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AutorenbildWalter Gasperi

Schräge Familien, skurrile Welten: Die Filme des Wes Anderson


The Royal Tenenbaums (2001) (c) zvg

Überbordenden Einfallsreichtum und stupende Liebe zum Detail kennzeichnen die Filme Wes Andersons von „The Royal Tenenbaums“ bis zu „Asteroid City“. Das Stadtkino Basel und das Kino Rex in Bern widmen dem Texaner jeweils eine Filmreihe.


1969 in Austin, Texas geboren wuchs Anderson – und das ist im Kontext seiner Filme nicht unwichtig – mit zwei Brüdern auf. Schon als Jugendlicher inszenierte er Stücke, absolvierte dann aber zunächst an der University of Texas in Austin ein Studium der Philosophie. Dabei lernte er Owen Wilson kennen, der an fast jedem Drehbuch Andersons mitarbeitete und in den Filmen seines Freundes mitspielte.


Den Kurzfilm "Bottle Rocket" (1994) bauten sie zwei Jahre später zu ihrem ersten langen Spielfilm aus ("Bottle Rocket" / "Durchgeknallt", 1996), ehe Anderson wiederum zwei Jahre später mit "Rushmore" (1998) sein Durchbruch gelang. Schon in dieser schrägen Coming-of-Age-Geschichte arbeitete er mit einem Team zusammen, das von da an fixer Bestandteil seiner Filme werden sollte. Owen Wilson, der bei "Rushmore" "nur" am Drehbuch mitarbeitete, gehört ebenso dazu, wie der stoische Bill Murray und Jason Schwartzman bei den Schauspielern, der Kameramann Robert D. Yeoman und der Komponist Mark Mothersbaugh (bis "The Life Aquatic").


Gefunden hat Anderson mit "Rushmore" aber auch schon seinen Stil und seine Themen. Knochentrocken erzählt er, hält den Zuschauer vielfach mit halbnahen Frontalaufnahmen, die den Eindruck einer Guckkastenperspektive erzeugen, auf Distanz anstatt ihn mit Schuss-Gegenschuss-Strategien und subjektiven Kamerapositionen ins Geschehen zu involvieren und zu emotionalisieren. Thematisiert wird dieser Stil auch in den Filmen selbst, wenn Steve Zissou in "The Life Aquatic with Steve Zissou" (2004) den Aufbau seines Schiffs anhand eines Querschnitts erläutert oder in "Darjeeling Limited" (2007) die Kamera außen den Zug entlang fährt und in die einzelnen Abteile blicken lässt.


Durch diesen distanzierten und lakonischen Erzählstil wird das Geschehen nicht nur entdramatisiert, sondern auch jedes Aufkommen von Melodramatik oder Sentimentalität wird verhindert, weil dadurch an sich dramatische Szenen immer wieder ins Komische kippen.


Geprägt wird Andersons Werk ganz entscheidend aber auch von der speziellen, leicht surrealen Welt, die der Texaner für jeden seiner Filme entwirft. Das aus dem 19. Jahrhundert stammende Backsteinhaus der Familie Tenenbaum hat nichts mit dem realen New York zu tun "The Royal Tenenbaums", 2001), hinreißend animierte Fabelwesen tummeln sich in der Unterwasserwelt des Steve Zissou ("The Life Aquatic"), in "Darjeeling Limited" wird lustvoll mit Indienklischees gespielt, nostalgische Reminiszenz ans Zwischenkriegseuropa bringt "The Grand Budapest Hotel" (2014) und auch das US-Wüstenkaff der 1950er Jahre in "Asteroid City" (2023) bezieht seinen Reiz aus der Verschiebung der Realität ins Surreale. – Wer vom Kino Realismus erwartet, ist bei Wes Anderson am falschen Platz.


Auf seine Kosten kommt dafür, wer sich an einer mit überbordendem Einfalls- und Detailreichtum entworfenen fantastischen Parallelwelt erfreuen kann. Unvergesslich bleiben so die roten Adidas-Trainingsanzüge, die die Tenenbaums nicht nur bei ihren sportlichen Übungen tragen, die roten Pudelmützen und die hellblauen Tauchanzüge, die das Team von Steve Zissou kennzeichnen, oder die elf ockerfarbenen Louis Vuitton-Koffer, mit denen die drei zerstrittenen Brüder in "Darjeeling Limited" durch Indien reisen. Jeder Film ist hier auch in eine bestimmte Farbe getaucht: in warme Brauntöne "The Royal Tenenbaums", ins Blau des Meeres "The Life Aquatic", ins Gelb und Ocker Rajasthans "Darjeeling Limited" und in die Wüstenfarben des Südwestens der USA "Asteroid City" (2023).


