten Milieu verankert ist. Da gibt es zunächst einmal die multiethnische Bevölkerung mit Rumän:innen, Ungar:innen und Siebenbürgendeutschen. Dazu kommen seit der Schließung der Mine zunehmende Abwanderung der Männer in den Westen und gleichzeitig ein höchst ambivalentes Verhältnis gegenüber der EU, deren Förderungen man einerseits benötigt, die man andererseits aber ablehnt.


Im Privaten wiederum zeigt sich an Matthias, der seinen Sohn mit Jagdausflügen abhärten will und dominant gegenüber Frauen auftritt, ein längst überholtes machistisches Männerbild. Mehr oder weniger offen schließt er sich auch den fremdenfeindlichen Aktionen gegen die Sri Lanker an, gegen die auch der Pfarrer nicht einschreitet, sondern sich als neutraler Bote darstellt.


Brillant aufgebaut ist Mungius Drehbuch, das im Kleinen beginnend ein zunehmend komplexeres Bild eines widersprüchlichen Rumänien vermittelt, in dem die Fremdenfeindlichkeit auf fruchtbaren Boden fällt. Meisterhaft gebündelt treten in einer fulminanten 17-minütigen statischen Plansequenz einer Bürger:innenversammlung, in der mit Vorurteilen und Falschinformationen argumentiert wird und unterschiedliche Meinungen aufeinanderstoßen, die aggressive Stimmung, der Frust und die Wut zu Tage.


Unterstützt von einem starken Ensemble setzt Mungiu als Regisseur dieses Skript hochkonzentriert um. Hier gibt es keine Leerstelle und Nebengeschichte, sondern stringent wird die Handlung vorangetrieben. Kein Zufall ist auch die Situierung um Weihnachten, denn das Verhalten der sich christlich gebenden Bevölkerung hat eben gerade nichts mit dem Geist von Weihnachten zu tun, und auch in der Angst vor den Bären, die den Schafen gegenüberstehen, die Matthias´ Vater züchtet, kann man eine Metapher für Machtverhältnisse sehen.


Ein bequemer Film ist "R.M.N." mit seinem kalten und bitteren Bild Rumäniens sicher nicht, aber in seiner Präzision und Kompromisslosigkeit ein sehr starker und intensiver Film, der haften bleibt und nachhallt.

R.M.N. Rumänien / Frankreich / Belgien / Schweden 2022 Regie: Cristian Mungiu mit: Marin Grigore, Judith State, Macrina Bârlădeanu, Orsolya Moldován, Endre Rácz, József Bíró, Ovidiu Crișan Länge: 125 min.



Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Skino Schaan und im Kinok St. Gallen


Trailer zu "R.M.N."




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