Samia
- Walter Gasperi
- vor 2 Minuten
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Ein großer Traum in dem vom Bürgerkrieg und vom Terror der Islamisten erschütterten Somalia: Die junge Läuferin Samia Yusuf Omar (1991-2012) möchte bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking teilnehmen. - Yasemin Şamdereli und Deka Mohamed Osman verbinden in ihrem bewegenden Biopic Sportfilm und bedrückende Flüchtlingsgeschichte.
Dem kurzen Leben von Samia Yusuf Omar widmeten sich schon Reinhard Kleist in der Graphic Novel "Der Traum von Olympia" (2012) sowie der italienische Schriftsteller Giuseppe Catozzella, der mit Unterstützung von Samias Schwester Hodan den Roman "Mit Träumen im Herzen" schrieb.
Gemeinsam mit Catozzella sowie mit ihrer Schwester Nesrin schrieb Yasemin Şamdereli auch das Drehbuch und gewann die somalische Schauspielerin Deka Mohamed Osman als Co-Regisseurin.
Ein echtes Herzensprojekt von Şamdereli ist "Samia". Acht Jahre arbeitete sie daran und ihre Leidenschaft und ihr Engagement sind in jeder Szene spürbar. Statt in Somalia musste aber aus Sicherheitsgründen in Kenia gedreht werden, denn das Land am Horn von Afrika wird immer noch von einem Bürgerkrieg erschüttert und wird zu einem großen Teil von Islamisten beherrscht.
Mit Archivmaterial skizziert das Regieduo knapp die Entwicklung Somalias von seiner Unabhängigkeit im Jahr 1960 bis in die frühen 2000er Jahre, ehe die eigentliche Handlung mit dem Start zum 200 Meter-Lauf bei den Olympischen Spielen in Peking 2008 einsetzt.
Wie zu erwarten, löst der Startschuss eine Rückblende – oder vielmehr eine Vorausblende - aus, in der eine junge Frau in der Wüste mit schnellem Lauf ihren Bewachern zu entkommen versucht. Sogleich wird dieser Handlungsstrang aber auch wieder mit einem Sprung in die Kindheit der Protagonistin unterbrochen und man sieht nun ein etwa neunjähriges Mädchen beim Stadtlauf durch Mogadischu die meisten Konkurrent:innen hinter sich lassen.
Hohes Tempo und großen Drive entwickelt "Samia" in diesem Beginn. Die gedrängte Erzählweise korrespondiert mit der Lust der Protagonistin am schnellen Lauf. Erst mit einer Beinamputation des Vaters nach einer Schussverletzung wird die Erzählweise langsamer.
In Details bietet das Regieduo Einblick in die zunehmende Islamisierung des von einem Bürgerkrieg zerrissenen Landes. Da darf die Schwester Samias bald nicht mehr singen, Frauen müssen sich verschleiern und dürfen keinen Sport treiben, sodass Samia heimlich trainieren muss, und die Familie des befreundeten Ali kehrt in ihre Heimatregion zurück.
So bedrückend aber auch die politischen Verhältnisse sind, so ist es doch der Traum vom Laufen und einer Olympiateilnahme, der Samias Lebenswillen und Lebensfreude aufrecht hält. Etwas einfach machen es sich Şamdereli und Osman freilich, wenn der Teenager mit seinem Engagement auch den depressiven Vater wieder aufmuntern kann. Wieder sorgt aber der islamistische Terror für einen Schicksalsschlag, dennoch gelingt es Samia schließlich, für Somalia bei den Olympischen Spielen in Peking teilnehmen zu dürfen.
Während diese Teilnahme an den Olympischen Spielen sehr kurz gehalten wird, wird parallel zur Kindheitsgeschichte immer wieder bruchstückhaft von Samias Flucht nach Europa im Jahr 2012 erzählt. An Matteo Garrones "Io Capitano" erinnert "Samia" in diesen Szenen, wenn Schlepper die Flüchtlinge ausbeuten, sie eingesperrt in den Laderaum eines LKW durch die Wüste gefahren werden oder in Tripolis in einem Raum mit desolaten hygienischen Verhältnissen auf ein Boot für die Überfahrt nach Europa warten. Während Garrone dies aber in Hochglanzbildern als Abenteuergeschichte inszeniert, ist der Blick von Şamdereli und Osman ungleich realistischer, ungeschönt und bedrückend.
In der Fülle der Ereignisse neigt "Samia" zwar zu Kurzatmigkeit. Sehr viel Handlung packen die beiden Regisseurinnen in 100 Minuten, sodass kaum eine Szene Raum erhält, um verdichtet oder differenzierter entwickelt zu werden, sondern Schlag auf Schlag geht es. Dennoch vermittelt dieses Biopic, das leichthändig Sportlerbiographie und Flüchtlingsgeschichte verbindet, an einem Einzelschicksal plastisch und bewegend, was Menschen aus Somalia und anderen Ländern Afrikas und Asiens zur Flucht bewegt.
Gleichzeitig macht ein Verweis auf den Langstreckenläufer Mo Farah und eine kurze Begegnung mit ihm in Peking auch deutlich, wie unterschiedlich Lebenswege trotz ähnlicher Ausgangslage verlaufen können. Denn wie Samia wurde auch Mo Farah in Somalia geboren, wurde aber als etwa Neunjähriger unter falschem Namen illegal in Großbritannien eingeschleust.
Dort wurde er schließlich an eine Pflegefamilie vermittelt, erhielt 2000 die britische Staatsbürgerschaft, stieg als Doppelolympiasieger über 5000 und 10.000 Meter sowohl 2012 in London als auch 2016 in Rio de Janeiro sowie sechs Welt- und fünf Europameistertitel zu einem der erfolgreichsten Leichtathleten auf und wurde 2017 in den Adelsstand erhoben.
Samia
Italien / Deutschland / Belgien / Schweden 2024 Regie: Yasemin Samdereli, Deka Mohamed Osman mit: Ilham Mohamed Osman, Elmi Rashid Elmi, Riyan Roble, Zakaria Mohammed, Fatah Ghedi, Fathia Mohamed Absie, Kaltuma Mohamed Abdi, Mohamed Abdullahi Omar Länge: 102 min.
Läuft derzeit in den österreichischen Kinos. Kinothek extra in der Kinothek Lustenau: Mo 7.4., 18 Uhr + Mi 16.4., 20 Uhr
LeinwandLounge in der Remise Bludenz: Mi 11.6., 19 Uhr
Trailer zu "Samia"
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