Mit diesen Farben, aber auch mit Plotmustern und Figuren erweist Anderson dabei auch liebevoll seinen Vorbildern seine Reverenz. So ist “The Life Aquatic“ ohne die Meeres-Dokumentarfilme von Yves-Jacques Cousteau kaum denkbar und "Darjeeling Limited" bezieht sich nicht nur auf Jean Renoirs Indien-Film "The River" (1951) und im Finale auf Michael Powells und Emeric Pressburgers "Black Narcissus" (1947), sondern bedient sich bei der Musik auch bei Filmen des indischen Meisterregisseurs Satajit Ray. "Asteroid City" schließlich ist auch eine Hommage an die Science-Fiction-Filme der 1950er Jahre


Nah dran an diesen Vorbildern ist Anderson, schafft gleichzeitig aber wieder Distanz durch einen genialen Soundtrack, der in gleichem Maße das Ergebnis großer Tüftelei ist wie die visuelle Gestaltung: Nie fehlen dürfen dabei Songs von David Bowie – in "The Life Aquatic" sogar auf portugiesisch -, dazu kommen in "The Royal Tenenbaums" beispielsweise Titel von Van Morrison, den Beatles, den Stones, Jackson Browne, aber auch Vivaldi und Satie oder in "Darjeeling Limited" Peter Starstedts Oldie "Where do you go to (My Lovely)", der sich leitmotivisch durch den Film zieht. – Nie drängt sich dabei aber die Musik in den Vordergrund, sondern begleitet und stützt vielmehr wunderbar beiläufig Handlung und Atmosphäre.


Und dann gibt es noch die Geschichten und die Figuren, die in der Kinolandschaft der Gegenwart ziemlich einzigartig sind. In heiterem Ton wird da von Depressionen, Suizidversuchen und Krebs erzählt, politisch unkorrekt werden mit größter Selbstverständlichkeit Joints geraucht und schon 2004 in "The Life Aquatic" Bisexualität zum Normalfall erklärt.


Viel zu stilvoll und zu warmherzig sind Andersons Filme freilich, als dass sie trotz des lockeren Umgangs mit sensiblen Themen je in Geschmacklosigkeit abgleiten würden. Dieser große Bastler steht nicht über seinen Figuren, sondern direkt auf Augenhöhe mit ihnen, sieht in ihnen vielfach sein Alter Ego, speziell wohl in den drei Brüdern von "Darjeeling Limited", hat er mit seinen zwei realen Brüdern das ständige Streiten trotz Nähe zueinander doch am eigenen Leib erfahren.


Übervoll sind Andersons Filme an visuellen und inhaltlichen Details, sodass sich bei mehrmaligem Sehen stets Neues entdecken lässt. Da entwickelt er in "The Grand Budapest Hotel" um einen Concierge eines mondänen Hotels und ein Gemälde eine überbordende Handlung, bei der es wiederum auch um eine Familie geht, aber auch ein drohender Krieg - der Zweite Weltkrieg - spielt herein.


Diese übersprudelnde Erzählfreude kennzeichnet auch "The French Dispatch" (2021), in dem anlässlich des Todes des Gründers und Chefredakteurs des französischen Ablegers einer amerikanischen Zeitschrift mehrere Journalist:innen sich an besonders einprägsame Fälle und Stories erinnern. Zwar zerfällt diese Hommage an den klassischen Journalismus damit in einzelne Episoden, doch da diese jeweils in einem eigenen Stil gehalten sind, die für Anderson typische Skurrilität aufweisen und das Erzähltempo atemberaubend ist, stört das kaum.


Geschlossener wirkt allerdings doch "Asteroid City", mit dem Anderson auch wieder eine der für ihn so typischen Geschichten einer dysfunktionalen Familie erzählt, die beispielsweise auch im Zentrum seines brillanten Animationsfilms „Fantastic Mr. Fox“ (2009) steht. - Dabei macht nicht zuletzt der Umstand, dass trotz des distanzierten Blicks die Filme nie kühl wirken, sondern stets seine Liebe zu seinen psychisch schwer angeschlagenen Charakteren spürbar ist, dieses sanft melancholische Werk so bezaubernd.

Weiter Informationen zu den Filmen und Spieldaten im Stadtkino Basel finden Sie hier und zum Berner Kino Rex hier.


"The Most Beautiful Shots of Wes Anderson Movies" (6 min.)




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