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AutorenbildWalter Gasperi

"Schnitt war auf Anhieb eine Leidenschaft" – Interview mit der "TÁR"-Editorin Monika Willi


Monika Willi (c) Monika Willi

Die 1968 in Innsbruck geborene Monika Willi zählt nicht erst seit der Oscar-Nominierung für ihre Arbeit für Todd Fields gefeiertes Musikdrama "TÁR" zu den führenden Editor:innen des Weltkinos. Schon mit dem Schnitt für beinahe alle Filme von Michael Haneke seit "Die Klavierspielerin" und ihre Zusammenarbeit mit Michael Glawogger machte sich die Tirolerin einen Namen und gewann nicht nur mehrfach den Österreichischen Filmpreis, sondern wurde für "Das weiße Band" auch für den Deutschen Filmpreis (2010) und für "Liebe" für den französischen César (2013) nominiert. Anlässlich des Starts von "TÁR" (Filmrezension finden Sie hier) führte Walter Gasperi per e-mail folgendes Interview, das zuerst in der Märzausgabe der Zeitschrift KULTUR erschienen ist, mit Monika Willi zu ihrer Arbeit und ihrer Karriere.


Walter Gasperi: Cutterin, Editorin oder Schnittmeisterin? – Welche Bezeichnung bevorzugen Sie und wieso?

Monika Willi: Wir haben uns im deutschsprachigen Raum auf Editor:in geeinigt, da der Name das Berufsbild am besten trifft. Am schönsten wäre etwas in Richtung Montage, aber das geht mit der deutschen Sprache nicht.

Gasperi: Wie sind Sie Editorin geworden?

Willi: Ich konnte mit zwei DokumentarfilmemacherInnen eine lange Zeit arbeiten und wollte eigentlich Richtung Kamera gehen, um dann aber zu realisieren, dass ich das nicht bin, weder von meinem Charakter noch von meinen Fähigkeiten. Schnitt war auf Anhieb eine Leidenschaft.

Gasperi: Im Gegensatz zu anderen Bereichen im Film wie Regie oder Kamera ist Schnitt stärker weiblich besetzt. Neben Ihnen sind beispielsweise auch Thelma Schoonmaker als jahrzehntelange Mitarbeiterin Martin Scorseses und Bettina Böhler als Editorin von Christian Petzold bekannte Frauen in dieser Sparte. An Männer denkt man hier dagegen kaum. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Willi: Ich denke, das ist zum jetzigen Zeitpunkt eine verschobene Wahrnehmung. Zum einen wird der Beruf – vielleicht auch aufgrund der Digitalisierung – grundsätzlich attraktiver für Männer, aber es war schon immer so: je mehr Geld im Spiel, desto männlicher.


"Digitalisierung war eine große Erleichterung"


Gasperi: Sie haben in den späten 1990er Jahren als Editorin bei Florian Flickers "Suzie Washington" und Barbara Alberts "Nordrand" begonnen. Das waren noch analoge Zeiten. Wie hat sich Ihre Arbeit mit der Digitalisierung hinsichtlich des Filmmaterials verändert. Gibt es hier inzwischen zunehmend mehr Material zu sichten?

Willi: Ich habe leider nie am analogen Schneidetisch gearbeitet, dafür im Video-Bereich, der besonders unflexibel war. Digitalisierung war die große Erleichterung, was unser Arbeiten betrifft.

Gasperi: Andererseits hat sich aber auch Ihre Arbeit verändert. Haben die neuen, digitalen Möglichkeiten beim Schnitt wesentliche Vereinfachungen gebracht?

Willi: Ja! Die Flexibilitäts- aber auch die Ordnungsstrukturen haben sich komplett verändert und sind einfacher geworden.

Gasperi: Das Haptische ist aber verloren gegangen. War das früher ein anderes, intensiveres Gefühl bei der Arbeit?

Willi; Wie gesagt, ich kann es aus persönlicher Erfahrung nicht beurteilen. Mein Fokus richtet sich immer nach dem, was ich "erlebe", und das kann ich auch nach vielfachem Sehen, egal wie projiziert, generieren.


"Schnitt ist ein Zusammenspiel"


Gasperi: Bekannt sind sie vor allem für die Zusammenarbeit mit Michael Haneke. Sie haben – wenn ich das richtig gesehen habe - seit "Die Klavierspielerin" (2001) mit Ausnahme von "Caché" alle seine Filme geschnitten. Wieso gibt es gerade beim Schnitt vielfach so lange Zusammenarbeiten zwischen Regisseur und Editorin?

Willi: Der Schneideraum ist ein "heiliger" Ort, er ist geschützt. Es muss menschlich stimmen. Alle Unsicherheiten, alle Zweifel haben Platz. Wenn das funktioniert – natürlich vorausgesetzt, dass die künstlerische Arbeit miteinander stimmt – entsteht dadurch ein kreativer Austausch.

Gasperi: Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den Regisseuren oder speziell mit Haneke. Wie viel Freiraum haben Sie hier als Editorin oder differiert das je nach Regisseur stark?

Willi: Schnitt ist ein Zusammenspiel. Es geht nicht um Freiräume und egozentrische Machenschaften, es geht immer um das Beste für den Film – und das bedeutet ein Miteinander.


Dokumentarfilme mit Michael Glawogger


Gasperi: Mit Michael Glawogger arbeiteten Sie bei den Dokumentarfilmen "Workingman´s Death" und "Whores’ Glory" zusammen und stellten nach dessen Tod seinen Film "Untitled" fertig. Gibt es Unterschiede bei Ihrer Arbeit zwischen Spielfilm und Dokumentarfilm?

Willi: Dokumentarfilm entsteht noch wesentlicher im Schneideraum, weil man ja vor Drehbeginn nicht weiß, was kommt, daher hat die Bedeutung des Schnitts eine Art Schreibefunktion.

Gasperi: Es war sicher schwierig nach Glawoggers überraschendem Tod das Material von "Untitled" zu übernehmen. Gab es da lange Überlegungen, wie es mit dem unvollendeten Film weitergehen soll oder war die Entscheidung rasch gefasst?

Willi: Ich habe sehr schnell für mich gewusst, dass ich das wunderbare Material, das bis zu Michaels Tod gedreht wurde, "zeigen" will. Daraus resultierte auch die Kraft für dieses Unterfangen.

Gasperi: Wie sind Sie bei "Untitled" an die Arbeit herangegangen?

Willi: Ich habe Szene für Szene analysiert, sie auf ihre Bedeutung, ihre Interpretation untersucht. Dann allerdings habe ich eine neue Filmerzählung daraus gemacht.


Drehbuch als Entscheidungsgrundlage


Gasperi: Sie haben auch Ulrich Seidls "Rimini" geschnitten. Erleichtert Seidls Dreh in langen statischen Totalen die Arbeit der Editorin?

Willi: Es geht immer um das Gesamte, wie das abgehandelt wird, ist letztlich nebensächlich, es geht immer um den Inhalt.

Gasperi: Ihre derzeit letzte Arbeit ist die für Todd Fields "TÁR". Das ist ihre – abgesehen von Hanekes "Funny Games"-Remake – erste US-Produktion. Wie kam es zu diesem Auftrag?

Willi: Todd Field hat mich schon vor 13 Jahren angerufen, als er in der Vorbereitung zu einer Verfilmung von "The White Tiger" war. Daraus ist dann letztlich nichts geworden. 13 Jahre später hat er wieder angerufen – mein Vorteil bei "TÁR" war natürlich auch, dass ich Deutsch spreche und so gewisse Szenen einer Produktion, die in Berlin spielt, muttersprachlich verstehe.

Gasperi: Wann stiegen Sie in dieses Projekt ein bzw. wann steigen Sie allgemein in Filmprojekte ein? Erhalten Sie schon vorab das Drehbuch und entscheiden dann über ihre Mitarbeit oder werden Sie erst nach Abschluss der Dreharbeiten zugezogen?

Willi: Ich bekomme immer das Drehbuch zu lesen, das ist die Entscheidungsgrundlage, ob man einem Projekt zustimmt. Dann schneiden wir meistens schon während der Dreharbeiten, zum einen, um sich mit dem Material vertraut zu machen, zum anderen dient es der Qualitätskontrolle.


"TÁR" und Amy Winehouse-Biopic


Gasperi: Gibt es große Unterschiede bei Ihrer Arbeit für österreichische Filme und bei so einer internationalen Produktion?

Willi: Bei dieser amerikanischen Produktion waren, im Gegensatz zu einer österreichischen Produktion, einfach viel mehr Leute beschäftigt. Todd Field hatte das Recht auf den

Director’s Cut, daher habe ich noch nicht erlebt, wie es ist, wenn die Produktion kreative Prozesse gestaltet.

Gasperi: Gab es bei der Zusammenarbeit mit Todd Field Probleme oder Schwierigkeiten, da sein letzter Kinofilm "Little Children" doch schon 16 Jahre zurückliegt?

Willi: Nein. Todd hat viele Drehbücher geschrieben und Werbung gedreht. Er ist ein unglaublich versierter Filmarbeiter und Filmkenner, der über jeden Vorgang Bescheid weiß.

Gasperi: In "TÁR" geht es um eine von Cate Blanchett gespielte Dirigentin. Die Musik spielt folglich eine große Rolle. Liegt beim Schnitt die Ton- und Musikspur immer schon komplett vor oder wird diese erst nach Abschluss Ihrer Arbeit ergänzt?

Willi: Das ist immer unterschiedlich, aber bei "TÁR" haben wir sehr, sehr viel am Ton gearbeitet. Die Musikspur wurde zur Gänze während des Schnittprozesses definiert. Wir sind aber auch so weit gegangen, dass wir einzelne Töne und Geräusche, die rhythmisch für den Schnitt wesentlich sind, selbst aufgenommen haben und nicht darauf gewartet haben, dass sie in der Tonpostproduktion angelegt werden. "TÁR" ist ein sehr musikalischer Film, und um zu wissen, ob die Komposition stimmt, mussten wir natürlich auch die akustische Ebene mit einbeziehen. Gasperi: Stehen jetzt weitere internationale Produktionen an bzw. an welchem Film arbeiten Sie derzeit?

Willi: Ich schneide gerade "Back to Black", ein Amy Winehouse Biopic unter der Regie von Sam Taylor-Johnson. Gasperi: Bei "Untitled" haben Sie nach dem Tod Michael Glawoggers mit der Bearbeitung und Fertigstellung des Films quasi auch die Regie übernommen. Gibt es auch das Interesse oder den Wunsch in nächster Zeit einmal einen Film in eigener Regie zu drehen?

Willi: Nein, ich bin Editorin. Ich habe vor allem bei "Untitled" gelernt, welch immenser Unterschied es ist, eine Meinung zu etwas zu haben oder die Letztverantwortung zu übernehmen.


Rezension von "TÁR" finden Sie hier.


"TÁR" startet am 2. März in den österreichischen Kinos TaSKino Feldkirch im Kino GUK: 10.3. bis 16.3. (O.m.U.) LeinwandLounge in der Remise Bludenz: Mi 5.4. 19 Uhr (O.m.U.) Filmforum Bregenz im Metrokimo Bregenz: Do 13.4. 20 Uhr (O.m.U.)


(Dieses Interview ist zuerst in der Zeitschrift KULTUR, März 2023 erschienen.)


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